Das Fest des Lebens

Wort zum Tage
Das Fest des Lebens
06.06.2016 - 06:23
11.01.2016
Pfarrer Thomas C. Müller

Wenn ich erst einmal in Rente bin, dann werde ich endlich anfangen zu lesen.

 

Wenn ich erst einmal diesen Stress hinter mir habe, dann werde ich mehr Zeit für mich haben.

 

Wenn ich erst einmal dieses Projekt abschließen kann, dann werde ich entspannter sein und das Leben mehr genießen können.

 

„Wenn ich erst einmal“ – ich gebe zu, dass ich sehr oft in diesem Zeitmuster denke. Freilich: Ist der eine Stress vorbei, kommt schon der nächste. Und so reiht sich ein „Wenn ich erst einmal“ an das andere.

 

Die Bibel erzählt, wie Jesus einmal mit anderen am Tisch sitzt und plötzlich einer von seinen Tischgenossen aufsteht und feierlich sagt: „Selig ist, der das Brot isst im Reich Gottes.“ Was so viel bedeutet wie: „Wenn ich erst einmal im Himmel wäre!“ Und man kann regelrecht sehen, wie sein Blick in einem großen Bogen hinübergleitet in eine ferne Zukunft. Ja, wenn einmal alle Lasten, alle Mühsal, alle Verpflichtungen von einem genommen wären, dann wäre alles gut. Aber jetzt? Jetzt habe ich nicht viel zu lachen, jetzt ist das Leben Mühsal und Pflicht.

 

Jesus reagiert darauf, indem er eine Geschichte erzählt. Sie handelt von einem Menschen, der ein Festmahl ausrichten wollte. Kurz vor Beginn des Festes sagten seine Gäste ab. Der Erste entschuldigte sich, weil er gerade einen Acker gekauft hatte, den er sich anschauen wollte. Der Zweite hatte ein Gespann Ochsen erworben und der Dritte hatte geheiratet. Alle hatten aus ihrer Perspektive gute Gründe abzusagen, aber im Ergebnis versäumten sie das Fest, das der Gastgeber eigentlich für sie ausrichten wollte, um sie zu erfreuen und zu stärken.

 

Dieses Gleichnis Jesu ist ein Wink mit dem Zaunpfahl an seinen Tischgenossen: Siehst du nicht, dass das Reich Gottes, dass der Himmel jetzt schon beginnt?

 

Das Fest, von dem Jesus in seinem Gleichnis redet, steht für eine neue Qualität des Lebens: dieses gegenwärtige Leben als das zu erfahren und zu erleben, was es ist: als eine wunderbare Einladung, ein großes Geschenk. Ein Geschenk Gottes, das es jeden Tag neu zu feiern gilt. Manchmal in Freude und Überschwang, manchmal auch in aller Ruhe und Stille. Alleine oder mit anderen.

 

Vielleicht kann ich heute anfangen, das Muster des „Wenn ich erst einmal“ zu durchbrechen und anfangen, diesen Tag nicht als einen Zeitabschnitt anzusehen, den ich möglichst erfolgreich abarbeiten muss, sondern als ein Geschenk, ja, warum nicht? als Teil eines himmlischen Festes. Und ich sage mir: Auch wenn manches an diesem Tag dir Mühe machen sollte, wenn du anders hinschaust, merkst du, wie reich dein Tisch gedeckt ist; gerade in dieser Jahreszeit: der Wind, die Sonne, der Gesang der Vögel, die Nähe der Menschen, zu denen du gehörst. Gott lädt dich heute ein, an seinem Tisch Platz zu nehmen.

11.01.2016
Pfarrer Thomas C. Müller