Das Wort zum Sonntag: "Alles aufs Band"
Pfarrer Ulrich Haag
14.01.2012 21:25

Es gibt Fehlverhalten, das darf nicht passieren. Es passiert trotzdem. Die Begebenheit ist einige Jahre her, aber ich erinnere mich noch genau. Ich stehe an der Kasse im Supermarkt, die Kundin vor mir nestelt am Portemonnaie, die Kassiererin lässt kurz die Hände sinken. Ich lege das Toastbrot auf das Band, die Zeitung, zuletzt die Flasche Rotwein. Ich hebe die Einkaufstasche an, damit die Kassiererin sieht: Der Wagen ist leer, es liegt wirklich alles auf dem Band. Alles? Ich weiß es besser.

Das Band läuft an und schiebt meinen Einkauf Richtung Scanner. In mir kreisen plötzlich die Gedanken. Was mache ich da eigentlich? Wie kommt es, dass ich mir die Vorstellung angewöhnt habe, unbeobachtet zu sein, wenn niemand hinschaut? Ich müsste es besser wissen, gerade ich, als Pfarrer! Ich müsste wissen, dass es einen gibt, der sieht, was keiner sonst sieht. Wie weit habe ich mich von ihm entfernt? Und wie weit von mir selbst?!

Man erschrickt und man schämt sich, wenn einem bewusst wird, wie tief man die eigenen Ansprüche hat sinken lassen. Man nimmt zwei Rollen Klopapier aus dem Betrieb mit, ein paar Stifte aus dem Büro. Man lässt sich krankschreiben statt Urlaub zu nehmen. Man leiht sich von einer Freundin die Monatskarte und fährt umsonst. Man legt sich Ausreden parat, "es sind alles nur Kleinigkeiten". Doch diese entwickeln mit der Zeit ein Eigenleben. Man verliert die Übersicht. Wenn man wach wird, ist es mitunter zu spät. Man hat dann Privatkonditionen für einen Hauskredit akzeptiert. Hat sich mit zu viel Promille hinter das Lenkrad gesetzt. Oder man steht im Supermarkt an der Kasse und es liegt nicht alles auf dem Band.

Im ersten Moment sieht es so aus, als gäbe es kein Zurück. Das war bei mir auch so. Mein Einkauf war gescannt und die Kasse zeigte die Summe an. Hinter mir ungeduldige Minen. Jetzt aus der Manteltasche hervorkramen, was da nicht hingehört? Es aufs Band legen, im Beisein aller? Das habe ich nicht fertig gebracht. Ich bin durch die Kasse gegangen ohne mir etwas anmerken zu lassen. Dann bin ich zurück in den Laden und habe ins Regal gestellt, was mir nicht gehörte.
Es gibt Fehlverhalten, das darf nicht passieren, es passiert trotzdem.

Soll man es zugeben? Soll man es als Pfarrer zugeben, öffentlich, auch wenn einen keiner danach fragt? Enttäusche ich damit nicht die Erwartungen, die man in mich setzt, in mich und mein Amt? ich bin mir nicht sicher. Mitunter kann man ja auch etwas schuldig bleiben, wenn man von einer Erfahrung schweigt, die man mit sich selbst gemacht hat. Es gibt einen, der sieht, der sieht, was sonst keiner sieht. Er ist auch in der Lage, zu verstehen, was sonst niemand versteht. Er weiß, wie Menschen sich verstricken können. Er wartet darauf, dass sie umkehren und sich frei machen. Ich habe damals meinen gesamten Alltag einer gründlichen Revision unterzogen. Stück für Stück habe ich mich aus einem Dickicht von kleinen Unaufrichtigkeiten befreit, immer mit der Vorstellung: Gott sieht. Er sieht, wie ich mich anderen gegenüber verhalte, er sieht, wie ich mein Leben führe. Eigentlich banal, eigentlich Kinderglaube. Aber er trägt mich. Und er hilft mir Tag für Tag, Grund in mein Leben zu bringen.

Ihnen allen einen guten Abend und einen gesegnete Woche.
 

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(WDR)
Pfarrerin Petra Schulze

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Redaktion: Martin Blachmann (WDR)