Das Wort zum Sonntag: "Das unerschrockene Wort – Zivilcourage"
Pfarrer i.R. Alfred Buß
20.07.2013 22:05

"Vergessen Sie nie, Engel haben oft seltsame Kleider an." Das gab mir ein alter Pfarrer mit auf den Weg. "Engel haben oft seltsame Kleider an" – ihn hatten unterschiedlichste Menschen vor Schlimmerem bewahrt in der Nazizeit. Ein Schaffner in der Wuppertaler Schwebebahn rief laut ins Abteil: "Sie sind doch von der Geheimen Staatspolizei. Holen Sie wieder unseren Pastor ab? Der sagt, sie hätten ihn eingeladen mitzukommen ... Wollen sie nun für ihn bezahlen oder nicht?"

 

Der Schaffner hatte erreicht, was er wollte. Schnell breitete sich in Wuppertal-Barmen aus, dass die Gestapo dem Pastor wieder nachstellte. Das gab ihm Ruhe für ein paar Wochen. "Engel haben oft seltsame Kleider an" – der alte Pfarrer nannte mir Gefängnisaufseher, zufällige Passanten, Sekretärinnen, Diakonissen, ja selbst den Chef der örtlichen Gestapo. Sie waren ihm beigesprungen durch ein unerschrockenes Wort oder eine unerschrockene Tat.

 

Rückgrat zeigen, Eintreten für das Leben – gegen Erniedrigung, Entrechtung und Gewalt, dabei eigene Nachteile in Kauf nehmen: das ist Zivilcourage.

 

Doch wie oft regiert das Gegenteil: eine Frau wird auf offener Straße angegriffen, ein Fahrgast in der U-Bahn bedroht – und keiner greift ein.

 

Doch wir sehen auch Bilder von mutigen Menschen – in den Tränengasschwaden des Taksim-Platzes in Istanbul zum Beispiel.

 

Oder von Edward Snowden. Er konnte nicht mit seinem Gewissen vereinbaren, "dass der Geheimdienst der USA die Privatsphäre ... weltweit" zerstört. Dafür wird er strafrechtlich verfolgt. Wie viel ist schon gewonnen, wenn nur einer aufsteht und "Nein" sagt.

 

Und dann dieser mutige Mann: Vorgestern wurde Nelson Mandela 95, schwerkrank. Jahrzehnte war er eingesperrt für seinen Kampf gegen Apartheid, für die Gleichberechtigung aller Menschen – gleichgültig, welcher Abstammung und Hautfarbe. Er wurde zur Symbolfigur für Zivilcourage und – nach seiner Freilassung – für Versöhnung. "Er war frei, er ging aufrecht, so wurden auch wir frei und gingen aufrecht", schreibt eine Südafrikanerin [1]. Als Präsident legte er das Fundament für ein neues Südafrika. Einer, den die Unterdrücker weghaben wollten, wurde zum Vorbild – von dem es in der Bibel heißt: "Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden" (Psalm 118,22).

 

Noch an andere Menschen mit Zivilcourage denken wir heute am 20. Juli, dem Jahrestag des Attentats auf Adolf Hitler. Über zweihundert an der Verschwörung Beteiligte wurden anschließend hingerichtet. Der Widerstand ging weit über den 20. Juli hinaus. Ob Sozialdemokraten, Bürgerlich-Konservative, Kommunisten oder Christen – sie alle gaben der Menschlichkeit eine Stimme in tiefster Barbarei. Ihr eigenes Leben setzten sie aufs Spiel. Unzählige wurden umgebracht.

 

Manche haben einen Halt gefunden im gekreuzigten Christus. Verworfen wie sie selbst, wurde der ihnen zum Eckstein im Leben und im Sterben.

 

Wie all' dieser Menschen gedenken? Am besten durch Nachmachen, durch eigene Zivilcourage.

 

Ein Beispiel aus Deutschland von heute: Der Barkeeper des Restaurants Picasso in Regensburg schützte eine schwarze Frau und ihr Kind vor einer Gruppe von Neonazis. Zwei Wochen später wurde das Lokal verwüstet, der Barkeeper verprügelt und verfolgt. Da entstand die Aktion "Regensburger Gastronomen für Zivilcourage. Rassisten werden hier nicht bedient". 170 Lokale machen jetzt mit. Ja, Engel haben oft seltsame Kleider an ...

 

[1] Antjie Krug, Mandelas Herz und Haus; in Tagesspiegel online vom 15.07.2013

Sendeort und Mitwirkende

Westtdeutscher Rundfunk