Albrecht Simon
Auf diesen Fels will ich meine Kirche bauen.
Rundfunkgottesdienst aus Kirche St. Nicolai auf Helgoland
25.07.2021 10:05
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Predigt zum Nachlesen

Ihr Lieben,

 

vor ein paar Jahren gab es hier bei uns auf Helgoland einen Feuerwehreinsatz, weil ein paar Hobbykletterer im Felsen feststeckten. Unsere Insel besteht ja aus Buntsandstein und die Kletterer hatten total unterschätzt, wie bröckelig dieser Buntsandstein ist.

Der zerkrümelt ganz schnell. Und weil alles über und unter ihnen wegbröckelte, kamen die Kletterer weder vor noch zurück. Zum Glück konnte die Feuerwehr helfen und sie da rausholen.

Jetzt mag der Buntsandstein bröckelig sein, aber er ist trotzdem fest genug, dass da Häuser und Bäume draufstehen können. Ein Maulbeerbaum ist mit dabei, wie ihr inzwischen wisst.

Und: Auf diesem Felsen steht eine Kirche. Damit meine ich aber weniger das Gebäude, in dem so wie heute Gottesdienst gefeiert wird, sondern ich meine die Menschen. Denn die Menschen sind ja das, was die Kirche ausmacht.

Für die Menschen hier bietet der Felsen mitten in der Nordsee einen festen Grund: einmal durch die Traditionen, die auf dieser Insel gelebt werden, aber auch durch den Zusammenhalt und durch die Gemeinschaft.

Eine dieser Traditionen ist die, dass die Inselkinder das Taufwasser in ihren eigenen silbernen Taufbechern zur Taufe in die Kirche bringen. Früher war das Wasser aus der Zisterne des eigenen Hauses. Süßwasser war damals sehr kostbar, denn davon gab es nicht viel.

An Süßwasser kamen die Menschen hier nur, wenn es regnete, denn die Entsalzungsanlage, die wir heute hier haben, existierte damals noch nicht.

Wenn also die Inselkinder Zisternenwasser zur Taufe in die Kirche brachten, dann war das ganz besonderes Wasser für einen ganz besonderen Menschen – den Täufling, ein Kind Gottes.

Heute hat sich die Tauftradition ein bisschen gewandelt: Die Familie des Täuflings besorgt das Taufwasser, und zwar aus der Nordsee. Die Inselkinder holen dann das Wasser am Haus des Täuflings ab und getauft wird hier dann mit Meerwasser.

Aber den Butterkuchen für die Kinder, als Dankeschön für‘s Wassertragen, den gibt es immer noch.

Unsere Tauftradition ist, wie ich finde, der Inbegriff von Zusammenhalt und Gemeinschaft, und sie ist ein sehr schönes Beispiel dafür, dass wir hier etwas Festes haben, auf das wir bauen können.

Wir haben hier einen festen Grund für das Leben.

Ihr seht also: Der Felsen mitten in der Nordsee ist mehr als nur Buntsandstein.

Zu diesem „Mehr“ gehört auch die Kirchengemeinde. Auch sie ist Teil dieses Felsens, ist Teil des festen Untergrundes, auf dem die Menschen leben.

Weil auch sie, wie wir an der Taufe sehen, Traditionen bieten kann, die uns Sicherheit geben. Und weil gerade die Kirche für Zusammenhalt und für Gemeinschaft steht.

Wie wir eben aus dem Matthäusevangelium gehört haben, bekommt ein Mensch gesagt, dass er der Felsen ist, auf dem Christus seine Kirche aufbauen will.

Noch einmal zur Erinnerung: Kirche bedeutet hier Gemeinde, also die Gemeinschaft derjenigen, die an Gott glauben.

Der, auf dem Christus seine Kirche aufbauen will, ist Petrus, und Petrus war ein Jünger von Jesus Christus, also sein Freund und jemand, der Christus nachgefolgt ist. Wir sind das auch: Nachfolgerinnen und Nachfolger von Jesus Christus. Und damit sind auch wir der Felsen, auf dem Jesus seine Kirche baut – dadurch, dass er uns in die Lage versetzt, einen festen und stabilen Grund zu schaffen mit vielem, was uns als Kirchengemeinde ausmacht:  Das sind einerseits Tradition, Zusammenhalt und Gemeinschaft, aber es kommt unbedingt noch die Gastfreundschaft dazu. Die Gastfreundschaft schreiben wir ganz groß, weil wir wissen, dass wir dadurch vielleicht Engel beherbergen, wie es im Hebräerbrief heißt. Und wenn wir Engel beherbergen, dann ist das wieder etwas, das unser Fundament stärker macht, fester macht, Halt gibt.

Teil des festen Grundes ist auch, dass wir versuchen, die Menschen so anzunehmen, wie sie sind. Hier muss niemand bestimmte Voraussetzungen erfüllen, um Teil dieser Familie zu sein. Hier muss niemand eine Gegenleistung dafür erbringen, dass wir für ihn oder sie da sind. Wir versuchen damit dem Beispiel von Jesus Christus zu folgen. Zumindest geben wir alles, um diese Art der Nachfolge zu leben. Immer gelingt uns das natürlich nicht, denn auch wir sind nur Menschen mit menschlichen Fehlern und menschlichen Schwächen. Wir sind ja nicht Jesus. ;-)

Da geht es uns übrigens nicht viel anders als dem guten Petrus. Petrus ist alles andere als der perfekte Jünger. Gut, in der Situation, die da im Matthäusevangelium beschrieben wird, hat er mal einen Lichtblick, weil er erkennt, dass Jesus der Christus ist, also der Gesalbte, der schon seit Jahrhunderten durch die Propheten  angekündigt war. Gesalbt hat man damals Könige und Priester, wenn diese ihr Amt angetreten haben. Die Salbung war Zeichen einer besonderen Würde und Macht. Der Gesalbte war rechtmäßig von Gott in sein Amt eingesetzt. In Jesus‘ Fall ging es jedoch nicht nur um eine irdische Königswürde, sondern auch um die himmlische. Das alles hatte Petrus erkannt.

Dafür macht Petrus aber an anderen Stellen auch wieder eine ganze Menge falsch und man fragt sich manchmal: Merkt der eigentlich gar nichts?

Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich finde mich da durchaus wieder. Auch ich merke oft nichts mehr, wenn es darum geht, Gott zu lieben und meine Nächsten zu lieben, oder wenn es darum geht, gastfreundlich zu sein und andere Menschen bedingungslos anzunehmen. Auch ich ignoriere öfter, wer das da eigentlich ist, der in Menschengestalt zu uns in die Welt gekommen ist, um die Welt und vor allem uns zum Guten zu verändern: der Christus, der Gesalbte, Gott in Menschengestalt.

Was mich ein bisschen beruhigt, ist die Tatsache, dass nicht nur ich so drauf bin. Auf viele andere trifft das auch zu. Auch sie stehen total auf dem Schlauch, wenn es darum geht, dem Beispiel von Jesus Christus zu folgen. Da ist der Felsen, auf dem die Gemeinde stehen soll, dann an einigen Stellen nicht ganz so fest und gleicht tatsächlich eher dem bröckeligen Buntsandstein, der die Kletterer in höchste Not brachte.

Und trotzdem: Dieser Buntsandstein ist fest genug, dass darauf Menschen leben können, dass wir hier ein Zuhause haben können und dass wir anderen hier ein Zuhause geben können.

Nicht nur, indem wir bezahlbaren Wohnraum schaffen, sondern wir geben ihnen besonders dadurch ein Zuhause, indem wir sie zu einem Teil unserer Gemeinschaft machen, indem wir sie zu einem Teil unserer Familie machen. Da wird also etwas untergemischt, das den Felsen wirklich zu einem festen Untergrund macht: Menschen.

Wäre Petrus ganz alleine geblieben, dann wäre er auch ein ziemlich bröckeliger Felsen gewesen.

Aber Petrus war, genau wie wir es heute sind, Teil einer Gemeinschaft, Teil einer Familie.

Tradition, Zusammenhalt, Gastfreundschaft gab es damals schon. Ich bin mir ganz sicher:

Alleine hätte Petrus nicht das Zeug zum Felsen gehabt. Aber zusammen mit all den anderen Nachfolgerinnen und Nachfolgern Jesu schon.

Das Schöne an Gemeinschaft ist ja, dass wir mit unseren Stärken gegenseitig unsere Schwächen ausgleichen können. Wir müssen nur lernen, gnädiger mit den Schwächen und mit dem Versagen der anderen umzugehen.

Gott geht schließlich auch gnädig damit um.

Wenn wir uns, anstatt uns über die Schwächen der anderen zu ärgern, überlegen, welche Stärken wir selber haben und wie wir diese Stärken einsetzen können, was wir tun können, um auszuhelfen, dann werden wir zu einem richtig festen Grund für das Leben der Menschen. Nicht nur auf dieser Insel.

Ihr seht also: Wir sind nicht die Gemeinde, die auf einem Petrus steht. Wir sind nicht die Gemeinde, die nur einen einzelnen Menschen zum Fundament hat. Wir selbst als Kirchengemeinde sind ein Felsen. Wir selbst sind das Fundament, auf dem noch viel mehr Gemeinde aufgebaut werden kann, auf dem ganz viel Gemeinschaft gelebt werden kann.

Und wir hier auf Helgoland können dann zu Recht behaupten: Es ist total schön, auf einem Felsen zu leben, aber es ist noch viel, viel schöner, selbst ein Fels zu sein.

Amen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.
 

Dlf Gottesdienst