Mut zur Debatte
mit Theologieprofessorin Julia Enxing
08.07.2023 23:35

Sowas kennen Sie sicher auch: Man steht mit Bekannten auf einem Sommerfest zusammen und plötzlich geht es los. „Ach, aus Dresden, ja, was sagst Du denn zu dieser neuen Studie über die Rechtsradikalen in Ostdeutschland?“ Oder „Ach, Du hast aus ökologischen Gründen gar kein Auto? Dann bist Du sicher auch für das neue Heizungsgesetz.“

Und dann beginnt eine mehr oder weniger erbauliche Diskussion. Die einen verdrehen schon die Augen, wieder andere beißen beherzt in ihr Grillwürstchen und andere diskutieren mit.

Nach einer Weile, jede Wette, sagt dann irgendwer leicht ermüdet: „Naja, am Ende muss es halt jeder selber wissen“.

Sicherlich meint ein solcher Kommentar: „Wechseln wir doch mal das Thema und reden über was Nettes“, oder „nun ist aber auch mal gut mit den politischen Debatten“. Aber genau das bringt mich erst recht auf die Palme. Nein, nein, am Ende muss es nicht jede selbst wissen. Am Ende kann es auch nicht jeder selbst wissen. Klar, letztendlich entscheiden wir alle selbst und haben unsere Lebensentscheidungen alleine zu verantworten, aber wissen, wissen können wir es nicht selbst.

Wenn unsere jeweiligen Lebensweisen und unser politisches Handeln, die Art und Weise, wie wir durchs Leben gehen und uns in unsere Gesellschaft, Nachbarschaft oder unseren Freundeskreis einbringen, eben nicht nur uns selbst betreffen, dann gehen sie auch nicht nur uns selbst etwas an. Dann können wir es auch nicht selbst wissen, was insgesamt die beste Lösung, das bestmögliche Handeln ist.

Wir müssen uns austauschen, wir müssen debattieren, wir müssen streiten, die Meinungen anderer anhören, zulassen und unsere eigenen einbringen. So mühsam es ist.

Ja, streiten ist schlimm, aber nicht mehr streiten noch viel schlimmer. Resignation ist doch das Aus einer jeden Gesellschaft. In der Bibel steht, Gott ruft die Menschen dazu auf, nicht zerstritten zu sein, aber gleichzeitig heißt es auch, dass die Menschen einander helfen sollen, die Wahrheit zu suchen und zu erkennen. Auf die Frage, was genau mit Wahrheit gemeint sein könnte, wird es keine einfache Antwort geben. So einfach ist das Leben leider nicht. Aber eines ist wichtig: Es kommt nicht darauf an, die Wahrheit sofort zu finden und sich auf Biegen und Brechen zu einigen. Es kommt darauf an geübt zu sein im Suchen, im Ringen um die Wahrheit. Nur so können wir uns einander annähern und finden somit auch ein Stück näher den Frieden, den Gott für diese Welt möchte.

Ich bin dankbar in einem Land zu leben, in dem die offene Debatte unter Wahrung des gegenseitigen Respekts geradezu erwünscht ist. Ich bin dankbar in einer Stadt zu leben, in der man jeden Abend zu irgendeiner kostenlosen Diskussionsveranstaltung gehen kann und sich so ein Bild über die Meinungsvielfalt der Menschen hierzulande machen kann.

Nicht zerstritten sollen wir sein, aber streitlustig. Wir sollen Lust und Mut am Streiten haben, damit wir gemeinsam etwas voranbringen können.

Sendeort und Mitwirkende

Mitteldeutscher Rundfunk (MDR)
Redaktion: Susanne Sturm

Kontakt zur Sendung

Katholischer Senderbeauftragter für Das Wort zum Sonntag für den MDR

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