Pastorin Barbara Dietrich findet in einer Kirchenecke eine vergessene Babypuppe aus dem Krippenspiel. An "Quasimodogeniti", so der Name dieses Sonntags, sollen Christenmenschen "wie die neugeborenen Kinder" werden. Wie geht das zusammen: der offene Blick eines Babys und die skeptische Weltsicht eines Erwachsenen, dem viele Erfahrungen die Neugier auf die Welt schon fast genommen haben?
Die Fragen der Predigt werden begleitet von der Osterkantate von Georg Philipp Telemann "Victoria! Mein Jesus ist erstanden" mit David Schollmeyer, Orgel, Krisztian Jambor, Trompete, und Lukas Baranowsi, Bass. Es singt der Bach-Chor Bremerhaven unter der Leitung von David Schollmeyer.
Die Bürgermeister-Smidt-Gedächtniskirche liegt mitten in der Fußgänger-zone. Die Bremerhavener Bürger:innen nennen ihre Seefahrer-Kirche aus dem Jahre 1855 schlicht "Große Kirche", weil sie nach wie vor eines der höchsten Gebäude der Innenstadt ist.
Lieder des Gottesdienstes:
1. EG 108, Strophen 1 bis 3: Mit Freuden zart
2. EG 99, Strophen 1 bis 3: Christ ist erstanden
3. EG 103, Strophen 1 bis 6: Gelobt sei Gott
4. EG 302, Strophen 1, 2 und 8: Du meine Seele, singe
5. EG 117, Strophen 1 bis 3: Der schöne Ostertag
Predigt nachlesen:
I
Liebe Gemeinde,
liebe Hörerinnen und Hörer,
ich habe Jesus wiedergefunden: Genauer gesagt, die Baby-Puppe, die beim Krippenspiel an Weihnachten das neugeborene Jesuskind dargestellt hat. Sie muss hinter der Kanzel überwintert haben… vor ein paar Tagen fiel mir das in Tücher gewickelte Bündel in die Hände… und mit ihm die Frage, wie hat das eigentlich miteinander zu tun? Jesus "Weihnachten" als Mensch geboren… und "Ostern" gestorben und wieder auferstanden? Und wir "wiedergeboren zu einer lebendigen Hoffnung" – wie es im heutigen Predigttext heißt?
Die Baby-Puppe gehört eigentlich in unsere KiTa – und ich weiß nicht, ob sie da schon vermisst wurde?
Wie ein neugeborenes Kind sein… In der KiTa haben wir tolle Gespräche… Es flasht mich jedes Mal, wie unbefangen, klar und neugierig Kinder sind. Mit großen Augen schauen sie in die Welt, und alles ist für sie interessant und neu…
Jeder neue Besucher wird erstmal abgefragt: Wie heißt du? Und was machst du hier? Was ist das für eine Kette? Und guck mal, was ich habe… Und was ich heute schon gemacht habe…
Jedes Detail ist interessant, und alles wird erzählt wie ein großes Abenteuer.
Gut, wenn man Zeit hat, sich auf diese Fragen und Erzählungen der Kinder einzulassen. Diese zweckfrei verklönten Vormittage in der KiTa gehören zu meinen liebsten Beschäftigungen als Pastorin.
Von dieser unverstellten Herangehensweise der Kinder sind wir als Erwachsene meistens ja meilenweit entfernt. Diesen Blick auf die Welt hatten wir alle mal! Und haben ihn lange verloren…
Wir sehen einen Menschen, sehen, was er anhat, wie er aussieht und spricht… und schon ist die Schublade offen… Wir haben eine Einschätzung bereit, wir kennen uns schließlich aus…
Irgendwann im Laufe des Lebens kriegen wir das Gefühl, alles schon mal gesehen zu haben. Wir wissen, was wir zu erwarten haben. Und – tja… das tritt dann auch immer wieder ein – und bestätigt unser Urteil.
So wird unsere Sicht auf die Welt immer enger, zieht sich unter unserem wissenden Blick immer weiter zusammen – während wir älter und älter werden…
Am Ende nur noch ein dunkler Punkt: Der Tod…
Aber seit Ostern ist die Hoffnung lebendig: Es gibt Neu-Werden. Nicht festgelegt werden und andere nicht festlegen. Die Welt sehen so frisch und neugierig wie ein Kind. Quasimodgeniti. Wie die neugeborenen Kinder…
II
Das Bibelwort für den heutigen Sonntag: "Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten."
Hier erzählt jemand von der Erfahrung, wiedergeboren zu sein… und will uns alle damit ansprechen und ermutigen… mit Jesu Auferstehung wird auch das Kind in uns wiedergeboren.
Das Kind, das neu glauben und hoffen und lieben kann…
Das vollkommen Erwartbare, den Tod… mit seiner Endgültigkeit…. hat Jesu Auferstehung durchbrochen…
Und damit wird auch unser erfahrener Blick auf die Welt, der alles schon weiß, der weiß, was geht und was nicht, durchbrochen.
Dieses wiedergeborene Kind in uns lässt uns neu hoffen und weitet den Blick…
Es tritt aus der Enge des "kenn ich schon, weiß ich doch…" heraus und überschreitet alle Grenzen. Es lernt wieder, bis zum Horizont zu schauen und zu sehen, wie alles zusammenhängt… Ein Gefühl fürs Ganze zu bekommen…
Dieses wiedergeborene Kind sieht über die Grenzen der Welt hinaus… Es entdeckt eine neue Welt…
"Wiedergeboren zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten."
Vielleicht kommt Ihnen das befremdlich vor? Auferstehung von den Toten? Ein unverstellter Blick auf das ewige Leben? Und das, was uns da erwartet? Vielleicht kommt Ihnen das auch altmodisch vor? Der Blick ins Jenseits hat keinen guten Ruf, nachdem er jahrhundertelang als Vertröstung missbraucht wurde… Schließlich sind wir "Kinder" des 21. Jahrhunderts und stolz darauf, ganz im Hier und Jetzt zu leben. Unseren Alltag zu bewältigen und Herausforderungen zu meistern… Naja…
Was "irgendwann einmal" sein wird, spielt doch keine Rolle für uns, oder? Wir wollen im Hier und Jetzt glücklich sein und Erfüllung finden… Das ist es doch, was zählt… Alles soll zwischen Geburt und Tod passen (oder passend gemacht werden), wer weiß, was dann kommt – oder auch nicht…
Und doch – kann der Blick über das Hier und Jetzt hinaus auch die Gegenwart in ein anderes Licht setzen und ihr eine neue Dimension verleihen…
III
Da ist der Lebenspartner/ die Lebenspartnerin an meiner Seite… Der Kollege, die Kollegin… Ich kenne ihn/sie so gut…Ich weiß alles über ihn… Jede Reaktion kann ich vorhersehen. Weiß, was er gleich sagen wird… Und immer trifft es ein!
Was aber würde passieren, wenn ich meinen Blick auf ihn oder sie ändere? Wenn ich "die Ewigkeit" in ihm erkenne? Wenn ich ihn ansehe und ein "Kind Gottes" erkenne, von Gott ins Leben gerufen, mit unvergleichlicher Würde gekrönt, mit der Berufung, etwas Einmaliges in diese Welt mitzubringen?
Er ist da, um einzutreten in Gottes neue Welt…
Ich glaube, es würde etwas verändern…
Ich glaube, ich würde 1000 Neuigkeiten entdecken. Etwas würde schon jetzt aufscheinen von diesem ewigen Erbe: eine Sehnsucht, ein Aufleuchten der Augen, die Möglichkeit zur Liebe, sich in Dinge vertiefen, die einen Wert haben, ein Talent, mit dem nur er die Menschheit bereichert.
Und vielleicht würde ihm selbst unter diesem anderen Blick auch wieder bewusst, dass er ein Kind der Ewigkeit ist…. So helfen wir uns gegenseitig.
Und da bin ich. Mein Leben, an dem ich hänge… Auch da gibt es immer gleiche Abläufe… Muster… Wünsche, Pläne, Projekte… die Wünsche bleiben werden… Es gibt Bitteres… nicht alles geht glatt auf… Und manches tut richtig weh! Ein Verlust, ein unversöhnlicher Streit, ein Unglück… Da komme ich nicht heraus…
Und natürlich gibt es auch Schönes. Ich klammere mich daran, solange es geht! Und doch: ist es irgendwann zu Ende…
Was würde sich ändern, wenn ich den Blick weite und auf das Ewige in meinem Leben sehe?
Wenn ich glaube, dass Gott mich beschenkt – über alle Grenzen hinweg – kann ich leichter loslassen… Alles Widerständige hat nicht mehr so viel Macht… Ein Mensch, der mich bedrängt… der mich zurücksetzt… meine Angst, zu kurz zu kommen…
Wenn ich das Ganze in den Blick bekomme und mir sage: "Egal, was sich erfüllt und was nicht, was mir gelingt und was nicht… Da ist dieses "Erbe" – ich erbe das Leben… Das bleibt! Und das reicht…"
Ich glaube, das ändert mein Gefühl. Und alles, was ich jetzt schon geschenkt bekomme, kann ich noch mehr schätzen lernen.
Und alles, was mir misslingt oder was mich ärgert, was schmerzt… Da gibt es nichts zu beschönigen – und doch: Es ist nicht das Ende. Es hat nicht das letzte Wort… Einmal wird alles zusammenkommen – trotz alledem… Niederlagen, tragische Wendungen, Unerfülltes – all das hat etwas Relatives… Da kommt noch was…. Das ist die große Hoffnung von Ostern: Wir sind nicht festgelegt, unser Leben ist kein geschlossener Raum… "das Land ist hell und weit" und wir sind ein Teil davon!
IV
In dem Bibelwort für den heutigen Sonntag geht es weiter: "Dann werdet ihr euch freuen, die ihr jetzt eine kleine Zeit, wenn es sein soll, traurig seid in mancherlei Anfechtungen, damit euer Glaube als echt und viel kostbarer befunden werde als das vergängliche Gold, das durchs Feuer geläutert wird, zu Lob, Preis und Ehre, wenn offenbart wird Jesus Christus."
Gar nicht so leicht, diesen weiten Oster-Blick zu behalten, gerade wenn man in Bedrängnis ist. Unser Leben, unser Alltag, alle Nachrichten… oft fühlen wir uns zusammengepresst, die Seele gestaucht… der Raum eng…
Auch in der Kirche reden wir so oft eng und gepresst…
Und österlich leben ist doch: offenes Herz, weiter Raum, Blick zum Horizont!
Ostern in der Mitte! Und drum herum Kreise ziehen… Lebenskreise… Immer weiter wie ein Stein, der ins Wasser fällt und weiter und weiter die Kreise zieht…
Immer mehr Lebenszeichen entdecken…
Mit dem Glauben, der sich am Leben festmacht, werde ich immer aufmerksamer für die Kraft des Lebens… sehe immer mehr, immer besser, was ich sonst vielleicht gar nicht sehen würde.
"Ihn habt ihr nicht gesehen und habt ihn doch lieb; und nun glaubt ihr an ihn, obwohl ihr ihn nicht seht; ihr werdet euch aber freuen mit unaussprechlicher und herrlicher Freude, wenn ihr das Ziel eures Glaubens erlangt, nämlich der Seelen Seligkeit."
Der Glaube, der nicht sieht, macht selig, so sagt Jesus dem zweifelnden Thomas im Evangelium für heute… Der Glaube macht selig, weil er - in allen Zweifeln – immer wieder den Mut findet, ins Weite und Unsichtbare auszugreifen… und so ein Gespür für all das Wunderbare einübt und lernt, das uns umgibt, und für den Lebendigen, der jeden Augenblick an unserer Seite steht, auch wenn unsere Augen ihn nicht sehen.
Das Ziel, zu dem er uns führen will, heißt "Seligkeit"!
Diese Hoffnung will ich bewahren!
Er hat das Kind der Hoffnung in mir wiedergeboren, damit ich das wiederentdecke und darauf vertraue: Mein Erbe ist Seligkeit! Und deines auch!
Entdecke die Hoffnung, entdecke sie schon jetzt. Entdecke sie in den offenen Augen der Kinder. Sie ist in dir lebendig und soll es sein in Ewigkeit.
Ich werde "Jesus", die Babypuppe aus der Krippe mal bald zurückbringen in die KiTa… und die offenen Blicke und Fragen und Geschichten der Kinder genießen… Wiedergeboren zu einer lebendigen Hoffnung!
Amen.
Und der Friede Gottes, höher und tiefer als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne…
Amen.
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Pastorin Jeannette Querfurth
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