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Luft holen
mit Pfarrerin Kathrin Wittich-Jung aus der Evangelischen Stadtkirche in Wolfhagen
09.03.2025 10:05

"Luft holen! 7 Wochen ohne Panik". Das ist das Motto der Evangelischen Kirche für die Fastenzeit zwischen Aschermittwoch und Ostern. Vom ersten bis zum letzten Atemzug hängt das Leben davon ab, dass wir Luft holen. Die Anforderungen des Alltags und die gesellschaftlichen Probleme machen viele atemlos. Umso wichtiger sind Rückzugsorte und Zeiten zum Luftholen, um wieder gestärkt nach vorn zu schauen. Wo findet man diese? Wie hilft das Vertrauen auf Gott, um frei aufzuatmen?

Darum geht es in dem Gottesdienst am Sonntag, 9. März 2025 in der Evangelischen Stadtkirche im hessischen Wolfhagen (Foto). Der Deutschlandfunk überträgt live von 10.05 bis 11.00 Uhr. Pfarrerin Kathrin Wittich-Jung (Foto) hält die Predigt und gestaltet die Liturgie gemeinsam mit Pfarrer Martin Jung.

Die musikalische Gesamtleitung hat Bezirkskantor Jan-Christoph Weige, der auch die Orgel spielt. Es singt das Vokalensemble Wolfhagen, begleitet von und im Wechsel mit Fagott, Violinen, Violoncello und Kontrabass.

Die Kirche steht in der Ortsmitte und ist umgeben von Fachwerkhäusern. Ihr Turm ist schon von Weitem sichtbar.

Nach dem Gottesdienst können Hörerinnen und Hörer mit Pfarrerin Kathrin Wittich-Jung und Pfarrer Martin Jung telefonieren. Sie sind von 11:00 bis 12.00 Uhr unter der Telefonnummer 05692-2382 zu erreichen.

Lieder des Gottesdienstes:
1. EG 449, Strophen 1, 3 und 4: Die güldne Sonne
2. EG 365, Strophen 1-3: Von Gott will ich nicht lassen
3. EG 638, Strophen 1-3: Ich lobe meinen Gott
4. EG 178.12: Kyrie Eleison (Fürbitten)
5. 
EG 171, Strophen 1-4: Bewahre uns Gott, behüte uns Gott

 

Predigt nachlesen:

I
Seit Tagen hat sie das Gefühl, nicht mit sich im Reinen zu sein. Schon bei kleinen Malheurs verliert sie die Fassung. So wie letzte Woche zum Beispiel: Ihre jüngste Tochter stößt ihr Milchglas um. Die Milch läuft über den Frühstückstisch – Zeitung, Schulheft, alles mit Milch begossen. Eigentlich keine große Sache, aber sie fängt einfach an zu weinen. An anderen Tagen hätte sie vielleicht geschimpft: "Pass doch auf. Du alberst auch nur rum. Hol ein Tuch und wisch das weg." Aber heute kamen einfach die Tränen.

Im Moment ist ihr alles zu viel. Dabei dachte sie: Dieses Jahr wird es etwas ruhiger. Privat und beruflich. Aber sie macht sich Sorgen über die Zukunft: Beruflich will sie sich weiterentwickeln und sucht neue Herausforderungen. Den Blick auf das Konto wagt sie nur noch selten: Die Ausgaben sind gestiegen und manchmal weiß sie einfach nicht, wie sie am Ende des Monats noch über die Runden kommen soll.

Sie sorgt sich nicht nur um ihre familiäre Situation. Auch die Weltlage findet sie erdrückend. Und wenn sie zum Handy greift, überrollen sie die Nachrichten über Klima, Kriege und die politische Situation in Deutschland, aber auch in den USA. Sie fühlt sich gestresst. Atemlos. Die Gedanken über ihre Zukunft und die ihrer Kinder lassen sie nicht zur Ruhe kommen, auch oft nachts. Sie wacht auf und kann schlecht wieder einschlafen. Ihr Gedankenkarussell dreht und dreht sich. Wenn sie dann morgens aufsteht, ist sie wie gerädert, und die Gedanken der Nacht spuken noch in ihrem Kopf und in ihrem Herz.

Letzte Woche war es einfach zu viel. Das Glas Milch auf dem Frühstückstisch, und sie hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. "Ich war irgendwie wie panisch in dem Moment", denkt sie. Ich komme nicht mehr zur Ruhe, bekomme nichts geregelt.

Eigentlich braucht sie einen "Pause-Knopf". Den würde sie einfach drücken, wenn ihr die Welt und all das andere zu viel und zu laut sein würde. Und dann würde die Welt einen Moment stillhalten. Die Stimmen im Kopf würden verstummen. Die Nachrichten wären für den Moment 

einfach aus. Die Sorgen hätten sich verzogen, und sie könnte aufatmen.

In dem Moment spürt sie: So geht es nicht weiter. Sie muss auftanken. Luft und Kraft.

Sie erinnert sich an einen solchen Atem-Hol-Moment: Damals hat sie sich wirklich eine Auszeit gegönnt. So richtig. Einmal raus aus dem Leben und zwei Tage nur für sich. Sie ist dafür ins Kloster gegangen und hat sich in den Rhythmus von Gebet, Stille, Meditation und Gespräch eingefügt. Damals hatte sie das Gefühl, dass die Welt und die Probleme draußen vor dem Kloster geblieben sind. Und in ihr war Ruhe eingekehrt. Als sie nach zwei Tagen wieder im Alltag angekommen ist, fühlte sie sich gestärkt und irgendwie frei.

Aber jetzt geht das nicht so einfach. Wer passt auf die Kinder auf? Sie überlegt, wie sie eine Atempause einbauen könnte.

Sie schnappt sich den Hund, der muss sowieso mal raus. Die beiden gehen zum See. Das Handy hat sie zuhause gelassen. Frau und Hund laufen durch die Natur. Es ist ruhig. Die Enten und Gänse schnattern. Ab und an sieht sie einen Fisch im Wasser glitzern. Als sie an einer Bank vorbeikommen, hält sie an. Sie blickt auf das Wasser. Hört die Natur um sich. Sie atmet ein paar Mal tief ein und aus. Spürt dem Atem nach, wie er durch den Körper in ihre Lungen fließt und wieder raus geht. Ein und aus. Der Brustkorb weitet sich. Ihr Kopf wird frei. Nur sie, der Hund, der See und ihr Atem. Sie ist ganz ruhig. Findet für den Moment neue Kraft und Energie.

II
 

In der Bibel gibt es eine Geschichte, die vom Luft holen erzählt. Es geht um Elia. Er ist ein Prophet. Er hat von Gott den Auftrag bekommen, die Menschen wachzurütteln und nach Gottes Geboten zu leben. Die Menschen seiner Zeiten beten den Gott Baal an. Elia soll seine Landsleute daran erinnern: Der Gott Israels ist der einzige Gott. An ihn sollen sie glauben.

Elia lebt zur Zeit von König Ahab und Königin Isebel. Die beiden verehren den Gott Baal. Elia kritisiert und verurteilt das. Das gefällt Königin Isebel überhaupt nicht. Es kommt zu einem großen Konflikt. Sie will Elia umbringen lassen.

Elia läuft um sein Leben. Voller Angst flieht er Hals über Kopf in die Wüste. Er ist am Ende seiner Kräfte. Hinzu kommen Schuldgefühle: In seinem Eifer für Gott hat er sich brutal 

verrannt. Und so legt er sich unter einen Ginsterstrauch und will nur noch sterben. Völlig erschöpft schläft er ein.

 

Elia wünscht sich einen ultimativen "Pause-Knopf". Dann würde seine Welt einfach stillstehen. Die Schuldgefühle würden leiser. Gott würde für diesen Moment einfach still werden. Denn von ihm will Elia gerade nichts hören. Einfach Ruhe. Luft holen.

Er liegt da im Schatten des Strauchs und in der Hitze. Rührt sich nicht. Die Nacht bricht herein, es wird kalt und Elia liegt einfach nur reglos da.

Aber Gott überlässt Elia nicht sich selbst. Er schickt einen Engel zu ihm.
Der Engel rührt Elia an und sagt zu ihm: "Steh auf und iss!"
Und Elia sieht das Brot und das Wasser, das der Engel ihm hingestellt hat.

Er isst und trinkt und legt sich wieder schlafen. Der Engel kommt ein zweites Mal und rührt Elia an. Er spricht zu ihm: "Steh auf und iss, denn du hast einen weiten Weg vor dir." Gott hat also einen Auftrag für Elia und überlässt ihn nicht seinem Schicksal: "Du wirst noch gebraucht. Sammle Kraft. Und vor allem: Sammle Hoffnung." Fürs Erste ist das genau das, was er jetzt braucht. Er spürt, wie sein Atem ruhiger wird. Wie die Enge im Brustkorb weicht und er leichter Luft holen kann.  Elia isst, trinkt und steht auf. Er geht los. Elia spürt: Ich kann wieder Luft holen und habe neuen Mut.

Kraft kommt in sein Herz und in seine Seele. Vielleicht breitet sich in der Stille der Wüste in Elias Herz die Gewissheit aus: Gott geht mit mir.

III
Es gibt ganz unterschiedliche Momente, in denen Luft holen guttut – und verschiedene Wege, um wieder zu Atem zu kommen.

Die eine geht erstmal mit dem Hund eine Runde raus und spürt, wie ihr die Natur und die Ruhe Kraft geben. Dieser Luft-Hol-Moment passt in den Alltag und lässt sich ohne großen Aufwand finden. Wenn sie nach dem Spaziergang nach Hause kommt, sind die Probleme nicht weg. Aber sie ist zur Ruhe gekommen, kann Dinge klarer sehen und wird gelassener.

Beim Propheten Elia ist das dramatischer. Es gibt Situationen, die ich nicht alleine bewältige. Da braucht es jemanden, die 

sagt: "Du bist so gehetzt und gestresst. Kann ich etwas tun, damit es dir besser geht und du wieder Luft holen kannst?" Dieser Mensch wird mir sozusagen zum Engel. Ein Engel, der hilft, die Panik zu vertreiben.  

In Krisen kommt es auf Elementares an: Wasser und Brot. Und das Gefühl: Jemand hört zu, ist da, macht neuen Mut.

Elia hört auf den Engel. Er isst und trinkt. Schläft. Nachdem er ein zweites Mal gegessen und getrunken hat, steht er auf und macht sich auf den Weg. Er nimmt die Hilfe an und atmet befreit auf.

Vielleicht entdecke ich in dieser Passionszeit für mich Momente zum Luft holen. Ich hoffe auf Möglichkeiten, durch die mir Gott konkret erfahrbar wird. Ich wünsche mir Menschen, die neben mir sind und mich daran erinnern, nicht in Hektik, Resignation oder Panik zu verfallen, sondern frische Luft und frischen Mut zu schöpfen. Vielleicht werde ich ja auch zu solch einer Helferin.

Und ich hoffe auf Momente, die wie ein "Pause-Knopf" sind:

Vielleicht ist es der Gottesdienst am Sonntagmorgen oder die Passionsandacht unter der Woche.  

Die evangelische Fastenaktion "7 Wochen ohne" drückt in diesem Jahr den "Pause-Knopf" "7 Wochen ohne Panik – Luft holen" ist das Motto. Und ich brauche das in diesem Jahr besonders. Bewusst mit den Nachrichten des Tages umgehen, sich nicht ängstigen vor dem, was da kommt, und durchatmen. Dazu lädt die Aktion ein.

Ich glaube: Unser Atem kommt von Gott. Schon vor aller Zeit hat er dem Menschen den Odem, den Atem eingehaucht. Dieser Atem ist da, ohne mein Zutun. Manchmal muss ich das bewusste Atmen wieder üben. Dafür ist in den nächsten sieben Wochen Zeit. Ich fange heute damit an.  

Meinen Atem lasse ich fließen. Spüre, wie er ein- und ausströmt. Mein Geist wird ruhig. Und noch bevor die Gedanken geformt sind, werden sie zum Gebet. Ich spüre Gottes Geist und seinen Segen. Hoffnung macht sich in mir breit und der Gedanke: "Das wird schon."  

Der Atem fließt und damit ist Gott auch in mir. Gestärkt kehre ich in den Alltag zurück. Die Momente zum Luft holen, die möchte ich in meinen Alltag einplanen. Dann hat Panik keinen Platz. Sondern Gott und die Hoffnung.

Amen. 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

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Kontakt zur Sendung

Pressekontakt:
Pfarrerin Claudia Rudolff
Evangelische Beauftragte für den Hessischen Rundfunk
Telefon 0561 9307151
Email: claudia.rudolff@ekkw.de
 

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