Samstags um 17 Uhr können Sie an dieser Stelle bereits den Sendetext lesen.
Guten Abend!
Ich weiß noch, wie mich die "Grüne Dame" angesprochen hat. "Grüne Dame", so nennen wir die Ehrenamtlichen in den Altenheimen. Da war eine Bewohnerin gestorben: "Das ist so traurig, da soll es gar keine richtige Beerdigung geben, können Sie nicht kommen und ein Vater Unser sprechen?" "Klar", habe ich gesagt. Ein Vater Unser kann ich immer sprechen, ich bin Pfarrerin. Und so kam ich hin.
Und der Friedhofsdiener kam und sagte: "Jetzt kommt endlich mal einer!" und er zeigte auf die Leute, die dastanden und dann auf sich: "Wir sind doch gar nicht für Trauerfeiern ausgebildet, was sollen wir denn mit den Leuten machen?"
Es handelte sich um eine offizielle "ordnungsbehördliche Bestattung", schwieriges Wort. Ohne Pfarrerin, ohne Trauerredner. Ohne Rahmen. Eine Beisetzung des Ordnungsamtes. Und es waren neun Urnen, weil nämlich 3 x 3 Urnen gut in ein Gemeinschaftsgrab passen. Neun Urnen von Menschen, die keine Angehörigen haben, die man als Bestattungspflichtige heranziehen könnte. Das was so nach trockenem Amtsdeutsch klingt, heißt: Neun Menschen, für die am Ende niemand da ist, der sich um die Beerdigung kümmert. Und dann macht das eben das Ordnungsamt.
Und doch standen da Menschen. Wenige, ja, vereinzelt, verlegen. Im Laufe der Zeit hab ich gelernt, wer das ist: Nachbarn. Sozialarbeiterinnen. Arbeitskollegen, Betreuerinnen, Kumpels. Freundinnen und Freunde.
Nächste Woche Dienstag ist es bei uns in Moers wieder soweit.
Ehrlich gesagt, hab ich damals, beim ersten Mal, echt eine Weile gebraucht, um zu verstehen: Dass da nicht nur die Bewohnerin aus dem Altenheim beerdigt wurde, sondern noch acht weitere. Und ich sah ihre Namen und ihre Lebensdaten und das Todesdatum war nicht selten kein konkreter Tag, sondern nur ein Zeitraum. Stand alles auf einem Zettel, den mir der Friedhofsdiener da in die Hand drückte.
Seitdem bekomme ich diese Namen und Daten direkt per Mail. Und seitdem sehe ich zu, dass bei diesen Ordnungsamts-Bestattungen ein Gebet gesprochen wird, ein Segen. Und dass die Namen ausgesprochen werden. Weil ich daran glaube, dass auch für diese Menschen eine Hoffnung gilt, auch wenn ihre Lebensgeschichten oft so hoffnungslos klingen. Keiner plant sowas für sein Leben. Aber manchmal passiert das. Es gibt zerbrochene Biographien und kaputte Beziehungen und ungelöste Konflikte und furchtbar viel
Schuld im Umgang miteinander. Und dann löst es sich nicht mehr auf und dann ist es irgendwann zu spät. Ich glaube ganz fest daran, dass wir uns Verurteilungen und Bewertungen sparen müssen. Mancher sagt vielleicht: sind sie selbst schuld! Aber das finde ich zu einfach.
Hinter jedem einzelnen Namen, den ich da am Grab dann verlese, stand der Wunsch nach einem gelingenden Leben. Wie hinter meinem Namen. Und auch hinter Ihrem.
Und im Moment des Segens am Grab kommt es alles zusammen: der Schmerz und das Versagen und das "verdammt, hätte ich doch" und das, was diese neun Verstorbenen bedeutet haben. Ich hab da ungeschönte spontane Nachrufe erlebt und unkonventionell angestimmte Lieder. Am Ende stimmen immer alle in das "Amen" ein und dann ist ein Moment von Segen fühlbar, bevor sich die meisten wieder eine Zigarette anzünden.
Dieser Segensmoment ist randvoll mit der Hoffnung, dass es an anderer Stelle gut wird. Solche Hoffnung macht auch was mit dem Leben. Und dafür bin ich echt dankbar.
Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag.