Was ich Dir noch hätte sagen wollen
Samstags nach den Tagesthemen im Ersten
22.11.2025 22:55

Ein geliebter Mensch ist gestorben – er fehlt. So gerne würden wir manchmal noch Dinge mit ihm besprechen. Gedanken austauschen. Fragen stellen. Vielleicht etwas klarstellen, was nie klar gestellt wurde. Über das Ungesagte und Botschaften an Menschen, die nicht mehr da, sind spricht Krankenhausseelsorgerin Anke Prumbaum im Wort zum Sonntag.
 

Sendetext lesen:

Guten Abend!

Ich war letztens beim Hausbesuch. Ich habe mich mit der Witwe an den Küchentisch gesetzt. Sie räumt die Reste vom Mittagessen weg und sagt: "So wie mein Mann krieg ich die Bratkartoffeln nicht hin. Seine waren sensationell!" Kleine Pause, sie seufzt und dann sagt sie einen entscheidenden Satz: "Hätte ich ihm viel öfter sagen sollen!" Ich weiß, dass er vor einem halben Jahr gestorben ist. Seitdem versucht sie, allein weiterzuleben. Nicht einfach nach fast 50 Jahren Ehe. Ihr Kopf ist voll mit Erinnerungen und in Gedanken spricht sie den ganzen Tag mit ihm.

Wie es ihr geht, so geht es Vielen, die jemanden verloren haben. Es sind Sätze, die noch überhängen: Was ich dir so gerne noch gesagt hätte. Manchmal Kleinigkeiten, Banales, so wie die Bratkartoffeln. Manchmal auch große Fragen: "Papa, wie war das eigentlich für dich, als wir Kinder dann alle ausgezogen waren?"

Und manchmal ist es auch der große eine Satz: "Ich habe dir nie wirklich Danke gesagt für deine Hilfe damals, es war mir so selbstverständlich - das tut mir leid."

Ich arbeite als Seelsorgerin im Krankenhaus unter anderem auf der Palliativstation. Den Menschen dort bleibt in der Regel nicht mehr viel Zeit. Und es ist uns im Team oft wichtig, sie zu ermutigen, die Zeit zu nutzen. Dass sie noch die Dinge sagen können, die gesagt sein müssen. Sie - und auch ihr Umfeld. "Ich liebe dich. Ich bin dir dankbar. Ich verzeihe dir." Es ist schön, wenn das gelingt, aber oft – ach, eigentlich immer – bleiben ungesagte Sätze zurück, die quasi zwischen Himmel und Erde hängen. Die ich sagen wollte, die ich gehört wissen wollte, die irgendwo hinmüssen. Trauern bedeutet Loslassen, ja. Aber wie kann ich loslassen, wenn da noch sowas Ungesagtes ist?

Da gibt es ein Projekt, da war mir sofort klar: Das ist gut. Zwei Kunstschaffende in Los Angeles haben alte Telefonsäulen, also so öffentliche Telefone, umfunktioniert. Sie haben Schilder dran gemacht, auf denen steht: Sag auf Wiedersehen!

Menschen können den Hörer nehmen, die Nummer wählen und reden. Und sie tun es auch wirklich. Es sind Menschen, die um jemanden trauern und die dem Hörer ihre überhängenden Sätze anvertrauen. "Entschuldige, dass ich dir so selten zugehört habe", sagt eine männliche Stimme. "Wie konntest du mich allein lassen?" eine alte, gebrochene. "Du hast meine Wut nie ernstgenommen!" schreit ein junges Mädchen. "Ich wollte mit dir noch die nächsten zwanzig Sommer Pilze sammeln", sagt eine Frau.

Diese Nachrichten werden aufgezeichnet. Manche der Sätze werden veröffentlicht. Die Anruferinnen und Anrufer sagen zu Beginn, ob sie das möchten oder nicht, aber die meisten Gespräche werden nicht veröffentlicht. Sie sind einfach gesprochen, um gesprochen zu sein. Für mich hat das tatsächlich etwas Spirituelles, nicht nur etwas Tröstliches.

An diesem Wochenende ist Totensonntag, Ewigkeitssonntag. Ein Sonntag zum Gedenken an die Verstorbenen und ein Sonntag zum Aussprechen dieser ganzen ungesagten Sätze. An Gräbern, auf Spaziergängen und in der Kirche, im Gebet. Auch das ist für mich etwas Spirituelles.

Ich glaube ja, jemand hört.

Ach, und übrigens: diese Nummer in Los Angeles kann von überall in der Welt angerufen werden. So wie Gott ja auch.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag.