Guten Abend.
Da hängt heute eine handbemalte DINA4 Seite in einer Klarsichthülle an einem Laternenmast in Solingen: Darauf gemalt ein Herz mit einem Kreuz drin. Geschrieben steht: "Wir vergessen euch niemals. Denn ihr lebt in unseren Herzen weiter."
Ein trauernder Protest gegen den Tod, mit der tiefen Ahnung, dass Leben heilig ist.
Was ist bloß los mit den Menschen? Fragte meine Freundin heute Mittag. Tote und Schwer- und Schwerstverletzte durch einen Messerstecher in Solingen. Was ist loß los mit den Menschen? Gute Frage. Hilflose Frage. Aber richtige Frage. Was ist bloß los mit den Menschen.
Um einen Laternenmast liegen Blumen. Eine Karte liegt da. R.I.P. Ruhe in Frieden. Rest in Peace. Deine Tabea. Du fehlst mir." Wo soll denn die Trauer hin, wenn nicht an öffentliche Plätze.
Was ist bloß los mit den Menschen? Wie kann das sein, dass ein harmloses Stadtfest zum 650- jährigen Jubiläum von Solingen, zu dem man hingeht mit FreundInnen und Familie, zu einem Ort des brutalen Schreckens wird. Und heute, am Tag danach, an dem die Sonne über NRW scheint und eigentlich ein perfekter Sommertag angesagt war, sind Menschen wie erstarrt vor Entsetzen, vor Schrecken und vor Trauer. Auch ich hatte eigentlich ein anderes Wort zum Sonntag aufgenommen, und ich bin nach den Ereignissen von Solingen noch einmal neu ins Studio gekommen.
So ist das mit dieser Brutalität. Sie wirft sich dazwischen und bremst alles aus. Ändert alle Vorzeichen, lässt alles anders wahrnehmen, neu sehen. Wo vorher Lachen und Musik war, nur noch Stille und Betroffenheit.
So ist das mit dieser Brutalität. Sie wirft sich dazwischen und ändert alle Vorzeichen, lässt alles anders wahrnehmen und, auch das geschieht, befeuert den Hass. Das ist zumindest die Gefahr – und zugleich ist es die Herausforderung. Hier nicht mitzumachen. Hier besonnen zu bleiben. Hier innezuhalten, in Respekt vor den Opfern von Gewalt – Respekt vor den Opfern von Solingen und überall in unserem Land und auf dieser Welt, und zwar tagtäglich immer wieder.
Und im Wissen darum, dass aus Gewalt, die Gegengewalt gebiert, immer nur noch mehr Gewalt wird. Und deshalb: so nahe der Gedanke der Rache am Täter auch liegt – wir müssen uns um das Weiterleben kümmern und um die Opfer. Wir müssen alle zusammenstehen für eine menschenfreundliche Gesellschaft. Das ist unser Auftrag gegen die, die nur den Tod als Botschaft haben.
Ich war mal auf einer Fortbildung in Solingen. Im Zentrum mit dem wichtigen Namen "Frieden". Ein Tagungshaus, schon etwas in die Jahre gekommen, wie ja der gute alte christliche Gedanke der Friedfertigkeit auch. Aber welches Ideal könnte heute wichtiger sein. Im großen Plenumsraum dieses Tagungshauses gibt es ein Holzboden. Wenn man da sitzt, in der Runde, schaut man da immer wieder hin. Der Boden ist an vielen Stellen ausgebessert und man sieht das. Es ist neues Holz eingesetzt, es hat eine andere Farbe, es fügt sich nicht so rein. Klareres Holz mitten in dem abgenutzten, an manchen Stellen fast schwarz getretenem Parkett. Es sieht nicht schön aus, zugleich sieht man: da wollte man etwas reparieren. Etwas besser machen. Man hat sich mit dem Beschädigten nicht abgeben wollten.
Ich wünsche mir für Solingen und die ganzen anderen Orte der Gewalt eigentlichen genau das: Dass wir es besser machen wollen, aus dem Gedanken des Friedens, und des Miteinanders und der Unterstützung heraus. Aus dem Geist Gottes heraus. Es wird immer sichtbar sein, dass es geflickt ist, und wir kriegen es nicht schön und glatt hin, das ist die bittere Erkenntnis an einem Tag wie diesem.
Heute beten wir mit den Menschen, für die Menschen. Wir verbinden uns mit denen, die erstarrt sind in Trauer und Schock, und mit denen, die geholfen haben und immer noch helfen. Und Stück für Stück, jeweils für uns, lasst uns stückchenweise Friedfertigkeit, Hoffnung leben und hineinsetzen in unser großes Ganzes.
Das mag nicht viel sein. Aber wir geben uns nicht zufrieden mit der Zerstörung.
Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag.
Westdeutscher Rundfunk (WDR)
Redaktion: Christiane Mausbach