Vor 80 Jahren wurde Dietrich Bonhoeffer im Konzentrationslager Flossenbürg als Gegner der Nazidiktatur hingerichtet. Mit einem Gottesdienst aus der KZ-Gedenkstätte erinnert die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern an den Theologen sowie an die mit ihm Ermordeten.
Bonhoeffer war nicht nur im Widerstand gegen das NS-Regime. Auch der Kirche seiner Zeit hat er ins Gewissen geredet: "Wer gregorianisch singt, muss auch für die Juden schreien!" Er sah es als seine Christenpflicht an, sich für Jüdinnen und Juden einzusetzen.
Der Gottesdienst in Flossenbürg steht unter dem Motto "grenzenlos hoffen". Darin wird Florian Höhne, Vorsitzender der Internationalen Dietrich-Bonhoeffer-Gesellschaft und Professor für Medienkommunikation, mit Originalzitaten Bonhoeffers Leben und Denken nacherzählen.
Jugendliche aus Schweden, Tschechien und Deutschland beschreiben, was ihnen Hoffnung macht. Liturgin ist Pfarrerin Carmen Riebl. Die Predigt hält Landesbischof Christian Kopp. Er zeigt, dass Bonhoeffer bis heute eine Inspirationsquelle bleibt. Uwe Steinmetz und Band werden bekannte Bonhoeffer-Lieder spielen und mit Spirituals zur Hoffnung anstiften.
Lieder des Gottesdienstes:
1. EG 452, Strophen 1 und 2: Er weckt mich alle Morgen
2. Taizé-Lied: Gott, lass meine Gedanken sich sammeln zu dir
3. EG 426, Strophen 1 bis 3: Bitte um Frieden, Gerechtigkeit
4. El mansejo - Hört die Botschaft
2. EG 65: Von guten Mächten treu und still umgeben
Die Liedblätter und Gebete finden Sie am Tag des Gottesdienstes auch online unter: Liedblatt online
National Archives Washington
Predigt nachlesen:
Dietrich Bonhoeffer. Einer, der weiß, wie hoffen geht. Er trägt die Hoffnung in seinem Namen: Bon-Hoffer! Ich habe Freude daran, ihn so zu nennen. Weil er mir zeigt, wie grenzenlos hoffen geht.
Er hat es vorgelebt. Er hat es gespürt: Die Nazis würden ihn nicht am Leben lassen. Den Tod vor Augen schreibt er im Gestapo-Gefängnis in Berlin im Dezember 1944 für seine Verlobte Maria von Wedemeyer, für seine Eltern und Geschwister trotzdem ein Gedicht, das von einer grenzenlosen Hoffnung spricht. Gott ist bei uns, was kommen mag. Ganz gleich, was die bösen Gewalten dieser Welt uns antun, Gottes gute Mächte umgeben uns.
Das Gedicht wurde zu einem Lied, das bis heute vielen Menschen Zuversicht gibt. Wir werden es vor dem Segen noch miteinander singen: "Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag."
Keine vier Monate später, am Abend des 8. April 1945 – es war der Sonntag nach Ostern - bringen die Nazis Bonhoeffer hierher ins Konzentrationslager Flossenbürg. Am Morgen des 9. April um 6 Uhr früh erhängen sie ihn und weitere Angeklagte des Attentatsversuchs auf Hitler.
Hoffnung bedeutet nicht: Alles wird gut. Das hat Bonhoeffer nicht erwartet. Hoffnung heißt: Ganz gleich, wie es ausgeht, ob gut oder böse, ich bin nie von Gott verlassen. Ich bleibe von guten Mächten wunderbar geborgen.
Grenzenlos hoffen. Aber hallo, bitte ja! Das ist der Grund, warum wir heute hier sind und Gottesdienst feiern. Wir befinden uns in einer anderen Situation als Bonhoeffer damals. Wir leben in einem anderen Europa. Gott sei Dank. Und doch passt grenzenlos hoffen in unsere Zeit. Krieg in der Ukraine. Aufrüstung wird überall diskutiert und beschlossen. Politikerinnen und Politiker sprechen viel über Grenzen und wie überlastet ihre Länder sind mit der Aufnahme von Frauen, Männern und Kindern auf der Flucht. Viele Menschen zweifeln daran, dass das Gute und Hilfreiche im Leben wächst.
Die Zuversicht, dass die Freiheiten größer werden, ist geschrumpft. Die Angst ist gewachsen, dass die weltweite Ungerechtigkeit sich noch mehr ausweitet.
Umso wichtiger sind Menschen wie Dietrich Bonhoeffer, die auch 80 Jahre nach ihrem Tod unvergessen sind. Er hinterlässt uns dieses Vermächtnis: Christinnen und Christen hoffen grenzenlos. Über die menschengemachten Grenzen hinaus. Und das grenzenloseste Hoffen – das geht sogar über die Grenze des Todes hinaus.
Wie er wohl darüber denken würde, was wir hier machen? Jugendliche aus ganz Europa kommen zusammen, um sich mit seinem Denken, Glauben und Leben zu beschäftigen. Wie würde Bonhoeffer es finden, dass wir hier und heute über seine Idee von der Hoffnung sprechen? Kann man machen, so stelle ich mir vor, würde Bonhoeffer sagen. Braucht es aber nicht. Achtet mal besser darauf, dass ihr diese Hoffnung spürt. Und als hoffnungsvolle Christinnen und Christen lebt und handelt.
An einem Ort wie hier in Flossenbürg von Hoffnung zu reden – das wirkt besonders befremdlich. Hier waren die Unmenschlichkeit und die Grausamkeit, der Hass und die Hetze zu Hause. Die Hoffnung zu überleben, durchzukommen, ein neues Leben beginnen zu können, mussten so viele Männer und Frauen hier begraben. Sogar Kinder und Jugendliche.
Deshalb ist Flossenbürg heute ein wichtiger Erinnerungsort, an dem wir für immer sagen: Never ever. Das darf nie wieder passieren. Das gehört zum Erbe von Dietrich Bonhoeffer. Und es gehört zu allen Menschen, die hier in Flossenbürg von den Nationalsozialisten ermordet wurden. Hier und an vielen anderen Orten steht unsichtbar überall geschrieben: Niemals wieder. Und nie wieder die Hoffnung begraben. Sie lebendig halten. Im Herzen, unter der Haut, zwischen den Fingern und Stimmbändern….
Ich möchte diese Hoffnung mitnehmen, wenn ich Flossenbürg wieder verlasse: Die Hoffnung, dass nie wieder Menschen anderen Menschen solche Grausamkeiten antun. Dass wir zusammenstehen und die Würde jeder einzelnen Person schützen Wir sind viele, die hoffen. Und es ist gut, viel und groß und mit langem Atem zu hoffen.
Von einigen Stationen aus dem Leben Dietrich Bonhoeffers haben wir in diesem Gottesdienst bereits gehört.
Für mich ist er ein Mensch, den ich bewundere, ohne ihn gekannt zu haben. Seine tiefe Menschlichkeit. Seine Lebensfreude. Dieser sehr eigene Charakter, die vielen Talente. Wie beharrlich hat er Widerstand geleistet gegen Unrecht und Unmenschlichkeit! Weil für ihn klipp und klar feststeht: Jeder Mensch hat eine unverlierbare Würde.
Weil Gott jeder und jedem Würde gibt. Das ist das jüdisch-christliche Glaubensbekenntnis. Bonhoeffer ist ein Vorbild in einer Welt, in der es Vorbilder schwer haben. Denn diese Grundüberzeugung steht gerade wieder unter Druck.
Manche nennen ihn auch einen "evangelischen Heiligen". Mir gefällt das.
Dietrich Bonhoeffer kommt aus einer Familie, die sich schon immer für die Gesellschaft interessiert hat. Für andere. Auch wenn die Bonhoeffers in Berlin eher selten in die Kirche gegangen sind, sind sie christlich geprägt. So hat er von Anfang an Menschen um sich, die ihm einen weiten Blick auf die Welt ermöglichen. Er sieht auch früh ihre Abgründe: Sein Bruder stirbt im Ersten Weltkrieg. In seinem Jahr in den USA erlebt er Rassismus: Die Weißen grenzen die Schwarzen Amerikaner aus. Auf den Straßen in New York sieht er offene Armut. Das weckt sein Bewusstsein für die Ungerechtigkeit und für die Aufforderung der Bibel: Tretet für Gerechtigkeit ein!
So will er als Christ "dem Rad in die Speichen fallen". "Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen." Klar. Bildhaft. Einprägsam. So macht es Bonhoeffer dann selbst. Nimmt es auf mit Staat und Kirche. Beiden redet er ins Gewissen. Er gehört in der damaligen evangelischen Kirche zu den wenigen, die sich für Jüdinnen und Juden einsetzen. Und meint: Fromm sein allein, fromme Lieder singen und beten ist nicht genug. Ein Glaube, der die Menschen vergisst, der sich in die Innerlichkeit zurückzieht und die Weltgestaltung anderen überlässt, kann sich nicht auf Jesus Christus berufen. Glauben und Tun des Gerechten gehören zusammen. So sagt er es. Das gilt nach wie vor.
Für mich ist Dietrich Bonhoeffer so besonders, weil er sich unter äußerem Druck und in eigener Notlage nicht davon abhalten lässt, immer auf die Hoffnung zu setzen. Von diesem Hoffnungsmenschen will ich mir was abschauen. Grenzenlos hoffen lernen. Bonhoeffer ist ein Bon-Hoffer.
Selbst im Gefängnis vertraut er darauf: Gute Mächte umgeben mich, "treu und still", ich bin "behütet und getröstet wunderbar". Auf wunderbare, stille Weise ist Gott da und leuchtet. Wie ein einzelnes Licht im dunkelsten Traum. Das tröstet. "Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht."
Das ist ein Hoffnungswissen, vielleicht ein anderes Wort für Glauben. Bonhoeffer weiß und glaubt und hofft auf Gott.
Und auf die guten Mächte, die uns wunderbar bergen. Er lässt offen, was und wer die guten Mächte sind. Es können die Menschen sein, die ich liebe und die mich tragen in guten wie in bösen Tagen.
Manche stellen sich die guten Mächte konkret vor als Engel, die sie begleiten. Im Neuen Testament wirkt Jesus mit Gottes guten Mächten, wenn er Menschen heilt, böse Geister vertreibt, Wogen glättet und den Sturm stillt.
"Von guten Mächten wunderbar geborgen". Vermutlich ist es genau dieser universale, gar nicht spezifisch religiös-christliche Gedanke von den mich immer begleitenden guten Mächten, der so vielen aus dem Herzen spricht. Auch religiös Uninteressierte interessieren sich für gute Kräfte. Das macht "Von guten Mächten" für viele zu einem Lieblingslied.
Hoffnung ist für Bonhoeffer immer Erwartung. Die Erwartung, dass Gott handelt. Die hohe Erwartung, dass diese Welt nicht am Ende ist. Die tiefe Erwartung: Ich werde nicht im Tod untergehen. Ich werde auferstehen und leben. Das ist ja wohl die größte Hoffnung überhaupt! Das ist der Glaube, den wir teilen und weitergeben und feiern. Heilsamer Hoffnungsglaube.
"Ein Glaube, der nicht hofft, ist krank", sagt Bonhoeffer in einer Predigt. "Er ist wie ein hungriges Kind, das nicht essen, oder wie ein müder Mensch, der nicht schlafen will. So gewiss der Mensch glaubt, so gewiss hofft er. Und es ist keine Schande zu hoffen, grenzenlos zu hoffen."
Der christliche Glaube bedeutet Leben und Handeln aus der Hoffnung heraus. "Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist." Wenn Kirche so ist, dann öffnet sie neue Perspektiven für Menschen. Sie ist – hoffentlich – ein Hoffnungsort. Eine starke Gemeinschaft für Hoffnungsmenschen.
Also, liebe Gemeinde: Grenzenlos hoffen. Und wie geht das, also ganz praktisch? Bonhoeffer hat das Lesen in der Bibel geholfen und täglich beten, meditieren. Den angehenden Pfarrern in seinem Seminar hat er empfohlen: Meditiert jeden Tag 30 Minuten. Es hilft. Auch für das grenzenlos hoffen.
Ich übe und stärke meine Hoffnung, indem ich mir immer wieder die gleichen Sätze sage. Sätze aus der Bibel wie: Gott, du bist meine Zuversicht. Du stellst meine Füße auf weiten Raum. – Dann werde ich wieder ruhig und schöpfe neue Hoffnung für das, was jetzt vor mir liegt.
Für Bonhoeffer war das Jetzt wichtig.
Lebe jetzt. Lass Hoffnung wachsen. Grenzenlos.
Los. Lasst uns im Vertrauen auf Gott grenzenlos hoffen.
Amen
Es gilt das gesprochene Wort.
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