"Dranbleiben und Durchhalten"

Amandus-Kirche Bad Urach

"Dranbleiben und Durchhalten"
Gottesdienst-Live-Übertragung aus der Amandus-Kirche in Bad Urach
22.05.2022 - 10:05
19.05.2022
Dekan Michael Karwounopoulos
Über die Sendung

Was kann der einzelne Mensch ausrichten gegen die Gewalt des Krieges oder die Zerstörung der Natur? Dekan Michael Karwounopoulos spricht in seiner Predigt davon, wie Beten in aktuellen Krisenzeiten helfen kann. Die musikalische Leitung hat Kantor Armin Schidel.

 

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Predigt zum Nachlesen

I

 

Liebe Gemeinde,

Canossa - das ist ein Ort in Italien. Vielleicht kennen Sie den Namen aus einem Sprichwort: dem „Gang nach Canossa.“ Der Gang nach Canossa ist der Gang zu einem unangenehmen Termin, zu einem Gespräch, bei dem man einen Fehler zugeben muss. Politiker vor einem Untersuchungsausschuss zum Beispiel oder ein Schulkind, das zum Rektor muss, oder auch ich selbst, wenn ich mich bei jemandem entschuldigen sollte. Canossa ist zum Sinnbild für Buße und erhörte Bitte geworden. Ursprünglich steht dahinterein Streit, der vor fast 1000 Jahren stattgefunden hat. Kaiser Heinrich der IV. und der Papst von Rom waren damals erbitterte Feinde gewesen. Der Papst hatte schließlich den Kaiser aus der Kirche ausgeschlossen, was damals sehr schlimm war. Da zog der Kaiser Heinrich mit seinem ganzen Heer über die Alpen nach Italien nach Canossa. Dort hielt sich der Papst gerade auf - und bekam dann auch ordentlich Angst vor einem Angriff. Aber kurz vor Canossa ließ der Kaiser seine Soldaten zurück. Er legte seine königlichen Kleider, zog das Hemd eines Büßers an und setzte sich vor die Burg des Papstes in den Schnee. 3 Tage lang soll es der mächtige Kaiser ausgehalten haben. Drei Tage lang hat der Kaiser nicht locker gelassen, hat den Papst um Vergebung gebeten und Buße getan. Er hat nicht locker gelassen, so lange, bis der Papst schließlich nachgegeben hat - und so kam es  zur Versöhnung, und der Streit zwischen Papst und Herrscher wurde beigelegt.

 

Liebe Gemeinde, Kaiser Heinrichs Gang nach Canossa ist ein Beispiel, wie  inständiges, beinahe unverschämtes und penetrantes Bitten zum Erfolg führt. Der Kaiser war sich nicht zu schade, drei Tage lang im Schnee um Vergebung zu bitten - und er hat damit Frieden erreicht.

Inder Bibel ist zu lesen, dass Jesus das ganz ähnlich sieht, wenn es ums Beten geht. In der Schriftlesung war es zu hören. Beten heißt: Dran bleiben, dem lieben Gott inständig und beinahe unverschämt penetrant in den Ohren liegen. So wie der Mann seinem Freund, den er mitten in der Nacht aus dem Bett holt.  Das Gleichnis Jesu zeigt: Auch Gottes Herz lässt sich erweichen. Auch von Gott lassen sich so manche Dinge erbitten im Leben. Und wer Ausdauer hat beim Beten, der kommt zum Ziel.

 

Halt. Stopp. - Ich könnte mir vorstellen, dass manche von Ihnen, liebe Gemeinde, das jetzt denken. „Gott erfüllt meine Bitten, wenn ich nur penetrant genug bete?“ Warum leiden Menschen dann noch an Krankheiten? Warum hören die Kriege auf der Welt nicht sofort auf - wo doch so viele Menschen inständig um Frieden bitten? Viele Menschen machen diese Erfahrung mit dem Beten. Und ich denke, ganz am Anfang des Gleichnisses ist diese andere Erfahrung auch zu finden. Da sagt der Freund: „Die Tür ist schon zugeschlossen! Ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben!“

Haben Sie vielleicht solche Gebetserfahrungen auch schon gemacht? Ich bete und komme mir vor als ob ich vor einer verschlossenen Tür stehe. Ich bete um Heilung der Krankheit, aber die Krankheit schreitet unaufhaltsam fort. Ich bete für meine Kinder und für ihren Glauben, aber sie gehen andere Wege. Ich bete um Erweckung und Erneuerung und Stärkung des Glaubens in meiner Gemeinde, aber es bewegt sich scheinbar nichts; das Gemeindeleben, der Hauskreis, die Jugendgruppe dümpelt so vor sich hin. Ich bete um dies und das, vielleicht eine lange Zeit, aber die Türen der Gebetserhörung scheinen verschlossen zu sein. Ich komme nicht über die Türschwelle. Und da scheint mir – wie im Gleichnis – einer von der anderen Seite zuzurufen: Jetzt nicht! So nicht! Dieses Gebet wird nicht erhört! Ich kenne einige Menschen, die an den scheinbar verschlossenen Türen Gottes verzweifelt sind und nicht mehr glauben konnten.

Es ist zum Verzweifeln, wenn man in Not ist und niemand da, der hilft. Wenn Gott scheinbar nicht einmal zuhört.

 

Manche geben das Beten deshalb auf - ich kann das verstehen. Und umso mehr staune ich über Menschen, die verzweifeln und trotzdem nicht aufgeben. Trotzdem immer weiter zu Gott rufen - trotzig und beinahe unverschämt penetrant. Was diese Menschen antreibt, das möchte ich mit Ihnen nach einem kleinen Zwischenspiel anschauen.

 

II

 

Jesus fordert uns auf, beharrlich und hartnäckig zu Gott zu beten. Ihm in den Ohren zu liegen mit meinen Anliegen, so lange, bis Gott mich endlich hört. Aber was, wenn nicht? Ist Beten eine Illusion? Und warum beten Menschen trotzdem immer weiter - selbst wenn sie am Verzweifeln sind und kurz davor, aufzugeben?

Ganz früh in der Geschichte der Christenheit lebte ein Mann namens Antonius. Bei ihm habe ich nachgelesen, denn er war Mönch und berühmt dafür, dass er sein ganzes Leben der Hingabe und dem Gebet zu Gott geweiht hatte. Von Antonius wird erzählt, dass er mit mieser Stimmung und düsteren Gedanken in der Wüste saß und zu Gott betete: „Herr, ich will richtig glauben und das richtige tun. Hilf mir doch, damit ich das schaffe und mich nicht immer von unwichtigem Zeug ablenken lasse!“ Aber Antonius bekam von Gott keine Antwort, so sehr er auch betete. Antonius war frustriert. Aber dann beobachtete er einen Mann, der ebenfalls betete. Der Mann betete, dann setzte er sich an seine Arbeit, flocht an einem Seil, erhob sich dann wieder zum Gebet und immer so weiter.Und siehe“, so der Bericht, „dieser Mann war ein Engel des Herrn, den Gott zu Antonius geschickt hatte“ „Mache es genau so“ war seine Botschaft. Gehe deinem Leben nach und bleibe dran am Gebet. Und du wirst merken, dass Gott dir sehr wohl zuhört. Die Erzählung berichtet: „Als Antonius das hörte, wurde er mit Freude und Lebensmut neu erfüllt!“

Was steckt hinter dieser Geschichte, habe ich mich gefragt. Was hat Antonius geholfen? Warum hat er seine Zuversicht zurückbekommen? Anscheinend hat sich doch gar nichts verändert in seinem Leben - außer vielleicht seiner Einstellung. Antonius hat aufgehört, Gott zwingen zu wollen. Er hat wieder angefangen zu arbeiten. Er hat sein Leben weitergeführt, anstatt nur seinen Gedanken nachzuhängen. Und gleichzeitig hat er den Alltag immer wieder unterbrochen, hat gebetet und ist an Gott dran geblieben.

Antonius hat die Erfahrung gemacht: Wer betet, darf im Leben nicht stehen bleiben. Ihm wurde der Weg gezeigt: Arbeite an deiner Gebetserhörung.

Antonius geht diesen Weg. Und damit folgt er der Verheißung aus dem Gleichnis. „Ich sage euch“, sagt Jesus, „Und wenn er schon nicht aufsteht und ihm etwas gibt, weil er sein Freund ist, dann wird er doch wegen seines unverschämten Drängens aufstehen und ihm geben, soviel er bedarf!“

Welch eine Verheißung hinter den scheinbar verschlossenen Türen zu Gottes Herz: Am Ende wirst du als inständiger Beter nicht nur irgendetwas bekommen, sondern soviel du brauchst, so viel du bedarfst! Und genau das hat Antonius erlebt: Er hat nicht das bekommen, worum er gebeten hat. Und trotzdem hat er nun, was er gebraucht hat: Einen Weg. Einen Weg raus aus der Verzweiflung. Er hat Zuversicht bekommen und neuen Lebensmut - genau das, was nötig war. Aus Gottes Sicht. Vielleicht bekommst du nicht alle deine Wünsche erfüllt, denn ein Gebet ist kein Wunschzettel. Vielleicht bekommst du nicht alles so, wie du es dir in deinen Gedanken vorstellst.

Aber halte fest am Gebet. Nimm dir den Freund aus dem Gleichnis oder den Mönch aus der Wüste zum Vorbild für dein Gebet, das unter der großen Verheißung Gottes steht: „Bittet, so wird euch gegeben!“

Am Ende meiner Predigt möchte ich trotzdem nicht darüber hinweg reden, dass viele Menschen an Gott verzweifeln - trotz allen Betens. Die Krisen unserer Zeit sind schrecklich, und Zuversicht ist für die Opfer des Krieges fast unmöglich geworden. Viele können einfach nicht mehr beten. Aber wir können es. Und ich will es tun: Als demütiger, aber beharrlicher Beter vor Gott treten.

Lasst uns dabei nicht müde und verzweifelt werden, wenn wir beten, sondern diese Ausdauer des Gebets als unsere Glaubenshaltung annehmen. Gott schenkt uns, was wir brauchen: nämlich die Kraft, nicht aufzugeben. Die Zuversicht, etwas gegen das Unrecht tun zu können, damit wir am Ende die Wunder Gottes spüren und erleben und sehen und sagen können: Gott hat mir geholfen. Gott hat mich erhört! Und Gott hat es – so wie er es gemacht hat – gut gemacht mit meinem Leben.

Amen

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

 

19.05.2022
Dekan Michael Karwounopoulos