Altar der Dreieinigkeitskirche in Stuttgart-Vaihingen
"Woher kommt Hilfe für mich?"
Rundfunkgottesdienst aus Stuttgart-Vaihingen
20.09.2020 10:05

„Woher kommt Hilfe für mich?“ Das ist die Frage, mit der in der Dreieinigkeitskirche in Stuttgart-Vaihingen Gottesdienst gefeiert wird. Pfarrerin Miriam Hechler und ihr Team nehmen damit Fragen auf, die sie in diesem ungewöhnlichen Sommer gehört haben: von ängstlichen Älteren, von Kindern, die ihre Freunde vermisst haben, von angestrengten Eltern, von genervten jungen Leuten. Die Predigt will dazu Antworten geben, ausgehend vom biblischen Psalm 121.

Auch die Musik des Gottesdienstes orientiert sich an diesem Psalm. Unter anderem werden drei Psalmvertonungen von Felix Mendelssohn-Bartholdy zu hören sein. Vaihingen ist ein Stadtbezirk von Stuttgart im hochgelegenen Südwesten der Landeshauptstadt. Mit 45.000 Einwohnern hat Vaihingen die Größe einer mittleren Stadt.  Seit 1970 sind in Vaihingen die meisten Institute der Universität Stuttgart angesiedelt.

 
 
Predigt zum Nachlesen

Wenn ich vor einem Berg stehe, verlässt mich manchmal der Mut. Ich sehe, wie hoch der Berg ist, und denke mir: Da muss ich hoch? Wirklich? Schaffe ich das denn? Oder gehen mir unterwegs die Kräfte aus?

Vielleicht hat der Verfasser des Psalms 121 eine ähnliche Erfahrung gemacht. Der Psalm hat die Überschrift „Ein Wallfahrtslied“. Ein Lied zur einer Pilgerwanderung also. Er beginnt so:

„Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen – woher kommt mir Hilfe?“ (Psalm 121,1-2) Der Verfasser sieht die Berge vor sich, und auch ihn verlässt der Mut. Aber er fragt sich nicht, schaffe ich das. Sondern: „Woher kommt Hilfe für mich?“ Er vermutet, dass seine eigene Kraft nicht reichen wird.

 

Manches erscheint mir gerade wie ein großer Berg, im übertragenen Sinn. Es ist so vieles unklar im Herbst. Die Schule hat nun auch im letzten Bundesland angefangen. Wie wird das werden, fragen sich viele. Wie wird das werden, wenn das Wetter schlechter wird, wenn es draußen kalt ist, und alle sich wieder drinnen aufhalten und treffen. Ich denke an eine Freundin, deren Tochter in der Grundschule überhaupt nicht klar gekommen ist mit der Isolation daheim. Aber auch an die Jugendlichen aus unsrer Kirchengemeinde, die endlich ihre Konfirmationen feiern wollen. An manche Ältere, denen die Einsamkeit zu setzt, die sich aber nicht trauen, unter Leute zu gehen. An Familien, deren Kinder zu einer Risikogruppe gehören, und die Angst haben, jemand könnte das Virus bei ihnen einschleppen. An die Bekannte, deren Laden sich gar nicht mehr so recht lohnen will.

Woher kommt Hilfe für mich?

 

Für den Beter ist die Sache schnell klar: „Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.“ Er hofft also auf Hilfe von Gott. Ich stelle mir vor, wie sein Blick sich erhebt und er sich das selbst sagt. Und dabei ruhiger und zuversichtlicher wird. Der Beter kennt diesen Gott und seine Hilfe bereits. Er sieht auf das, was hinter ihm liegt. Was er alles schon geschafft hat. Durch welche schwierigen Situationen er schon hindurch begleitet wurde. Was am Ende doch noch gut geworden ist – auch wenn es vorher schlecht ausgesehen hat.

Jetzt schaut er auf das Ziel am Horizont – das ist das, wo Himmel und Erde sich berühren. Und das ist das, was beides von Gott geschaffen und gestaltet wurde. Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat. Meine Hilfe kommt von dem, der weiß, wie die Dinge zusammengehören. Gott kennt das Gelände, er weiß, was ein guter Weg sein könnte und wo auch Tücken sind. Er ist schon eine lange Strecke mit ihm gegangen. Der Beter vertraut auf Gottes Weisheit und auf seine Möglichkeiten.

 

 

Keine schlechte Idee, denke ich. Am Anfang, wenn ich vor dem Berg stehe, mir das bewusst zu machen. Dass es mehr gibt, außer meiner eigenen kleinen Welt. Den Blick bewusst zum Himmel erheben und diese Erkenntnis in mich einsinken lassen

 

Ein Mensch ist unterwegs durch sein Leben. Wie der Pilger, der über seinen Weg nachsinnt Je länger er nachdenkt, desto mehr fällt ihm ein, was er aus seiner Tradition kennt. Er fängt an, sich selbst zu ermutigen mit diesen Worten.

Er (der HERR) wird deinen Fuß nicht gleiten lassen, und der dich behütet, schläft nicht. Siehe, der Hüter Israels schläft noch schlummert nicht. Der HERR behütet dich; der HERR ist dein
Schatten über deiner rechten Hand, dass dich des Tages die Sonne nicht steche noch der Mond des Nachts. (Psalm 121, 3-6)

Diese Verse sind wie ein Selbstgespräch. Der Pilger geht sehr konkret durch, was für Gefahren auf dem Weg lauern könnten, und wie Gott ihn konkret behüten kann. Dass er nicht ausrutscht, fällt und sich verletzt. Dass er Tag und Nacht beschützt wird. Dass Gott wie ein angenehmer Schatten über ihm ist und ihm so die stechende Sonne nichts anhaben kann.

 

Ich finde das nicht so leicht zu glauben. Dazu bekomme ich zu viel mit, wie Menschen sich verletzen, körperlich, und im übertragenen Sinn. Auch Menschen, die an Gott glauben. Es ist ja nicht so, dass man völlig unbeschadet durchs Leben geht. Ich denke zwar, dass im Vergleich zu vielen anderen Ländern der Welt in Deutschland noch immer wenig Gefahren auf mich warten. Allgemein lebe ich doch recht sicher. Aber mein Gefühl, dass alles irgendwie schon in Ordnung kommt, ist auch erschüttert durch die Bilder und Nachrichten der letzten Monate.

Trotzdem wirken diese Worte wohltuend auf mich. Vielleicht, weil es so geprägte Worte sind, mit einem bestimmten Rhythmus und Klang. Weil dahinter Erfahrungen vieler Menschen mit Gott stehen, über die Jahrhunderte hinweg. Weil sie mich hinein nehmen in diese Tradition des Glaubens. Und mein Vertrauen stärken, dass Gott über meinem Leben wacht und es gut mit mir meint. Weil diese Worte zu dem Gedankenkreisen in mir neue Gedanken dazu stellen.

Manche Pilger nehmen so ein geprägtes Bibelwort für den Tag sogar auf einem Zettel mit und tragen ihn mit sich herum. Nehmen ihn immer mal wieder hervor. Und irgendwann begleiten die Worte einen dann so, dass man sie im Rhythmus der eigenen Schritte begleiten. Dass man sie wie eine Melodie im Ohr hat.

 

Vielleicht haben Sie auch ein Bibelwort oder ein Lied, dass Sie ab und zu hervorkramen. Manche haben ja ihren Konfirmationsspruch vorne in ihrer Bibel stehe. Oder einen Liedvers, der gerahmt ist und an der Wand hängt. So fällt der Blick immer mal wieder darauf. Das kann einen positiv heraus reißen aus den trüben Gedanken und einem neuen Mut geben. Dann kommt dort her Hilfe für mich: aus der Tradition des Glaubens und von dem her, was mir einmal wichtig geworden ist. Von dem, wie ich Gott erfahren habe in meinem Leben.

 

Am Ende des Psalms kommt ein Segensspruch: Der HERR behüte dich vor allem Übel, er behüte deine Seele. Der HERR behüte deinen Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit! (Psalm 121, 7-8)

Der Herr behüte dein Gehen und dein Wiederkommen. Als ich letztes Jahr selbst pilgern war, wurde unsrer Pilgergruppe ein Segenswort gesagt. Dass wir begleitet und behütet sein sollen auf dem Pilgerweg. Der Pfarrer vor Ort hat diesen Segen gesprochen. Und uns damit gesagt: Gott wird uns begleiten. An diesem Tag, auf dem Weg, den wir vor uns haben.

Der Pilger, der den Psalm betet, war offensichtlich allein unterwegs Ich finde, diese Segensworte, die Erinnerung an Gottes Begleitung, die unterbrechen das Alleine-Unterwegssein. Solchen Segen kann ich mir auch nicht selbst zusprechen, den höre ich von jemand anderem. Dazu brauche ich die anderen, dass sie mich mit Segensworten an Gott erinnern.

An wichtigen Punkten des Lebens sprechen wir Menschen in der Kirche Segen zu – bei einer Taufe, bei der Hochzeit den Trausegen, aber auch bei der Konfirmation oder am Anfang eines Schuljahres. An vielen Orten mussten solche großen Gottesdienste dieses Jahr verschoben werden. Oder sie konnten gar nicht stattfinden. Das tut weh, denn gerade jetzt wäre doch Gottes Segen etwas, was einem Mut machen könnte. Woher Hilfe für mich kommen könnte. Womit ich gestärkt wäre für den neuen Lebensabschnitt.

 

Dass Gottes Segen gut wäre, denke ich auch, wenn ich mir Sorgen mache um andere. Um Menschen, die mir wichtig sind. Ich glaube aber, dass ich so einen Segen auch selbst für meine Lieben sprechen kann. Manche machen das tatsächlich, wenn ihr Kind das Haus verlässt und zur Schule geht. Sie sprechen einen Segen oder machen ein Kreuz auf die Hand oder die Stirn. Ich denke aber, wenn einem das zu seltsam vorkommt, kann man das auch gut in Gedanken machen. Manchmal kann man ja aus dem Fenster noch etwas hinterher sehen. Dann könnte man in Gedanken sprechen: Der Herr behüte deinen Ausgang und Eingang, er behüte dein Gehen und dein Wiederkommen. In diesem Moment merke ich, dass ich nicht nur selbst von Gott behütet bin, sondern auch die anderen. Meine Kinder, die Enkel, die Partnerin, der Freund. Dann kann ich sie mit einem guten Gefühl gehen lassen und denke nicht so viel nach, was alles passieren könnte. Das hilft mir, loszulassen, und mich meinen eigenen Aufgaben zuzuwenden.

 

Woher kommt Hilfe für mich – woher kommt Hilfe für uns? Für mich sind es die geprägten Worte des Glaubens und die Erfahrungen mit Gott, die dahinterstehen. Sie erinnern mich daran, dass ich behütet bin, nicht, weil mir gar nichts passieren kann, sondern weil der Gott des Himmels und der Erde mein Leben insgesamt in seiner Hand hält. Mit allen Schwierigkeiten, mit allen leichteren Momenten. Das sind Worte aus der Bibel oder Lieder und Melodien, die mir Halt geben und mich begleiten. Manche nur für einen Moment, andere einige Tage lang. Und wieder andere helfen mir ein Leben lang. Amen.

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Dlf Gottesdienst