Ich weiß noch genau, wo ich im am 24. Februar 2022 war. Wie ich in einem Hotelzimmer in Prag saß und während ich mich morgens fertig machte Radio hörte. Hörte, dass Russland nun tatsächlich die Ukraine angegriffen hat. Einen Krieg begonnen hat.
Und heute? Anfang Oktober? Noch immer Krieg. Flucht, Gewalt, Hunger, Kälte, Ungerechtigkeit, Vermissen, Sterben und Tod. Und noch immer ist kein Waffenstillstand in Sicht. Aber was geht mich das mittlerweile an? Klar, ich will im Winter auch nicht frieren, aber sonst? Habe ich mich mittlerweile etwa auch an dieses Unrecht gewöhnt? Ist der Krieg in der Nachbarschaft auch bei mir zum Alltäglichen geworden?
Morgen ist der 2. Oktober und damit der Internationale Tag der Gewaltlosigkeit. Das Datum wurde als Erinnerung an den Geburtstag des Pazifisten Mahatma Ghandi gewählt. Ghandi hat es geschafft, in den Krisenherden dieser Welt gewaltlosen, politischen Widerstand zu leisten. Mahatma Ghandi rief zu zivilem Ungehorsam auf. Er prangerte Unrecht an und hielt bis zuletzt an der Vision, ja an der unglaublichen Hoffnung fest, dass Frieden möglich ist.
Mahatma Ghandi wird mir zum Vorbild. Zwar sollte man – auch als Christ:in – durchaus darüber streiten, ob angesichts von Gewalt gewaltloser Widerstand per se die beste Lösung ist, aber Widerstand, Widerstand muss sein. Ich möchte mich nicht an das Unrecht gewöhnen. Ich möchte nicht in einer Welt leben, in der es halt einfach so zum Alltag gehört, dass Fliehende im Mittelmeer ertrinken, Kinder verhungern, Frauen getötet werden, weil sie irgendwelchen Sittengesetzen nicht gehorchen, Schwarze diskriminiert, und ein Autokrat wie Putin sein Nachbarland angreift.
Na klar geht das auch mich etwas an. Und auch wenn es Gazprom nicht gäbe, wir nicht um unsere Raumtemperaturen besorgt sein müssten. Auch dann. Auch dann geht es mich etwas an, dass ich im Frieden, andere jedoch im Krieg leben.
Der Prophet Micha berichtet uns im Alten Testament von einer starken Vision: Gott wird den Streit zwischen den Nationen schlichten. Und dann werden Schwerter zu Pflugscharen und Speere zu Winzermessern umgeschmiedet. Ja, und dann heißt es: „Kein Volk wird mehr gegen das andere das Schwert erheben, und sie werden den Krieg nicht mehr erlernen.“ (Mi 4,3b)
Sie werden den Krieg nicht mehr erlernen.
Eine schöne Vision, wenn auch schwer zu realisieren. Aber wer, wer, wenn nicht wir können sie aufrechterhalten, können uns für Gerechtigkeit einsetzen? „Sei du die Veränderung, die du dir für die Welt wünschst“, sagt Gandhi.
Wir können ein Ende der Kriege nicht herbeizaubern, aber wir dürfen uns nicht an das Unrecht gewöhnen.
Denn nur, wenn wir nicht mehr auf Frieden hoffen, uns Krieg und Gewalt nicht mehr berühren, haben wir wirklich verloren.
Mitteldeutscher Rundfunk (MDR)
Redaktion: Susanne Sturm
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