Da sitze ich in einem schönen Straßencafé und entdecke plötzlich jemanden, den ich aus dem Fernsehen kenne. Das heißt, ich kenne ihn nicht wirklich. Ich kenne nur sein Gesicht. Und das kennen viele.
Und darum ist ganz schnell jemand bei dem Prominenten und holt sein Smartphone heraus. "Darf ich ein Selfie mit ihnen machen?"
Ein Selfie, das ist ein Selbstportrait, gerne mit einem Promi oder aber vor prominenter Kulisse, das anschließend gleich ins Internet gestellt wird.
Vielleicht hat man den Fotografierten nicht einmal echt in die Augen geschaut, sondern nur über das Display des Smartphones wahrgenommen. Aber man hat das Bild des Anderen und trägt es wie eine Beute mit nach Hause. Alle sollen sehen und mitbekommen, wo man ist und wen man gerade getroffen hat. Auf dass das eigene Ansehen wächst.
In der Bibel kommen gerade die Menschen, die viel Ansehen genießen, oft nicht besonders gut weg. Ich gebe zu, das gefällt mir. Gottes Interesse gilt den Anderen, denen, über die man schon mal geflissentlich hinweg schaut. Menschen am Rande oder Menschen in Not.
Hagar war so ein Mensch. Hagar, die Magd von Abraham und Sara, von der die Bibel erzählt.
Hagar war eine Frau mit Migrationshintergrund – eine ägyptische Sklavin, die viele Pflichten und praktisch keine Rechte hatte. Sie gehörte sozusagen zum Eigentum von Abraham und Sara und sollte dem kinderlosen Paar zu Nachwuchs verhelfen. Eine Art antiker Leihmutterschaft, ohne jedes Mitspracherecht.
Das Vorhaben gelang. Hagar wurde schwanger. Aber das gütliche Miteinander scheiterte und endete beinahe tragisch. Wie die meisten Mütter war Hagar schon auf ihr ungeborenes Baby stolz, das in ihrem Bauch heranwuchs. Und sie ließ Sara diesen Stolz spüren.
Doch sie musste diesen Stolz bitter bereuen. Sara machte Druck. Sie machte Hagar Druck und auch ihrem Mann Abraham. "Du bist schuld, dass meine Magd von oben auf mich herabsieht."
Und Abraham? Er machte keine gute Figur in der ganzen Geschichte, sondern duckte sich einfach weg. Er begriff nicht das Konfliktpotenzial dieser Situation. Und so gab er Sara freie Hand: "Mach mit ihr doch, was du willst."
Hagar wusste nun, dass sie sich auf Abraham nicht mehr verlassen konnte. Und sie wusste keinen anderen Ausweg als zu fliehen. Was sollte aus ihr werden – und aus dem Kind in ihrem Bauch?
Eine einsame, schwangere Sklavin in der Wüste. Das war kein Bild zum Abfotografieren. Das war eher ein Bild zum Gotterbarmen. Und Gott erbarmte sich über sie. Er schickte einen Boten in die Wüste, der sie mit ihrem Namen ansprach. Und Hagar erkannte, was sie in der ganzen Zeit im Haus Abrahams nicht erkannt hatte:
"Du bist der Gott, der mich sieht!" In ihrer größten Not erfuhr sie, dass Gott ein nachsichtiger Gott ist. Dass er einen Blick hat für die, die alleine sind, die seine Hilfe am meisten brauchen. Menschen in scheinbar ausweglosen Situationen. Hagar erkannte – Gott sieht mich so, wie ich bin, ungekünstelt und ungeschminkt. "Du bist der Gott, der mich sieht!"
Wie gut das tut, wenn sich einer uns zuwendet, mit Namen anspricht und uns gnädig ansieht. Kein Prominenter, der mich für ein Foto einmal kurz angrinst, sondern ein Mensch der mir etwas bedeutet oder für den ich etwas bedeute.
Für Hagar war die Geschichte noch nicht zu Ende. Sie blieb nicht in der Wüste. Und es blieb nicht allein bei den schönen Worten, die Gott ihr mitgab. Gott schickt Hagar wieder zurück zu Abraham und Sara. Ausgerechnet dorthin zurück, woher sie geflohen war.
Aber er schickt sie nicht ohne seinen Segen. Hagar wusste: Gott ist mit mir. Er sieht mich. Er sieht all das Elend, dass ich erfahren habe. Aber er hat mich aufgerichtet und gibt mir die Kraft neu anzufangen. Gott sieht mich gnädig an. Das ist etwas völlig anderes als ein Selfie mit einem Promi.
Gott sieht mich gnädig an, wenn mich jemand mit meinem Namen anredet, mir in die Augen schaut und mir zu erkennen gibt: Du bist mir wichtig!