Johanneskirche Stuttgart
Christoph Dinkel
"Hochzeit gerettet - das Leben ist ein Fest"
Rundfunkgottesdienst aus der Johanneskirche in Stuttgart
17.01.2021 09:05
Predigt zum Nachlesen

Teil 1

Liebe Gemeinde,

 

Die Erzählung von der Hochzeit zu Kana ist eine Komödie. Bei einem Hochzeitsfest geht der Wein aus. Die Hochzeiter haben gespart, sie waren geizig. Nichts ist peinlicher als das! Eine unmögliche Situation ist entstanden. Aber zum Glück ist Rettung nahe. Maria weiß um die Wunderkräfte ihres Sohnes. S spricht ihn auf das delikate Problem an. Doch die aufkeimende Hoffnung gerät gleich wieder in eine Krise. Jesus erklärt sich für nicht zuständig: Meine Zeit ist noch nicht gekommen, sagt er zu Maria. Er will sagen: Ich tanze nicht nach deiner Pfeife. Ich handle erst, wenn ich selbst es will. Das ist eine fast pubertäre Szene zwischen Mutter und Sohn. Denn kurz darauf will der Sohn dann plötzlich doch und ordnet den Vollzug des Wunders an. Die Krüge mit Reinigungswasser werden vorbereitet. Dann wird das Wasser dem Speisemeister als Wein serviert.

 

Der Speisemeister hat von all der Aufregung und der Wundertätigkeit nichts mitbekommen. Aber er ist entzückt, weil der magische Wein viel besser schmeckt als der ursprünglich gereichte. Und dann lässt der Speisemeister einen wunderbarbaren Satz vom Stapel: „Jedermann gibt zuerst den guten Wein und, wenn sie betrunken werden, den geringeren; du aber hast den guten Wein bis jetzt zurückbehalten.“ – Das ist antiker Humor von der gröberen Sorte. Er steht jedoch in geheiligtem Kontext. Denn der Humor des Speisemeisters verleiht dem Weinwunder seine besondere Glaubwürdigkeit. Es ist ein Lacher in göttlicher Mission. Er verrät den Geist des Speisemeisters und verkündet zugleich die Ehre Gottes. Die Hochzeit ist gerettet. Eine göttliche Komödie.

 

Wunder wie das Weinwunder von Kana werden in der Antike sonst vom Weingott Dionysos erzählt. Warum überliefert uns Johannes diese Komödie als Erzählung von Jesus? Der Evangelist ist eigentlich nicht besonderer Leichtigkeit verdächtig. Seine Worte sind eher von Tiefsinn geprägt. Schwer und wie in Stein gemeißelt kommen seine Sätze daher: „Im Anfang war das Wort. Und das Wort bei Gott. Und Gott war das Wort.“ Johannes liebt die monumentale Rede. Warum hier plötzlich so viel Leichtigkeit? – Weil Johannes diese Erzählung ins Konzept passt. Sichtlich hat der Evangelist sie vorgefunden. Er arbeitet sie um und verleiht ihr einige Züge seiner charakteristischen Tiefgründigkeit. Aber vor allem fasziniert den Evangelisten, wie Jesus hier als Meister der Fülle auftritt. Dionysos hin oder her: Jesus steht in der Erzählung vom Weinwunder von Kana für die Fülle. Wo Jesus kommt, breitet sich Freude und Leben aus. Das ist auch die Botschaft des Evangelisten. Deshalb passt das Weinwunder ins Evangelium.

 

Zwischenmusik 1:

Richard Smallwood: I love the Lord

 

Teil 2

Der Wein geht aus. Die Hochzeiter haben gespart. Wie peinlich. Das ist die eine Lesart unserer Erzählung. Eine andere könnte sein: Die Hochzeiter waren arm. Sie konnten sich die große Feier mit vielen Gästen eigentlich gar nicht leisten. Sie hofften, es würde gut gehen. Aber nun wird am Weinmangel ihre Armut offenbar. Es droht die gesellschaftliche Blamage. Jesus rettet die Brautleute mit seinem Wunder davor, das Gesicht zu verlieren.

 

Der Mangel an Wein in der Erzählung steht für die Erfahrung des Mangels überhaupt. Die Fülle des Lebens ist zwar verheißen, aber oft genug erleben Menschen statt der Fülle den Mangel. Es mangelt an Geld, an Gesundheit, an Freude, an Kontakten. Im aktuellen Lockdown ist gerade dieser Kontaktmangel für viele schwer zu ertragen: in der dunklen Jahreszeit, allein in den eigenen vier Wänden, alleine mit der Angst vor Ansteckung.

 

Von Mangel könnten heute viele unter uns eine Geschichte erzählen. Der Mangel an Wein wäre da schon eher ein Luxusproblem. Wie viele Hochzeiten, Taufen und Familienfeste mussten ausfallen? Wie viele Reisen, Urlaubsaufenthalte, Besuche mussten unterbleiben? Wie viele Existenzen gerieten in den vergangenen Monaten in Gefahr, weil Aufträge und Umsätze ausfielen? Trotz aller Hilfsmaßnahmen hat die Pandemie zahlreiche Menschen und Firmen in den Ruin getrieben. Und vor allem: Über 30.000 Menschen fielen der Pandemie zum Opfer und starben. Viele werden noch lange an den gesundheitlichen Schäden zu tragen haben. Gewiss sagen manche Ältere: Der Krieg und die Flucht waren härter. Aber ein Trost ist das nicht, wenn man selbst erkrankt ist oder die eigene Existenz auf dem Spiel steht.

 

Auch abseits der Pandemie besteht an vielen Stellen Mangel: Die Warteschlangen vor den Tafelläden sind lang. Menschen auf der Flucht suchen nach Obdach. An vielen Orten herrschen schwere Not und bittere Armut. Zu all diesen Mangelerfahrungen bietet die Hochzeitserzählung von Kana einen markanten Kontrast. Mangel, Hunger und Durst haben ein Ende. Es ist genug für alle da – und nicht nur genug. Es ist von allem üppig und in großer Fülle da. Hunderte Liter allerbesten Weins lässt Jesus ausschenken – Ausdruck schierer Lebensfreude. Und das alles noch dazu bei einer Hochzeit, dem Fest der Liebe und der Lebensbejahung schlechthin. Denn neben Dionysos steckt auch ein gehöriger Schuss des Liebesgottes Amor in dieser Erzählung

 

Zwischenmusik 2:

Hans Fickelscher: Love your smile

 

Teil 3

Ziemlich genau in der Mitte des Johannesevangeliums sagt Jesus: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben in seiner Fülle haben.“ (Johannes 10,10) Was das heißt, wird im Evangelium in großen Erzählungen in Szene gesetzt. Unsere Weinerzählung macht den Anfang. Später folgt die Speisung der 5000 und die Auferweckung des Lazarus. Mit überbordenden Bildern zeigt der Evangelist, wie mit Jesus die Heilszeit Gottes anbricht. Ganz monumental sagt er es am Anfang seines Evangeliums: „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit.“ (Johannes 1,14) Mit diesem Satz fasst Johannes die Weihnachtsgeschichte zusammen. Gott kommt in seinem Sohn zu den Menschen, um sie zu retten. Das Wort ward Fleisch – solch monumentale Sätze vom göttlichen Heil wollen bebildert sein. Sie müssen anschaulich werden und lebendig. Und den Auftakt zur Veranschaulichung des Weihnachtswunders macht der Evangelist mit seiner Erzählung vom Weinwunder von Kana: Jesus ist der Meister der Lebensfreude. Er ist Dionysos und Amor zugleich. Seine Botschaft lautet: Gott will das Leben, Gott beendet den Mangel. Er bringt die Fülle. Deshalb die Hochzeit, deshalb hunderte Liter besten Weins, deshalb der Satz mitten im Evangelium: Ich bin gekommen, damit sie das Leben in seiner Fülle haben.

 

Erkennbar gibt es auch 2000 Jahre nach Jesu Kommen unter den Menschen noch Mangel. Es ist nicht alles gut geworden seitdem. Auch in der Zukunft wird nicht alles gut werden. Knappheit und Mangel gehören zum menschlichen Leben. Wir Menschen sind sterblich, wir sind endlich in unseren Fähigkeiten. Wir irren uns und machen Fehler. Auch die Ressourcen der Erde sind endlich. Überall stoßen wir an die Grenzen des Möglichen und des Zuträglichen. Mit Mangel werden wir leben müssen.

 

Das wussten ganz bestimmt auch die Alten. Und dennoch haben sie wie im Psalm voller Vertrauen gebetet: Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Oder später im selben Psalm: Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir. – Das sind Trostworte für Menschen, die Mangel leiden, Trostworte für Menschen, die durch ein finsteres Tal gehen und sich fürchten. Der Furcht und dem Mangel halten diese Worte die Gewissheit entgegen: Gott ist da und hilft. Betende sind nicht alleine. Gott begleitet sie.

 

Jesus selbst ist dem Mangel der Menschen mit seinem Bildwort vom Reich Gottes entgegengetreten. Gottes Reich ist die Welt, wie Gott sie will. Es ist die Welt der Gerechtigkeit und des Friedens, die Welt des gestillten Mangels. Diese Welt Gottes ist nicht fern, diese Welt bricht jetzt an. Jesus sieht die Körner der Saat von Gottes Reich überall aufgehen. Er vergleicht das Reich Gottes mit einem Festmahl, zu dem auch jene eingeladen sind, die sonst außen vor bleiben. Und Jesus erzählt nicht nur von Festmahlen. Er feiert selbst solche Festmale und versammelt Menschen verschiedenster Herkunft und sozialer Stellung an einem Tisch. Jesus nimmt das Reich Gottes für seine Gegenwart in Anspruch. Er setzt darauf, dass er ansteckend wirkt und mitreißend. Er glaubt, der von ihm ausgelöste Wandel wird weitergehen. Er ist nicht aufzuhalten.

 

Und so ist es ja auch. Im Geist Jesu überwinden Menschen seitdem die von Menschen gemachten Unterschiede. Soziale Stellung und Geschlecht, Ethnie und Nation verlieren ihre trennende Kraft. Im Geist Jesu arbeiten Menschen auf der ganzen Welt gegen den Mangel. Sie sorgen für Nahrung und kämpfen gegen Krankheit, Knappheit und Not. Aus den kleinen Anfängen in Galiläa ist eine riesige, weltumfassende Bewegung geworden: gegen den Mangel, gegen Elend und Armut.

 

„Ich bin gekommen, dass sie das Leben in seiner Fülle haben“, sagt Jesus. Die Erzählung vom Weinwunder in Kana illustriert, was damit gemeint ist. Das Weinwunder ist ein unerzähltes Gleichnis Jesu vom Reich Gottes. Er selbst tritt hier in die von ihm angefangene Geschichte ein. Er hilft dem Mangel ab und breitet die Fülle der Freude und des Glücks aus. Das Weinwunder von Kana ist eine Geschichte von Gottes neuer Welt. Die Erzählung ist eine Einladung an die Menschen, mitzufeiern und sich vom Geist Jesu mitreißen zu lassen. Der Mangel wird überwunden. Jesus ist gekommen, damit wir das Leben in seiner Fülle haben.

– Amen.

 

Dlf Gottesdienst