„Kommt zu mir!“ In Corona-Zeiten höre ich diese Worte von Jesus noch mal ganz anders. Denn persönliche Einladungen sind selten geworden, werden aber bald wieder leichter möglich sein. Unabhängig von jeder unserer Krisen sind wir Menschen bei Jesus jederzeit willkommen – ganz ohne Abstandsregeln und Kontaktbeschränkungen.
„Kommt zu mir, ihr alle, die ihr euch abmüht und belastet seid!“, lädt Jesus Christus ein und gibt Müden und Belasteten die Zusage: „Ich will euch Ruhe schenken.“ Damals spricht Jesus diese Worte zu den religiösen Menschen seiner Zeit, die mit aller Kraft versuchten, den Gebo-ten Gottes gerecht zu werden und keines zu übertreten.
Mit den Teenagern unserer Gemeinde habe ich dazu ein Experiment gemacht: Wir treffen uns derzeit online über einen Zeitraum von zwei Jahre zum „Biblischen Unterricht“, um uns wö-chentlich über die Grundlagen des christlichen Glaubens auszutauschen. Bei einem Treffen ging es dabei um die zehn Gebote. Bis zum nächsten Mal wagten wir folgenden Selbstversuch: „Wir wählen eines der zehn Gebote aus und versuchen es die ganze Woche zu halten.“
„Nicht Ehebrechen!“, war der erste Vorschlag. Da waren sich alle sicher, dass sie das locker schaffen. „Nicht morden“ war auch eine Idee. Geeinigt haben wir uns dann auf: „Du sollst nicht lügen.“ Eine Woche lang nicht lügen! Ob wir das schaffen? Die Teenager waren skeptisch, aber auch motiviert und gespannt.
Am nächsten Samstag rief eine der Teilnehmerinnen: „Schon am Montag war´s gelaufen! Ich habe mich richtig geärgert, dass ich es nicht geschafft habe. Aber ich kann doch meiner Freundin nicht sagen: ‚Deine neue Frisur sieht bescheuert aus!‘ Den Rest der Woche hat es aber fast geklappt.“ Alle erzählten, wie schwer das war mit dem „Nicht-Lügen“, weil man ja niemandem mit der Wahrheit wehtun will. Ein Teenager meinte: „Ich habe erst mal gemerkt, wie oft ich einfach nicht ganz die Wahrheit sagen will. Es ist schon richtig schwer, bei der Wahrheit zu bleiben, ohne Ärger zu kriegen.” Letztlich waren wir uns einig: Der Selbstversuch war super, aber doch irgendwie mühsam und anstrengend.
„Kommt zu mir, ihr alle, die ihr euch abmüht und belastet seid! Ich will euch Ruhe schen-ken.“ (Die Bibel, Matthäus 11,28). Jesus sagte das zu Menschen, denen es ein echtes Anliegen ist, auf Gottes Gebote zu achten. Und das hat ja auch sein Gutes, wie z. B. im Leben einer orthodoxen jüdischen Familie in Deutschland.
Ganz nach dem vierten der zehn Gebote „Du sollst an den Sabbat denken!” (2. Mose 20,8) wird mit viel Liebe zum Detail und Ehrfurcht vor Gott der Sabbat vorbereitet und gestaltet: von der Reinigung der Wohnung, bis zur Zubereitung der Speisen und dem festlich gedeckten Tisch.
Es ist schon enorm, was alles zu bedenken ist. Denn am Sabbat selbst darf keine Arbeit ver-richtet werden. Daher wird die Wohnung am Tag vorher gründlich geputzt und die Beleuchtung für das Wohnzimmer wird an eine Zeitschaltuhr angeschlossen, damit niemand am Sabbat das Licht an- oder ausmachen muss. Auch die Speisen sind schon vorbereitet, damit nicht mehr gekocht werden muss. Diese jüdische Familie lebt ihren Glauben überzeugend und tut alles, um das Sabbatgebot umzusetzen.
Dennoch kann ich mir kaum vorstellen, wie viel Mühe es macht, sich möglichst genau an alle 365 Gebote und 248 Verbote im Judentum zu halten. Mir nötigt das jede Menge Respekt ab. Ich weiß, wie wichtig es für Jüdinnen und Juden ist, diese Gebote zu befolgen. Diese Gebote alle zu kennen und dann im Alltag umzusetzen, ist eine enorme Herausforderung.
Zu den religiösen Geboten hinzu kommen die mindestens 100 Gebote unserer modernen Ge-sellschaft. Damit meine ich jetzt nicht die Corona-Verordnungen, sondern die eigenen Ansprü-che, die der Familie, der Nachbarn und unserer Gesellschaft, z. B. „Du musst dein Leben meistern, du darfst kein Gramm zu viel haben, musst perfekt gestylt sein und für deine Rente vorgesorgt haben. Das darfst du sagen und das ist politisch nicht korrekt. Und alles, was du tust und einkaufst, muss ein Siegel haben und nachhaltig sein.“
Mir persönlich sind die zahlreichen Herausforderungen zu groß, mich ständig optimieren zu müssen. Auch hilfreiche Dinge können müde machen. Und jetzt mit den Einschränkungen der Pandemie – kommen für viele noch die Einsamkeit und die Sorge vor einer Ansteckung oder der Stress, einen Impftermin zu bekommen, als belastende Erfahrungen dazu. Neulich sagte mir jemand im Blick auf Corona: „Das dauernde Zuwenig wird mir langsam zu viel!“
Meiner Ansicht kann das kaum gelingen, allen menschlichen und göttlichen Geboten gerecht zu werden. Denn Tatsache ist: Auch Menschen, die das Gute und Richtige wollen, machen Feh-ler und scheitern – auch wenn sie noch so hingegeben oder gottesfürchtig sein mögen. Ich möchte nur an die hoch motivierten Teenager erinnern: „Ich wollte doch eine Woche lang nur die Wahrheit sagen. Aber schon am Montag war´s gelaufen.”
Doch was ist, wenn ich den aufgestellten Geboten nicht entspreche? Im ersten Teil der christ-lichen Bibel wird neben den guten Geboten Gottes gleichzeitig das Scheitern an den Maßstä-ben beschrieben. Es wird festgelegt, was geschehen muss, wenn ein Gebot Gottes übertreten wurde. Für diesen Fall gab es die Möglichkeit im Tempel seine Schuld vor Gott persönlich zu bekennen und durch ein Opfer seine Betroffenheit zu zeigen. Dazu kam einmal im Jahr der große Versöhnungstag. Der Hohepriester stemmte stellvertretend für das ganze Volk seine Hände auf den Kopf eines Ziegenbocks und übertrug diesem die Schuld des Volkes. Dann wurde dieser Bock für die Schuld des Volkes „in die Wüste geschickt“.
Bis heute haben wir dafür in der deutschen Sprache den „Sündenbock“ als Sprichwort. Der bekommt leider in unserer oft unbarmherzigen Gesellschaft nicht selten allzu menschliche Züge und Gesichter, wenn jemand unsere ungeschriebenen Gesetze übertritt.
Im Neuen Testament finden Christen die zentrale Antwort Gottes im Blick auf unser Scheitern. Jesus Christus hat diesen neuen Weg so beschrieben: „Kommt zu mir, ihr alle, die ihr euch abmüht und belastet seid! Ich will euch Ruhe schenken. Nehmt das Joch auf euch, das ich euch gebe. Lernt von mir: Ich meine es gut mit euch und sehe auf niemanden herab. Dann werden eure Seelen Ruhe finden. Denn mein Joch ist leicht. Und was ich euch zu tragen gebe, ist keine Last.“ (Matthäus 11, 28-30).
Das Bild vom „Joch“ kommt aus der Landwirtschaft. Damit ziehen Ochsen einen Karren oder Pflug. Das Joch ist aber auch ein Bild, das im Judentum häufig die Beziehung eines Rabbis zu seinen Schülern beschreibt. Damals war es üblich, dass die Schüler nicht nur religiöse Unter-richtsstunden bekamen, sondernd das ganze Leben mit ihrem Lehrer teilten. Sie liefen bild-lich gesprochen „unter einem Joch“. Das heißt: Sie waren gemeinsam unterwegs, um von ih-rem „Meister“ im gemeinsamen Leben zu lernen.
Der „Rabbi“ und „Meister“ Jesus spricht: „Kommt zu mir, ihr alle, die ihr euch abmüht und belastet seid!“ Das ist die Einladung Gottes an alle, die müde geworden sind, weil sie sich abmühen und immer wieder an sich selbst scheitern.
Jesus Christus gibt ein konkretes Versprechen von Gott: „Ich will euch Ruhe schenken.“ Die Gebote Gottes helfen uns, zu erkennen, was gut und richtig ist. Sie zeigen uns in vielen Fra-gen des Lebens den Willen und Weg Gottes.
Dennoch sind die Gebote Gottes nicht mehr der entscheidende Weg, auf dem wir es Gott recht machen müssen, damit er uns annehmen kann. Durch seinen Sohn Jesus Christus hat Gott selbst dafür gesorgt, dass jeder Mensch bei ihm seine Lasten abgeben und von Verfehlungen und Schuld befreit werden kann. Das ist entlastend, denn bei Jesus sind wir gut aufgehoben!
„Kommt zu mir, ihr alle, die ihr euch abmüht und belastet seid!“ Jesus Christus geht es nicht um neue belastende Verbote oder Regeln. Er macht uns mit seiner Aussage ein Angebot und gibt uns ein Versprechen dazu.
„Kommt zu mir“ ist das Angebot einer persönlichen Beziehung. Wir sind eingeladen, unser Leben an Jesus Christus als Vorbild und Maßstab auszurichten. Es geht nicht mehr zuerst um das, was wir tun müssen, sondern um das, was Jesus Christus bereits für uns getan hat. Jesus hat unsere Last und unser Versagen auf sich genommen. Darin liegt für uns eine enorme Ent-lastung.
Jesus macht auch keine Vorbedingungen, die wir zuerst erfüllt haben müssen: Wir müssen für ihn nicht erst besser, gehorsamer oder sogar heiliger werden. Seine Einladung meint jeden Menschen genauso, wie er gerade ist – mit all den Stärken und Schwächen, den guten und schlechten Seiten, den Hoffnungen und Enttäuschungen.
„Kommt zu mir, ihr alle, die ihr euch abmüht und belastet seid!“ Das bedeutet, wir müssen uns nicht krampfhaft selbst optimieren. Wir müssen nicht noch eine Schippe drauflegen und mehr Einsicht oder Willen zeigen. Jesu Einladung hat unten kein Kleingedrucktes „Kommt her zu mir“ bedeutet: Wir sind von unserem Gott eingeladen zu einem entlasteten Leben.
Jesus Christus verspricht: „Ich will euch Ruhe schenken.“ Und: „Lernt von mir“ „Ich meine es gut mit euch und sehe auf niemanden herab. Dann werden eure Seelen Ruhe finden.“ Das ist Jesu Versprechen an alle Menschen, die sich persönlich von ihm einladen lassen. Er will uns unsere Lasten abnehmen und dafür seine Ruhe schenken.
Doch wie kann das ablaufen? Für mich hat das damit zu tun, was Christen „Beten“ nennen. Wenn ich bete spreche ich sehr persönlich mit Jesus: „Jesus, ich schaffe es einfach nicht, al-len Menschen oder Anforderungen gerecht zu werden? Ich kenne meine Macken: Ich treibe nicht genug Sport, esse immer noch zu viel Fleisch und verzichte nicht gerne auf mein Bier –, auch wenn meine Ärztin mir das empfohlen hat. Ich schaffe es auch nicht, meine Zeit so ein-zuteilen, dass alles rund läuft. Mal kommt meine Frau zu kurz, mal die Freunde, mal meine Familie manchmal auch die Arbeit. Mal sitze ich viel zu lange am Fernseher oder am Compu-ter und ein andermal träume ich zu lange in meinen Tag hinein und kriege nichts auf die Rei-he. Und manchmal hat mein Tag hat einfach zu wenig Stunden für all das, was ich erledigen möchte. Und ganz ehrlich – es gibt Menschen, die gehen mir fürchterlich auf den Keks. Denen liebevoll begegnen, will ich oft gar nicht …“
Und Jesus hört mir einfach zu. Es ist dabei nicht das erste Mal, dass Jesus Christus sich mein ganzes Leben und meinen Seelenzustand anhört. Dann meine ich ihn fast zu hören: „Joachim, ich weiß, dass du nicht perfekt bist, aber ich habe dich lieb. Ich sehe auch, dass du gute Vors-ätze hast und nichts draus wird. Aber ich nehme dich so an, wie du bist. Du bist gut genug. Ich schätze dich und freue mich, dass du mir deine Lasten anvertraust. Lass uns doch einfach darüber im Gespräch bleiben. Und wenn du etwas ändern willst helfe ich dir. Wo sollen wir gemeinsam anfangen?“
Für manche mag es kaum vorstellbar sein, in einer stillen Minute am Tag so persönlich mit Gott zu reden. Und gerade deshalb lädt Jesus Christus uns ein: „Kommt mit Euren Lasten zu mir und ich werde euch Ruhe schenken.“
Manchmal erkenne ich im Gespräch mit Jesus tatsächlich einen Weg, besser mit einer Last umzugehen. Häufiger aber ist es so, dass diese inneren Gespräche mit Jesus Christus zunächst ein erster Schritt in eine andere Richtung ist. Es beginnt ein Prozess an dessen Ziel uns Jesus Christus Ruhe schenkt.
„Lernt von mir: Ich meine es gut mit euch und sehe auf niemanden herab.“ Diese Worte Jesu wollen uns Mut machen: Wir dürfen uns Jesus Christus gegenüber im Gebet öffnen, weil er nicht auf uns herabsieht oder uns verachtet. Jesus hat uns schon angenommen. Wir sind ihm gut genug.
„Kommt zu mir“, sagt Jesus Christus. Nehmen wir die Einladung an und beginnen unser per-sönliches Gespräch mit Jesus Christus oder einem Menschen, der auch an ihn glaubt. Erzählen wir ihm in aller Ruhe, was unser Leben schwer macht. Und lassen wir uns von dem überra-schen, was Jesus Christus uns zeigt. Und wie er hilft, zur Ruhe zu kommen. Er meint es gut mit uns. Bei ihm sind wir gut aufgehoben.
Amen.
Es gilt das gesprochene Wort.