Predigt zum Nachlesen:
Wir sind der Vergänglichkeit unterworfen – das ist ein harter Satz, ohne Frage wahr, ein Faktum, und deswegen immer wieder niederschmetternd. Alt werden ist gut, alt sein eher nicht. Der Traum von der ewigen Jugend…
Er soll wahrgemacht werden. Mit gesunder Ernährung, Sport, Medikamenten, Botox, Hyaluron und was es sonst noch so alles gibt. Die Vergänglichkeit soll gehörig verzögert werden. Jung und schön bleiben. Ein Riesen-Trend!
Die Steigerung: der Traum vom ewigen Leben. Nicht irgendwo im Jenseits, sondern hier. Stichwort Kryotechnik. Kryo heißt auf Deutsch Eis oder Frost. Es geht also Konservierung eines kompletten Menschen durch Einfrieren. Ich hatte mich noch nie so richtig mit dem Thema befasst und hielt es bis vor kurzem eher für Sciencefiction. Aber das ist ganz und gar nicht so. Was ich so rausgefunden habe, ist nichts für schwache Nerven. Ich will’s Ihnen dennoch nicht ersparen, früher oder später werden wir so oder so damit konfrontiert. Denn inzwischen ist diese Kryotechnik ein sehr nachgefragtes Mittel, um dem Tod ein Schnippchen zu schlagen. In den USA ließ sich schon 1967 der erste Mensch einfrieren. Seitdem wurde das Verfahren immer weiterentwickelt.
Seit der Jahrtausendwende gibt es ein neues Verfahren, die sogenannte Vitrifizierung. Da werden vor dem Einfrieren alle Körperflüssigkeiten durch eine Art Frostschutz ersetzt, das sorgt für eine bessere Erhaltung des Körpers. Wer nun willens ist, sich für die Ewigkeit zu rüsten, bezahlt in den USA 200.000 Dollar, bekommt eine Marke um den Hals, und direkt nach dem Ableben wird man unverzüglich in das Kryo-Institut verbracht, wo man, nach aller nötigen Vorbereitung, kopfüber in einer Art Tank mit Stickstoff bei minus 200 Grad tiefgekühlt und gelagert wird.
Man ist zuversichtlich, dass in nicht allzu ferner Zukunft die Reanimation der Patient*innen gelingen wird. Man sagt wirklich „Patient*in, der Tod wird ausgeklammert, es soll ihn ja nicht mehr geben.
In Russland gibt es das übrigens schon für 80.000 Dollar. Hier in Deutschland ist es noch nicht möglich.
Der Traum vom ewigen Leben, verrückt. Dabei wissen doch die meisten schon an einem verregneten Sonntag nicht, was sie mit sich anfangen sollen! Überhaupt sieht es doch eher so aus, dass die Ewigkeit nicht so besonders beliebt ist. Das verraten allein schon unsere Redewendungen:
Das dauert ja ewig.
Fühlte sich an wie ne halbe Ewigkeit.
Ewig und drei Tage –
lauter höchst unliebsame Dehnungen der Zeit.
Aber zurück zu Paulus. Für ihn ist das Paradies im Jenseits angesiedelt. Und er hat zu diesem Thema vollkommen andere Ideen. Er träumt von der „herrlichen Freiheit der Kinder Gottes“, von „der Erlösung des Leibes“ – man könnte auch sagen: Erlösung vom Leib. Wie diese Freiheit, diese Erlösung aussehen wird – er weiß es nicht, er kann es ja auch gar nicht wissen. Er sagt: Lasst uns einfach mal hoffen. Lasst uns hoffen, DASS wir befreit und erlöst werden. Das Wie und Wann und Wo überlassen wir Gott. Wir hoffen zwar auf etwas, das wir nicht sehen und nicht kennen, aber wir warten darauf in Geduld.
Paulus wartet in Geduld. Nicht auf neue Möglichkeiten in Technik und Wissenschaft, sondern auf Freiheit und Erlösung, auf etwas ganz und gar Neues, jenseits unserer Vorstellungskraft. Für ihn ist Ewigkeit eben nicht gleich zeitliche Unbegrenztheit des irdischen Lebens, sondern eine neue unbekannte Qualität.
Und wenn er sagt, dass wir zu Kindern Gottes werden, dann klingt da schon ein bisschen Garten Eden an. Zurückkehren zu dem, der für uns sorgt, wo es uns an nichts fehlt. Wie ein Aufgehen in Gott. Das Beste: Wir sind schon gerettet, wenn wir nur hoffen.
Ein Garten Eden, nicht in Stickstoffcontainern, sondern in einem neuen Sein…
Jesus nennt dieses neue Sein „Reich Gottes“. Immer wieder wird er gefragt, wann es denn kommen wird.
Hier antwortet er:
Als Jesus von den Pharisäern gefragt wurde: Wann kommt das Reich Gottes?,
antwortete er ihnen und sprach:
Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man's beobachten kann;
man wird auch nicht sagen: Siehe, hier ist es!, oder: Da ist es!
Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch.
Und er sprach zu den Jüngern:
Es wird die Zeit kommen, in der ihr begehren werdet, zu sehen
einen der Tage des Menschensohns, und werdet ihn nicht sehen.
Und sie werden zu euch sagen: Siehe, da!, oder: Siehe, hier!
Geht nicht hin und lauft ihnen nicht nach!
Denn wie der Blitz aufblitzt und leuchtet von einem Ende des Himmels bis zum andern, so wird der Menschensohn an seinem Tage sein.
(Lukas-Evangelium, Kap. 17, V. 20-24)
Das Reich Gottes kommt nicht so und so, sondern es ist mitten unter euch. Aber irgendwie auch wieder nicht, denn der Tag des Menschensohns kommt ja erst noch. Wie so oft drückt sich Jesus rätselhaft aus. Zuerst sagt er: Hier und jetzt, mitten unter euch ist das Reich Gottes, und dann spricht er vom Tag des Menschensohns, der wie ein Blitz aufleuchtet von einem Ende des Himmels bis zum anderen.
Was nun? Hier und jetzt, oder ab einem bestimmten Tag?
Es ist typisch für Jesus, mit der Sowohl-als-auch-Technik zu arbeiten. Die Zeit ist schon da, die Zeit wird noch kommen. Schon jetzt und hier, aber ganz und gar erst irgendwann. Es ist, als wolle er uns geschmeidig machen für fließende Grenzen.
Die Zeit ist da – die Zeit wird kommen. Das ist für ihn kein Widerspruch. Gottes Reich ist schon da, es schimmert schon durch, ist im Verborgenen schon vorhanden, hier in der Gegenwart, wie ein Guckloch in die Ewigkeit.
Dieses Zukünftige ist nicht vorhersagbar, weder zeitlich noch räumlich. Wann das Gottesreich kommt, ist schlicht nicht berechenbar, sagt Jesus. ABER: Im Hier und Jetzt blitzt es immer mal wieder auf, wie punktuelle Miniparadiese. Und zwar dann, wenn Gott sich in unseren Leben breitmachen kann, wenn sein Wille geschieht – um es mit dem Vater unser zu sagen.
Was sein Wille ist, lässt sich herausfinden, wenn du dich an den roten Fäden in der Bibel entlang hangelst. Wenn du zum Beispiel deinen Nächsten liebst wie dich selbst, wenn du anderen das tust, was auch du gerne hättest, wenn du dich um Frieden bemühst, Rücksicht nimmst, dich kümmerst, Verantwortung übernimmst, wenn du es fertig kriegst, auch denen, die du nicht magst, mit Respekt zu begegnen – das nur als kleiner Auszug…Wenn das hier und da mal funktioniert, dann ereignet sich Gottes Reich, hier mitten unter uns.
Gott wirken lassen heißt ja, mein Leben zu seinem Wirkungsbereich werden zu lassen. Dazu müsste man ja auch an ihn glauben. Logisch. Das ist die allererste Voraussetzung. Ich würde mich nicht zu der Behauptung hinreißen lassen, dass ein Leben ohne Glauben schlechter sei und eins mit besser. Aber die Lebensdeutungen sind verschieden. Das scheint mir auch der Dreh- und Angelpunkt dafür zu sein, was ich mit dem Reich Gottes überhaupt anfangen kann.
Dazu gibt es eine sehr schöne Geschichte von David Foster Wallace, einem amerikanischen Schriftsteller. „Das hier ist Wasser“ heißt der Essay, in dem er eine kleine Parabel erzählt:
Sitzen zwei Männer in einer Bar irgendwo in der Wildnis von Alaska. Der eine ist religiös, der andere Atheist, und die beiden diskutieren über die Existenz Gottes mit dieser eigentümlichen Beharrlichkeit, die sich nach dem, sagen wir mal, vierten Bier einstellt. Sagt der Atheist: „Pass auf, es ist ja nicht so, dass ich keine guten Gründe hätte, nicht an Gott zu glauben. Es ist nämlich nicht so, dass ich noch nie mit Gott oder Gebeten experimentiert hätte. Letzten Monat erst bin ich weit weg vom Camp in so einen fürchterlichen Schneesturm geraten, ich konnte nichts mehr sehen, hab mich total verirrt, vierzig Grad unter null, und da hab ich’s gemacht, ich hab’s probiert: Ich bin im Schnee auf die Knie und hab geschrien: „Gott, wenn es Dich gibt, ich stecke in diesem Schneesturm fest und sterbe, wenn Du mir nicht hilfst!“
Der religiöse Mann in der Bar schaut den Atheisten ganz verdutzt an: „Na, dann musst Du jetzt doch an ihn glauben“, sagt er. „Schließlich sitzt Du quicklebendig hier.“
Der Atheist verdreht die Augen, als wäre der religiöse Typ der letzte Depp: „Quatsch, Mann, da sind bloß zufällig ein paar Eskimos vorbeigekommen und haben mir den Weg zurück ins Camp gezeigt.“
„Ein und dieselbe Erfahrung“, sagt Wallace, „kann für zwei verschiedene Menschen unterschiedlichen Sinn haben“ und sie konstruieren aus ihren Erfahrungen auf verschiedene Weise Sinn. Für den Atheisten kommen nur ein paar Eskimos. Dass sie die Hilfe sind, die Gott geschickt hat, glaubt der Religiöse.
Für letzteren ist das eine „Reich-Gottes-Geschichte“. Nach Rettung wird geschrien, im Schneesturm, in der Wildnis Alaskas, bei 40 Grad unter null. Einer, der in äußerster Not auf die Knie fällt – ich sterbe, wenn du mir nicht hilfst - und Hilfe kommt. Gott hat eingegriffen.
Der Atheist glaubt das nicht. Weil Gott nicht höchstpersönlich aus dem Himmel heruntergreift und ihn mit mächtiger Hand zurück in sein Camp setzt, bleibt er weiter Atheist.
Das Reich Gottes ist mitten unter euch, sagt Jesus. Ihr müsst es nur erkennen, wenn es da ist! Für den einen mögen solche guten Momente Zufall sein, für der anderen ist es eben etwas, was ihm zu fällt, also etwas persönlich Sinnhaftes.
Mit der Vokabel „Reich Gottes“ kann man heute kaum noch jemanden hinter dem Ofen hervorlocken. Hört sich frömmlerisch und angestaubt an, völlig aus der Zeit gefallen. „Garten Eden“ ist auch irgendwie altbacken, und in Teilen Reformkostmarke. Und völlig abgegriffen ist das Wort „Paradies“. Was aber unbestreitbar vorhanden ist, ist die Sehnsucht danach. Paulus sehnt sich nach Erlösung und Befreiung von allem Vergänglichen. Jesus ist hingegen sicher, dass diese Sehnsucht – wenigstens in kurzen Momenten – auch hier schon gestillt wird.
Ich bringe mal einen anderen Begriff ins Spiel: Kairos. Der wäre gar nicht so unpassend für diese kurzen Paradiesblitze. Kairos war der jüngste Sohn von Zeus, mit recht verwickelter Geschichte, ein Heißsporn. Seinem Lebensstil verdanken wir die Redewendung „Eine Gelegenheit beim Schopfe packen“. Deswegen benutzen wir seinen Namen für „die gute Gelegenheit, der günstige Zeitpunkt“, man könnte auch sagen komprimierte Zeit. Besonders gut gefällt mir aber die biblische Übertragung „erfüllte Zeit“.
Momente, die vielleicht nur winzig sind, und trotzdem wichtig und gewichtig. Das müssen nicht unbedingt Momente höchsten Glücks oder großer Freude sein. Es gibt auch traurige Erlebnisse, die ihre eigene Schönheit haben.
Manchmal erzählen mir Leute bei Trauergesprächen, dass der Abschied, wenn auch unendlich traurig, doch auch schön war, anrührend, tief und inniglich.
Kairos: das ist ein bewegender, wichtiger, vielleicht sogar weichenstellender Moment.
Ein Augenblick, der Ewigkeit enthält…
„Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man's beobachten kann;
man wird auch nicht sagen: Siehe, hier ist es!, oder: Da ist es!
Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch“, sagt Jesus.
Hier geht es vor allem um Unverfügbarkeit. So einen Kairos kannst du nicht machen und nicht planen. Er ereignet sich.
Erfüllte Zeit. Dichte Zeit. Das ist Kairos. Man könnte auch sagen: Gnadenchance.
Gefällt mir gut. Ein geschenkter Moment, dessen Tiefe, Weite und Wirksamkeit auf kein Zifferblatt passt. Wenn Jesus sagt: Hier und jetzt, mitten unter euch gibt es sie schon, diese Fenster zur Ewigkeit, dann liegt es an uns, einen Sinn dafür zu entwickeln. Kontaktstellen zwischen Mensch und Gott, von denen aus sich gute Handlungsmöglichkeiten eröffnen – Gnadenchancen...
Der Traum von der ewigen Jugend – ich bezweifle, dass dieser Kampf gegen den äußerlichen Verfall inneren Reichtum bringt. Der Traum vom ewigen Leben, wo es ja nicht um Ewigkeit, sondern um ausgedehnte Zeit geht, was bringt das?
Selbst, wenn ich nicht an Gott glauben würde: Mir gefällt die Vorstellung „Hier und jetzt, mitten unter euch“! Gefüllte, erfüllte Zeit, in der einfach alles stimmt, dir mir vielleicht auch neue Wege weist, mich auf jeden Fall durchlässiger macht für alles, was außerhalb aller Machbarkeiten liegt. Kontaktstellen zwischen Mensch und Gott.
Der Atheist im Schneesturm: Seine Abwehr, die Eskimos mit seinem Stoßgebet in Verbindung zu bringen kann einem ziemlich arrogant vorkommen. Aber ebenso arrogant wäre es, ihm Blind- und Blödheit vorzuwerfen. Und es geht auch gar nicht um irgendwelche Wertungen, sondern um die Bereitschaft, Dinge in Erwägung zu ziehen, die wir selbst nicht in der Hand haben.
Hoffen auf etwas, was man nicht sieht, ist echtes Hoffen, sagt Paulus. Sei ruhig gespannt auf etwas, das du nicht kennst.
Diesen Gedanken finde ich persönlich weit attraktiver als die Vorstellung, auf unbestimmte Zeit kopfüber in einem Stickstoffcontainer zu hängen, um eventuell, ganz eventuell noch mal ins gleiche Hamsterrad geschubst zu werden.
Frei sein, erlöst sein – Jesus meint bestimmt auch das, wenn er von jenem Tag des Menschensohns spricht. Funken von diesem erdumspannenden Blitz ereignen sich aber auch hier und jetzt, mitten unter uns.
Kurz: Mach was aus der Gegenwart. Sei hellwach für all die „Reich-Gottes-Miniaturen“, die sich einfach so ereignen. Nimm sie als Geschenk, von wo auch immer.
Amen.
Es gilt das gesprochene Wort.