Morgenandacht
Die Lady mit der Lampe
12.05.2020 06:35
Sendung zum Nachlesen

In Florenz erblickte sie das Licht der Welt. Deshalb gaben die Eltern ihr den Namen "Florence". Am 12. Mai 1820 wurde Florence Nightingale geboren. Heute vor 200 Jahren ist das gewesen.

Florence Nightingale war die Begründerin der modernen Krankenpflege.

Als eine Grippe-Epidemie den Süden Englands heimsucht, kümmert sie sich vier Wochen lang um die Versorgung Erkrankter. Am 7. Februar 1837 schreibt sie in ihr Tagebuch: "Gott sprach zu mir und rief mich in seinen Dienst."

Sie hat nie erzählt oder aufgeschrieben, wie dieses spirituelle Erlebnis konkret abgelaufen ist. Aber das ist ja so mit geistlichen Erfahrungen: Das Resultat ist das Entscheidende. Und das Resultat ihrer geistlichen Erfahrung war: viel Hoffnung. Viel Zuwendung. Und – im wahrsten Sinne des Wortes: viel Licht.

Florence Nightingale fasst den Plan, in der Krankenpflege aktiv zu werden, gegen den Widerstand ihrer Familie. Sie sammelt Erfahrungen in einem Krankenhaus in Paris und bei den Kaiserswerther Diakonissen. Dann, während des Krimkrieges, lässt sie sich mit der Leitung einer Gruppe von Krankenschwestern beauftragen, die sich um verwundete Soldaten im heutigen Istanbul kümmert. Eine Londoner Zeitung druckt eine Darstellung Nightingales, die sie beim nächtlichen Besuch ihrer Patienten zeigt, mit einer Lampe in der Hand. Die Tochter aus gutem Hause wurde für die Öffentlichkeit zur "lady with the lamp", zur Dame mit der Lampe.

Die Bibel berichtet, dass es zur Zeit Jesu in Jerusalem einen besonderen Ort für Kranke gab. Behandelt und gepflegt wurde da nicht. Stattdessen herrschte das Gesetz des Stärkeren: An diesem Ort gab es einen Teich, der auf Hebräisch Betesda heißt. Die Kranken lagen um diesen Teich herum. Und wenn sich das Wasser bewegte – wurde der Patient gesund, der am schnellsten im Teich war.

Und nun kommt Jesus an diesen Ort. Trifft dort einen Mann, der seit 38 Jahren Heilung sucht. Vergeblich. "Ich habe keinen Menschen", sagt er. "Ich habe keinen Menschen, der mich zum Wasser bringt, wenn es sich bewegt."

Jesus heilt diesen Mann. Ganz ohne Gedränge. Ohne Wasserbewegung. Jesus hebt seine Isolation auf. Hilft ihm, in der Gesellschaft wieder Fuß zu fassen. Führt ihn ins Leben zurück.

Kritiker könnten fragen: Warum heilt Jesus nur diesen einen? Wenn er schon mal da war, hätte er ja in der ganzen Anstalt aufräumen können. Ganz so, wie später Florence Nightingale, in England und in Istanbul.

Aber mir scheint: Die eigentliche Herausforderung der biblischen Geschichte ist die Klage dieses Kranken: "Ich habe keinen Menschen".

In den vergangenen Monaten erfahren Pflegeberufe eine ganz neue Wertschätzung. Kranken- und Altenpflege hatten eine Imageproblem. Waren und sind miserabel bezahlt. Eine Schande für eine moderne Gesellschaft. Mittlerweile bezeichnet man die Pflegeberufe als "systemrelevant". Soll heißen: Ohne sie bricht der Laden zusammen. Wann, wenn nicht jetzt, ist die Zeit, dass sich das auch in anständigen Tarifverträgen zeigt!

Christen bezeichnen sich manchmal auch als "Nachfolger Jesu". Nachfolger sind aber nicht in erster Linie Leute, die für wahr halten, was in den biblischen Texten steht. Nachfolger Jesu sind Leute, die von ihm lernen. Heute, am Internationalen Tag der Pflege, zum Beispiel dies:

Wer klagt da eigentlich "Ich habe keinen Menschen"? Wen habe ich bislang überhört?

"Systemrelevant" sind nicht allein die Berufe: Banker, Mediziner, Feuerwehrleute und Pflegekräfte. Das System unserer Gesellschaft bräche zusammen, wenn diese Klagen überhört würden: "Ich habe keinen Menschen".

Den anderen wahrnehmen. Das geht auch im Small Talk am Gartenzaun. Beim Nachfragen, ob etwas gebraucht wird.

Florence Nightingale war die "Lady mit der Lampe". Jeder kann eine Leuchte sein, der diese Klagen nicht überhört: "Ich habe keinen Menschen". Auf seine Nächsten achten – das macht es hell in der Gesellschaft. So wird man ein Nachfolger des Jesus, der von sich gesagt hat: "Ich bin das Licht der Welt."

 

Es gilt das gesprochene Wort.