Sing ein Lied – für Gott!

Ev. Rundfunkgottesdienst aus der Friedenskirche Essen
Sing ein Lied – für Gott!
Ev. Rundfunkgottesdienst aus der Friedenskirche Essen
29.04.2018 - 10:05
07.02.2018
Pfarrerin Hanna Mausehund
Über die Sendung

Evangelischer Rundfunkgottesdienst am Sonntag Kantate, 29. April 2018 aus der Friedenskirche in Essen-Steele live im Deutschlandfunk um 10.05 Uhr

 

„Kantate“ heißt übersetzt: „Singet!“. Viele Menschen singen gerne: Wenn sie begeistert mitsingen beim Live-Konzert oder im Fußballstadion, wenn sie „viel Glück und viel Segen“ anstimmen am Geburtstag, oder wenn das Enkelkind zur Ruhe kommen soll und in den Schlaf gesungen wird. Singen belebt, Singen beruhigt, Singen verbindet – auch mit Gott. Davon erzählt der Gottesdienst mit den biblischen Texten, der Predigt – und mit viel Musik. Musikalisch gestaltet wird der Gottesdienst am Sonntag Kantate von dem Madrigalchor Königssteele und dem Bläser-Ensemble „Hora Decime“. Die musikalische Leitung hat Thomas Rudolph, die Predigt hält Pfarrerin Hanna Mausehund.

 

Im Mittelpunkt steht dabei eine Geschichte von den Aposteln Paulus und Silas (Apg 16,22-34). Die beiden geraten ins Gefängnis. Ihre Lage ist eigentlich aussichtslos. Aber sie halten zusammen, sie beten, sie singen. Am Ende kommen sie frei. So mancher fühlt sich auch heute festgesetzt – nicht unbedingt im Gefängnis, aber doch wie gefangen. Wie das gehen kann: Ausbrechen aus dem, was gefangen hält… Die Blickrichtung ändern auf das, was möglich ist… Darum geht es in diesem Gottesdienst.

 

Die evangelische Kirchengemeinde „Königssteele“ liegt mitten im Stadtteil Essen-Steele. Ihre Geschichte reicht bis ins 17. Jahrhundert zurück. König Friedrich I unterstützte die evangelische Minderheit, daher rührt der Name „Königssteele“. 1872 wurde die Friedenskirche als neue evangelische Kirche eingeweiht. Es ist eine schlichte, Emporenhalle in neugotischem Stil. Auch heute ist „Königssteele“ eine lebendige Gemeinde: 1989 wurde neben der Kirche ein neues Gemeindezentrum gebaut. 2006 wurde eine neue Orgel in Dienst genommen, 2008 wurden die alten Kirchenbänke durch Stühle ersetzt. Das macht verschiedene Gottesdienstformen, Veranstaltungen und Konzerte möglich.

 

Die Gemeinde will etwas bewegen, denn niemand soll festsitzen im eigenen Leben: Sie betreibt eine Kindertagesstätte und ein Kinder- und Jugendhaus, regelmäßig werden Familiengottesdienste gefeiert. Die Gemeinde arbeitet eng mit den diakonischen Einrichtungen des Martineums zusammen. So befinden sich auf dem Kirchengelände 41 Wohnungen für ältere Menschen. Jede Woche öffnet eine Sozialberatung ihre Türen im Gemeindezentrum.

 

Gottesdienst nachhören

 

Den Gottesdienstmitschnitt finden Sie auch direkt unter http://www.deutschlandradio.de/audio-archiv.260.de.html?drau:broadcast_id=122

Predigt zum Nachlesen
 

Liebe Gemeinde!

Singen tut gut! Singen macht den Kopf frei und lässt die Seele hüpfen. Das weiß nicht nur, wer im Chor singt. Das weiß eigentlich jeder, der das Singen mal probiert, allein unter der Dusche oder gemeinsam mit anderen. „Rudelsingen“ ist zurzeit total angesagt. Man trifft sich an einem öffentlichen Platz, in einer Kneipe, einem Gemeindehaus, einem Stadion, und singt zusammen, laut und wie entfesselt: Schlager, Hits aus den Charts, Volkslieder. Und erlebt: Egal wie die eigene Stimme klingt, Singen befreit. Und macht riesigen Spaß.

 

Manche Lieder haben die Welt verändert. Etwa die Lieder der Reformation. Findige Leute wie Martin Luther haben einfach auf bekannte Melodien neue Texte geschrieben. So verbreiteten sich die reformatorischen Gedanken in Windeseile. Ob die Reformation noch aufzuhalten sei, fragten hier und da die Fürsten oder Bischofe. Oft hieß es dann: Nein, sie singen schon.

 

Oder denken Sie an die Lieder der Wende-Zeit. Auch sie waren für viele entscheidend wichtig. Weil sie die Hoffnung auf Veränderung nährten, über Monate. 1989 sind Lieder wie „Wind of change“ von den Scorpions und auch das kirchliche „Vertraut den neuen Wegen“ entstanden. Sie transportieren die Aufbruchsstimmung dieser Zeit.

 

Singen hat so viele Facetten. Vom Trällern bis zum barocken Choral, vom Kinderlied bis zum Protestsong.

Kantate heißt der Sonntag heute. Kantate Domino. Singt dem Herrn! Das ist eine Aufforderung, eine Einladung. Mach mit. Sing ein Lied von Gott!

 

Der Predigttext klingt wie ein Kommentar dazu. Es ist ein Abschnitt aus der Apostelgeschichte. Erzählt wird zunächst, wie die Apostel Paulus und Silas in die griechische Stadt Philippi reisen, um dort das Evangelium zu predigen. Sie treffen da ziemlich rasch auf eine Frau, die für Geld die Zukunft voraussagt. Eine Wahrsagerin. Sie tut das nicht freiwillig, sondern auf Druck einiger Männer, denen sie gehört und die mit ihrem Talent viel Geld verdienen. Sie ist eine Sklavin, eine Gefangene, und sie sind wie ihre Zuhälter. Paulus holt die Frau aus ihrer Abhängigkeit, er heilt sie im Namen Jesu vom Wahrsagenmüssen. Er macht sie frei – und löst damit einen Skandal aus. Die Männer fühlen sich ausgetrickst. Ihre Geldquelle versiegt. Wutentbrannt zetteln sie einen Aufstand an. Es gelingt ihnen, die beiden Apostel vor Gericht zu zerren. Hören Sie, was weiter erzählt wird in Kap. 16, 22-34:

 

Die Menge tobte, und die Stadtrichter ließen ihnen die Kleider herunterreißen und sie auspeitschen. Nach vielen Schlägen aber ließen sie die beiden ins Gefängnis abführen und befahlen dem Gefängniswärter, sie sicher zu verwahren. Der warf sie daher in die innerste Zelle und schloss ihre Füße in den Holzblock.

Um Mitternacht aber beteten Paulus und Silas, sangen ein Lied und rühmten Gott, und die Gefangenen hörten zu. Da plötzlich bebte die Erde, die Grundmauern des Gefängnisses wurden erschüttert, die Türen sprangen auf, und die Fesseln der Gefangenen brachen aus den Wänden und lösten sich. Der Gefängniswärter fuhr aus dem Schlaf, und als er sah, dass die Türen des Gefängnisses offen standen, zog er das Schwert und wollte sich töten, denn er meinte, die Gefangenen seien geflohen.

Da rief ihm Paulus mit allen Kräften zu: „Tu dir nichts an! Wir sind alle hier!“ Er ließ sich eine Fackel geben, sprang in die Zelle hinab und warf sich in zitternder Angst vor Paulus und Silas zu Boden. Er führte sie hinaus und fragte sie: „Ihr Herren, was muss ich tun, damit ich das Heil finde?“ „Glaube an Jesus, der der Herr ist“, antworteten sie, „dann wirst du das Heil finden mit deinem ganzen Haus.“ Und sie sagten und deuteten ihm, was Gott gesagt hatte, und redeten mit ihm und allen seinen Angehörigen und Bediensteten. Er aber nahm sie in jener nächtlichen Stunde zu sich, wusch ihnen die Blutspuren der Geißelhiebe ab und ließ sich und alle, die zu ihm gehörten, auf der Stelle taufen. Er führte sie in sein Haus, deckte ihnen den Tisch und freute sich mit den Seinen, dass er nun Gott gefunden hatte.

 

Das klingt wie im Märchen. Aber schauen wir genau hin: Sie sitzen im Gefängnis, Paulus und Silas, in der innersten Zelle, ein dunkles, kaltes, feuchtes Loch, stelle ich mir vor, halbnackt, die Füße fixiert. Sicherheitsverwahrung mit Schmerzgarantie. Gezeichnet von der Folter sind sie, von der Wut der Leute. Ihr Schicksal ist ungewiss: Wird man sie gehen lassen morgen früh oder wartet der Tod? Sie wissen es nicht. Alles ist möglich. Und die Nacht ist lang. Die Nacht, in der die Ängste groß werden, die Gedanken kreisen, Panik in der Tür steht. Das Herz hämmert wie wild, der Atem geht flach, Schweiß bricht aus. Was wird werden?

 

Wenigstens hat man sie nicht getrennt. Zusammen geblieben sind sie, Gott sei Dank, sie spüren sich im Dunkeln, hören den Atem und die Bewegungen des anderen, wissen: ich bin nicht allein. Und vielleicht ist das schon Grund genug, es nicht nur zu denken, sondern auch in Worte zu fassen, in Töne, in ein Lied: Gott sei Dank!

Um Mitternacht aber beteten Paulus und Silas, sie sangen ein Lied und rühmten Gott.

Ich mag kaum glauben, dass die zwei singen können. Jetzt, in dieser Situation. An diesem gottverlassenen Ort. Wo einem die Töne doch eher im Hals stecken bleiben. Sie aber singen, sie singen für Gott, und zwar so laut, dass auch die anderen Gefangenen sie hören. Was in aller Welt bringt sie zum Singen?

Mir fallen die Lieder der schwarzen Sklaven in den USA ein, die Spirituals. Das sind alles Lieder zum Durchhalten, Hoffnungslieder, Bekenntnislieder. We shall overcome some day: wir werden es schaffen, eines Tages. Let my people go: lass mein Volk gehen. Sie singen sie immer wieder, trotz der Demütigungen durch ihre weißen Herren. Sie singen sie trotzig, voller Glauben, unerschüttert.

Wer so singt, ändert die Blickrichtung. Weg von sich, hin zu Gott. Von der Erde zum Himmel. Von den Fesseln, dem Dreck, dem Schmerz hin zu etwas anderem, Größeren. Wer so singt, gibt ab, legt das Eigene in Gottes Hand. Trotzig, vertrauensvoll, vielleicht als letzten Rettungsanker. Und es bewegt sich was. Der enge Raum beginnt sich zu weiten.

 

Eine Freundin erzählt mir, wie sie eine MRT-Untersuchung mit ungewissem Ergebnis durchhielt: „Eingesperrt in diese enge Röhre habe ich die ganze Zeit Psalm 23 gebetet: Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Immer wieder von vorn. Der Herr ist mein Hirte. Wie ein Mantra. Und es half. Ich wurde ruhiger.“

 

Singen und beten bewirken etwas. Der Verfasser der Apostelgeschichte, Lukas, beschreibt Unglaubliches:

 

Da plötzlich bebte die Erde, die Grundmauern des Gefängnisses wurden erschüttert, die Türen sprangen auf und die Fesseln der Gefangenen brachen aus den Wänden und lösten sich.

 

Das klingt wirklich unglaublich, es erinnert mich spontan an die Ostergeschichte, wo auch von einem Erdbeben erzählt wird. Als Jesus von den Toten aufersteht, bebt die Erde, der Stein, der das Grab verschließt, wird von Engeln beiseite gewälzt, die Wachen fallen um wie tot. Will Lukas sagen, dass Paulus und Silas „ihr Ostern“ erleben mitten im Gefängnis? Auferstehung? Aus dem Tod ins Leben? Aus der Angst in eine innere Freiheit, die sie über sich hinauswachsen und Gott loben lässt?

 

Wir wissen von Menschen, denen in Extremsituationen solche innere Freiheit geschenkt wird. Dietrich Bonhoeffer, Paul Schneider, zwei Pfarrer der Bekennenden Kirche. Sie starben im KZ. Mithäftlinge erzählen, dass sie trotz ihrer aussichtslosen Lage anderen Mut machten, aus ihrem Glauben heraus. Obwohl sie selber auch Zweifel kannten – sie beteten, sangen, riefen ihren Mithäftlingen Trostworte zu. Und wurden gehört.

 

Ich erlebe bei Besuchen am Sterbebett oft, welche Kraft das Singen von Liedern haben kann. Der sterbende Mensch entspannt sich, atmet ruhiger – und es breitet sich ein Frieden über den Raum und über alle, die dabei sind.

 

So stelle ich es mir vor auch bei Paulus und Silas im Gefängnis von Philippi. Ein Frieden breitet sich aus. Ein inneres Freisein, das nach außen wirkt – erst auf die Mithäftlinge, dann sogar auf den strengen Gefängnisaufseher. Der erlebt seine eigene Befreiung, sein eigenes Ostern. Überwältigt davon, dass niemand der ihm übergebenen Gefangenen geflohen ist, fragt er nach: Was muss ich tun, damit auch ich so frei werde? Innerlich frei? Und das Heil finde? Und dann hört er, was Paulus zu sagen hat, hört die frohe Botschaft von Jesus und lässt sich taufen mit seinem ganzen Haus und kann sich darüber riesig freuen.

 

Die wenigsten von uns wissen, wie es ist, im Gefängnis eingesperrt zu sein. Doch es gibt auch Gefängnisse, die nicht aus Steinen gebaut sind. Davon können die meisten erzählen. Sorgen können gefangen halten. Angst kann wie eine Fessel sein. Eine Krankheit, eine Behinderung. Eine Beziehung kann zum Gefängnis werden; Sucht, Einsamkeit. Man kann sich eingesperrt fühlen, auch ohne inhaftiert zu sein. Und manchmal sind die Mauern verdammt hoch. Wie befreiend ist es, wenn dann eine den Mut findet, sich zu trennen, nachdem sie schon viel zu lange in der Beziehung gefangen war. Wie befreiend, wenn jemand lernt die Blickrichtung zu ändern und dann vor allem auf das schaut, was er kann und was ihm möglich ist und nicht auf das, was nicht geht.

 

Es gibt keine Garantie für ein Erdbeben, das alles von Grund auf verändert. Nicht alle Geschichten enden so glücklich wie Lukas weitererzählt: Paulus und Silas verlassen die Stadt am nächsten Tag als freie Männer. Manchmal bleibt äußerlich alles beim Alten. Und trotzdem bewegt sich was. Der Raum weitet sich. Weil ein Mensch die Blickrichtung ändert, auf Gott schaut und sich ihm ans Herz legt. Mit einem Lied, einem Gebet. Oder einem Schweigen. Es werden nicht immer Lobeshymnen sein, die wir singen; es dürfen auch Klagelieder sein, manchmal müssen es Klagelieder sein, Wutworte, Fragen.

 

Kantate Domino. Sing ein Lied von Gott. Das ist eine Einladung, eine Aufforderung, die gedeckt ist von der Erfahrung: Gott hört. Gott sieht. Durch Mauern hindurch. Und er bewegt etwas. Der enge Raum beginnt sich zu weiten.

Amen.

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.

07.02.2018
Pfarrerin Hanna Mausehund