Nun lob, mein Seel, den Herren

St. Johann in Bremen-Oberneuland

Foto: Till von Rennenkampff

Nun lob, mein Seel, den Herren
Rundfunkgottesdienst aus St. Johann in Bremen-Oberneuland
08.09.2019 - 10:05
18.07.2019
Pastor Frank Mühring
Über die Sendung

„Nun lob, mein Seel, den Herren“

Der Liedtitel ist das Motto des evangelischen Rundfunkgottesdienstes, den der Deutschlandfunk am Sonntag, 8. September, aus der Kirche St. Johann in Bremen-Oberneuland überträgt.

Im Zentrum der Predigt steht ein Mensch, der nur wenig Grund zum Loben hat. Seine Beine sind gelähmt. Auf wundersame Weise lernt er das Gehen. Er wird angesehen und aufgerichtet. Eine Wundergeschichte.

Von Lähmungserscheinungen spricht man auch im übertragenen Sinn.

30 Jahre nach der Maueröffnung stagniert in Deutschland das Zusammenwachsen von Ost und West. Wie können wir die unsichtbaren Mauern zwischen uns überwinden? Auch unsere Kirche ist in ihrer Kommunikation nicht barrierefrei. Eine Kirchensprache, die nur Eingeweihte verstehen, verhindert oft den Zugang aller zum Loben Gottes.

Gott zu loben öffnet die Augen und weitet den Blick auf die Welt. Lässt erkennen, was es heißt, unteilbar zu Gott zu gehören. Stärkt Hoffnungen und richtet Menschen auf.  

Die Predigt hält Pastor Frank Mühring. An diesem „Sonntag des Orgelklangs“ spielt Kantorin Katja Zerbst die Ahrend-Orgel in St. Johann. Daneben spielt der Bläserchor der Evangelischen Kirchengemeinde Oberneuland unter Leitung von Rudi Lörinc.

 

 

Folgende Lieder werden im Gottesdienst gesungen:

„Die güldne Sonne“ EG 444,1-4

„Nun lob mein Seel den Herren“ EG 289,1+2+4

„Danket dem Herrn“ EG 333,1-6

„Nun Lob, mein Seel, den Herren“ EG 289, 5

 

 

Gottesdienst nachhören

 

Den Gottesdienstmitschnitt finden Sie auch direkt unter http://www.deutschlandradio.de/audio-archiv.260.de.html?drau:broadcast_id=122

Predigt zum Nachlesen

Petrus aber und Johannes gingen hinauf in den Tempel … .

Da wurde ein Mann herbeigetragen, der war gelähmt von Mutterleibe an; den setzte man täglich vor die schöne Pforte des Tempels, damit er um Almosen bettelte bei denen, die in den Tempel gingen.

Als er nun Petrus und Johannes sah, … bat er sie um eine milde Gabe.

Petrus aber blickte ihn an mit Johannes und sprach: Sieh uns an!

Und er sah sie an und wartete darauf, dass er etwas von ihnen empfinge.

Petrus aber sprach: Silber und Gold habe ich nicht; was ich aber habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi von Nazareth: Du, steh auf und geh!

Und er fasste ihn bei der rechten Hand und richtete ihn auf. Sogleich wurden seine Füße und Knöchel fest, er sprang auf, konnte stehen und gehen und ging mit ihnen in den Tempel, lief und sprang umher und lobte Gott.

(Apostelgeschichte 3,1-8)

 

Liebe Hörerin, lieber Hörer, liebe Gemeinde!

 

In den Wundergeschichten kann man zuschauen, wie der Glaube laufen lernt. Hier in der Apostelgeschichte hat sich der Glaube verkleidet. Er versteckt sich unter der Maske eines bedürftigen Bettlers. Er sitzt wie gelähmt draußen vor der Tür und kommt nicht rein. Seit Jahren ist der christliche Glaube nicht mehr so recht auf die Füße gekommen. Ist hier und da aus Tempel und Kirche ausgewandert und sitzt jetzt allein auf der Straße. Eigentlich soll der Glaube lebendig sein, Freude ausstrahlen, Menschen begeistern und sich auf die Socken zu den Leuten machen. Alle erwarten das von ihm. Doch das funktioniert irgendwie nicht mehr so. Jedenfalls nicht auf Knopfdruck. Stillstand pur. So sieht es aus zu Beginn in unserer Geschichte mit dem Glauben. Nichts läuft mehr.

 

Wenn jemand bei uns in Bremen einen Lauf hat und von Herzen glücklich und zufrieden ist, sagt man meist nur ein Wort: „Läuft.“ Aber wenn wir unglücklich mit der Welt sind und uns unwohl fühlen in unserer Haut, dann grummeln wir: „Muss.“

 

Wenn der unbekannte Gelähmte gefragt würde, wie es ihm jetzt geht, würde er knapp antworten: „Muss“. Seine Seele ist müde geworden mit den Jahren. Das Beten zu Gott hat er bereits vor Jahren aufgegeben. Was ändert es schon, denkt er. Dennoch liegt er jeden Tag am Jerusalemer Tempel. Immer die gleiche gebückte Haltung, die Augen zu Boden gerichtet.

 

Ausgerechnet an der „schönen Pforte“ ist sein Stammplatz. Aber das Leben des namenlosen Kranken ist nicht schön. Jeden Tag tragen ihn Verwandte oder Freunde hierher. Ihre Unterstützung ist begrenzt. Morgens fix anziehen, dann trägt man den Gelähmten an seinem Platz. Abends wieder zurück, mehr als eine halbe Stunde darf es keinesfalls kosten. „Viel Glück!“ Und dann geht jeder seine Wege. „Muss.“ Alle Helferinnen und Helfer denken sich im Stillen: „Gott bewahre, dass mir so ein Schicksal wie ihm da blüht.“ Nur weg von hier. Hoffnungslosigkeit kann wie ein Virus ansteckend sein.

 

Eigentlich ist der Gelähmte Gott schon ziemlich nahe. Mit seinem Sitzplatz hat er das ersehnte Ziel, Gottes Nähe und Hilfe, schon fast erreicht. Er sitzt schon fast auf den Stufen zum Tempel. Er hört, wie da zu Festzeiten für Gott gesungen und zu ihm gebetet wird. Dann klingen freudige Lobgesänge und fröhliche Töne durch die Luft. Manchmal kommen die Leute ganz verändert heraus. Aufrecht und gerade. Wenn er mal hochschaut, kann der Gelähmte sie mit eigenen Augen sehen.

 

Nach einem kleinen Almosen jener Glücklichen streckt er sich. „Seht doch mich armen Menschen, helft!“ Aber mit Kleingeld ist ihm nicht geholfen. Nicht mal mit reichlich Gold oder Silber. Volles Leben, das wäre für ihn: echt dabei sein, dazugehören, von anderen als gleich anerkannt sein. Leben, lachen, laufen, Barrieren überwinden. Das wäre eine prima Alternative. Doch der Glaube läuft nicht von allein. Er ist manchmal unheimlich schwach und todmüde. Wie gelähmt. Dann braucht er Hilfe von außen.

 

 

An dem unbekannten Gelähmten können wir erkennen, dass unser Glaube Zeiten hat, wo er wie gelähmt ist. Wo er an allem zweifelt. An sich selbst, an Gott, an der Hoffnung auf bessere Zeiten. Dann fragst du dich, ob Gott es überhaupt gut mit dir meint. Das ist normal.

 

Lähmungen können da entstehen, wo Menschen sich unverstanden fühlen. Die Wahlen in Sachsen und Brandenburg haben gezeigt, dass viele Bürgerinnen und Bürger im Osten unzufrieden sind. Es läuft schlecht. Der Zusammenhalt von früher fehlt. 30 Jahre nach der friedlichen Wende fühlen sie sich abgehängt, zu wenig in den Blick genommen, vom Rest der Republik vergessen. Erfolge sind hier und da zu sehen, ihr Leben ist zweifellos besser geworden. Aber dennoch wabert eine Wolke der Unzufriedenheit umher. Kein Wunder, wenn man pauschal als „Ossi“ mit Rechtsdrall gebrandmarkt wird. Wenn bei dir im Dorf der Bäcker zumacht, die Arztpraxis schließt und die netten Nachbarn wegziehen, würde bei jedem von uns die Leere um sich greifen. Hoffnung kann nur da ins Laufen kommen, wo wir genau hinschauen. Den Leuten Zeit geben, sich selbst etwas aufzubauen. Die kleinen Fortschritte wertschätzen. Dazu braucht man Kümmerer, die länger bleiben als nur zum Kurzbesuch.

 

Wenn der Glaube ins Laufen kommen soll, ist es klug zu wissen, wie es nicht geht. Als der Dichter Robert Gernhardt schwer krank ist und im Hospital liegt, ist er genervt. Der Ausgang seiner Sache ist völlig ungewiss. Doch nicht das zerrt an seinen Nerven. Die gedankenlosen Sprüche der Gesunden quälen ihn. Das vermeintlich aufmunternde Gerede der Verwandten: „Wird schon werden.“ „Siehste, läuft doch.“ Nicht jede Lähmung kann überwunden werden. Nicht jede Krankheit verspricht sofortige und schnelle Besserung. Gernhardt dichtet:

 

Was sagt man dem, der’s nicht mehr packt?

Man kommt nicht weiter mit „Halt dich steif“,

man fährt nicht gut mit „Weiter so“,

man scheitert mit „Das gibt sich“.

 

Da sagt man doch am besten nichts.

Nicht „Halb so schlimm“, nicht „Renkt sich ein“,

nicht „Da muss jeder einmal durch“,

schon gar nicht „wird schon werden“.

(Aus Robert Gernhardt, Krankheit als Schangse, in: Ges. Gedichte, S. 885)

 

Mit Schulterklopfen und Umarmungen können tiefe Lähmungen weder in Ost noch in West nicht überwunden werden. Auch nicht mit Worten, die Gerede bleiben. Es braucht Hilfe von außen, damit der Glaube und die Hoffnung wieder laufen lernen.

 

 

An dem Gelähmten zeigt sich eine tiefere Krankheit, die uns alle betrifft. Von uns aus können wir nicht zu Gott kommen. Es braucht Hände, die uns zu ihm hintragen. Menschen, die uns eine Tür zum Glauben öffnen. Helferinnen und Scouts, die für uns Wege zu Gott suchen und uns ein Stück darauf begleiten. Es braucht eine Gemeinde, die sich nicht nur für die Starken und Gesunden und deren Gold und Silber interessiert, sondern auch die Schwachen und Fußlahmen im Blick hat. Die mehr Zuwendung benötigen als die Schnellen und Flotten. Es braucht den heiligen Geist, eine Kraft, die auch Fußlahme wieder auf die Beine bringt. Zum Glauben finde ich nur durch andere, die mit mir von den großen Möglichkeiten des Glaubens reden. Die Zeit investieren, mir die gute Nachricht nahezubringen. Menschen wie Petrus und Johannes, die die Geschichte ins Rollen bringen. Sie stehen für die vielen Haupt- und Ehrenamtlichen unserer Kirche und Diakonie, die täglich solch bienenfleißige Basisarbeit tun. Durch sie kommt der Glaube in Bewegung.

 

Petrus und Johannes, vielleicht steht dieses Duo für die Kirche und die Diakonie. Sie bleiben vor dem Gelähmten stehen. Einen Augenblick länger als die anderen Leute bleiben sie stehen. „Sieh uns an,“ fordern sie ihn auf. Er hebt seinen Kopf. Das Wunder der durchbrochenen Lähmung beginnt mit dem genauen Hinsehen. Damit, dass einer angesehen wird. Nicht nur kurz und routinemäßig. Die Welt wird sich verändern, wo es Menschen gibt, die nicht nur fernsehen, sondern hinsehen. Die die ungelebten Träume und Sehnsüchte des Gelähmten lesen können. Die sich Zeit nehmen, sich in einen anderen Menschen einzufühlen. Wer andere in Not aufrichtet, richtet sich selber auf.

 

Gesehen werden. Nicht mit dem flüchtigen Blick eines Menschen, der nur vorüber eilt. Aufmerksamkeit ist gegenwärtig eine knappe Ressource. Schrill und laut wird um unseren Augenkontakt geworben. Dabei übersehen wir leicht die Leisen und Stillen. Die mit der verschämten Armut und verborgenen Krankheit. Die Unauffälligen und Bescheidenen. Wir werden ihnen unterwegs auf unserem Weg zu Gott begegnen.

 

„Im Namen Jesu Christi, du, steh auf und geh!“ Petrus und Johannes reichen dem Gelähmten eine Hand. Sie ziehen ihn hoch, und er steht von allein. Der Gelähmte schüttelt das alte Leben ab, springt umher und lobt Gott. Aus der Lähmung ist ein Aufbruch geworden.

 

Wie ist das geschehen, dass seine Füße und Knöchel fest werden? Geht das nicht auch an anderen Stellen dieser Welt? Es gibt Fragen, die auch die Bibel offen lässt. Das Wunder bleibt ein Geheimnis. Wichtig ist: Jesus ist das Passwort für ein neues Level von Leben. Mit ihm springt, geht, singt und lobt unser Glaube. Jedes Wunder wartet aber darauf, von uns mitgenommen zu werden in unser eigenes Leben. Es ist der Name Jesus, der den Glauben zum Laufen bringt. Er versteht dich. Er kennt dich. Er schaut nicht auf das, was dir fehlt. Was dein Defizit ist und was du nicht kannst. Er sieht schaut durch dich hindurch und sagt dir, wer du in Wirklichkeit bist: Du bist ein geliebtes Kind Gottes. So lernt der Glaube laufen!

 

In einem Gedicht mit dem Titel „Passwort“ von Andreas Knapp lese ich die Zeilen:

 

jeder mensch

ein verwunschener turm

von sich selber

hinter schloss und riegel gebracht

bewegungsmelder lösen alarm aus

komm mir nicht zu nah

unübersehbar das warnschild

vorsicht bissiger mensch

keine brechstange

kein raffinierter dietrich

nur ein schlüsselwort

zärtlich gesprochen

DU

 

Amen.

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

18.07.2019
Pastor Frank Mühring