Gottesdienst aus der Christuskirche Mainz
„Urban Gardening“
Gottesdienst aus der evangelischen Christuskirche zu Mainz
23.08.2015 10:05

Liebe Gemeinde,

 

Mit einem Garten. So fing alles an… Ein Garten, für den Menschen gemacht. Der Paradiesgarten. In den setzt Gott die ersten Menschen. Und die haben alles, was das Herz begehrt. Bäume, Sträucher, Früchte, Blumen, Wasserbäche. Und Gott geht darin spazieren. Voller Lust und Genuss.

 

So steht es am Anfang der Bibel. Und so fängt es an mit uns. Ein Garten für uns Menschen. Ein Garten, in dem wir zusammen leben und arbeiten. Ja, Arbeit gehört auch dazu. Von Anfang an: bebauen und bewahren sollen Adam und Eva diesen Garten. Und genießen und sich drüber freuen, was da wächst. Genauso wie Gott.

 

Bei mir fing auch alles mit einem Garten an. Als Kind hatte ich ein paar Quadratmeter – direkt neben der Schaukel – für Möhren, Petersilie, Schnittlauch und Erdbeeren. Die haben oft die Amseln und meine Schildkröte schneller entdeckt als ich. Im Sommer habe ich draußen gelebt. Raus aus der engen Mietwohnung. Rein in die Freiheit meines Gartens. Wunderbar!

 

Zum Kind sein gehört für mich unbedingt dazu: im Garten spielen, auf Bäume klettern, Ameisen beobachten und Eidechsen, Gießkannen schleppen, um das eigene kleine Gärtchen zu bewässern. Essen von der Hand in den Mund.

 

Aus der Generation meiner Eltern kenne ich aber auch die Geschichten, die von harter Arbeit im Garten erzählen. Weil das, was da wuchs, zum Überleben gebraucht wurde.

 

Stunden der Ernte in der Hitze. Mühsames Umgraben. Schwielen an den Händen. Am Ende: Regale voller Weckgläser und Saftflaschen.

 

Trotzdem – oder vielleicht gerade deswegen – haben die Augen der Älteren geleuchtet, wenn sie erzählt haben von ihren Gärten. Diese Gerüche! Die Leichtigkeit des Lebens beim Kirschkernweitspucken von der Gartenmauer. Die lassen ein Leben lang nie mehr los.

 

Und so werden später, wenn wir erwachsen sind, die kleinsten Fleckchen Erde durch unsere Hände zu Miniaturgärten. Der Balkon zum Paradies mit Blumen, Kräuterecke und Naschgarten mit Beeren und Tomaten. Hauptsache – eine Handvoll Erde zum Bebauen und Bewahren.

 

Sind wir „Garten-menschen“? Ich glaube – ja.

 

Wie sagt Gott in der Bibel zu Adam und Eva im Paradies? Dies alles gebe ich euch, dass ihr es bebaut und bewahrt.

 

 

Hier in Mainz, mitten in der Stadt, fünf- und sechsstöckige Häuser dicht an dicht und mit jeder Menge Autos ist das mit dem Gärtnern keine leichte Sache. Doch auch Städter sind Gartenmenschen. Selbst wenn sie hier in der Mainzer Neustadt ohne Garten groß geworden sind.

 

Manche Familien haben etwas außerhalb einen Schrebergarten, der am Wochenende nicht nur Garten ist, sondern „bewohnt“ wird. Stolz wird manches dann zu Erntedank in die Kirche gebracht.

 

Seit kurzer Zeit gehen manche nicht mehr an den Rand der Stadt. Sie holen sich ihren Garten zurück – mitten in die Stadt.

 

 

Wie zum Beispiel Heidrun Kirschbaum:

 

Seit mehr als 2 Jahren bin ich dabei: beim Projekt Gemeinschaftsgarten in der Mainzer Neustadt. Gemeinsam bewirtschaften und genießen wir eine Grünfläche mitten in der Neustadt, wir säen, pflegen und ernten und wir lernen uns dabei als Nachbarn näher kennen.

 

Als wir den Gemeinschaftsgarten miteinander angelegt haben, war ich oft erstaunt. Viele wissen gar nicht, wie z.B. ein Kohlrabi wächst. Oder dass die Kartoffeln viel Kraut brauchen, damit sie ausreichend Nährstoffe bekommen.

 

Ich bin auf dem Land groß geworden und jetzt kann ich meine Liebe zur Natur mit anderen teilen. Jedes Jahr ist es für mich spannend zu sehen, wie aus dem Samen etwas wächst. Ich freue mich über jede Frucht und jedes Gemüse, das größer wird. Manchmal ist die Ernte ziemlich klein. Aber das ist nicht schlimm.

 

Durch die Arbeit im Garten lernen wir, wert zu schätzen, was wir hier ernten und essen. Und wir bekommen ein Gefühl dafür, dass wir vieles machen, aber nicht alles beeinflussen können.

 

Gern verweilen viele unter den alten Bäumen in unserem Garten. Hier kommen wir miteinander ins Gespräch. Und manche machen hier sogar ihre Entspannungsübungen.

 

 

Liebe Gemeinde,

 

Gemeinsam etwas tun. Nicht nur jeder für sich allein auf dem Balkon. Der Gemeinschaftsgarten in der Forsterstraße ist ein schöner Garten geworden – versteckt hinter den hohen Häusern.

 

Aber es gibt auch wunderschöne Verkehrsinseln für alle – mitten in der Mainzer Neustadt. Patinnen und Paten bepflanzen sie, zupfen Unkraut und gießen sie am Morgen.

 

Manchmal hat man das Gefühl, da wetteifern manche miteinander: An meiner Straßenecke, da sieht es am schönsten aus! Und alle, die daran vorbeigehen, freuen sich über den Eifer der unbekannten Gärtner, die diese Verkehrsinseln aufblühen lassen.

 

Warum also nicht auf öffentlichen Plätzen Salat und Tomaten für alle anpflanzen? Grünflächen, die brach liegen, gemeinsam nutzen? Wie uns Olaf Nehrbaß erzählt, Er ist Grün- und Umweltreferent der Stadt Mainz.

 

 

Seit vergangenem Jahr wagen wir in Mainz ein Experiment:

 

Wir pflanzen in einigen ausgewählten Flächen der Innenstadt nicht mehr nur Blumen an, Wir pflanzen dort auch Tomaten, Zucchini, Lauch und anderes Gemüse.

 

Dazu haben wir Schilder aufgestellt, dass das Gemüse auch geerntet werden darf. Wir wollen zeigen: Gemüse stammt nicht aus dem Supermarkt, es wächst in der Erde – und manchmal auch sehr schön anzuschauen ist. Viele Passanten sind anfangs wie erwartet stehen geblieben, haben sich über die Beete gewundert und haben über Sinn und Unsinn des Projektes diskutiert. Natürlich sollen Blumenbeete und Rabatte weiterhin schön aussehen. Aber auch Nutzpflanzen können schön sein.

 

Mit dem Projekt zeigen wir nicht nur, wo unsere Lebensmittel herkommen. Wir machen auch Werbung für heimische Produkte. In der Zwischenzeit gibt es nun mehrere „Urban Gardening“-Projekte im Stadtgebiet.

 

Die sind unterschiedlich angelegt. In der Mainzer Neustadt pflanzen der BUND und Anwohner selbständig auf öffentlicher Fläche.

 

Unter dem Motto „Mainz bekennt Farbe“ sollen auf einem Platz der Mainzer Altstadt Färberpflanzen angebaut werden.

 

Damit wollen wir an die nahezu vergessenen Techniken des Färbens mittels Pflanzen erinnern.

 

 

Es hängt nicht nur von unseren Kräften ab, liebe Gemeinde.

 

Es liegt nicht nur an unserem Geschick, wenn etwas wächst. Wir brauchen das richtige Wetter. Und wir brauchen- tierisch gute Hilfe! Zum Beispiel die Hilfe von Bienen.

 

Ohne sie würde vieles in unseren Breiten nicht wachsen. Ein Drittel von dem, was wir essen, und fast unsere gesamten Obstsorten – es gäbe sie nicht ohne die Bienen. Warum also nicht mitten in der Stadt an ungewöhnlichem Ort Platz machen für diese fleißigen Tiere?

 

Dafür engagiert sich in Mainz: die Polizei als Freund und Helfer. Genauer gesagt: Hauptkommissar Michael Grüger.

 

In meiner Freizeit bin ich Imker. Deshalb konnte ich jetzt meinen Arbeitgeber davon überzeugen, auch etwas für die Bienen zu tun.

 

Denn Bienen haben’s nicht leicht in unseren Tagen. Krankheiten, Umweltgifte, Klimawandel bedrohen ihren Bestand. Immer wieder liest und hört man von Seuchen, die ganze Völker auslöschen. In der Mainzer Neustadt hat mein Arbeitgeber sein Bürogebäude zur Verfügung gestellt, damit dort Bienen unterkommen können.

 

Dieses Haus hat sieben Stockwerke – das Polizeipräsidium Mainz. Tagsüber arbeite ich dort, denn ich bin ja Polizist. In der Mittagspause und nach Feierabend steige ich meinen Kolleginnen und Kollegen dann aufs Dach. Dort oben, über den Dächern von Mainz, sind die Bienenstöcke aufgestellt . Vom Schreibtisch an die frische Luft mit Ausblick – ich mag das sehr.

 

Besonders glücklich bin ich darüber, dass sich um die beiden Bienenvölker jetzt auch die zweiten Klassen der benachbarten Goethe-Grundschule kümmern. Polizei und Schule gemeinsam für ein Stück Natur in der Stadt. Wir holen das Wissen über Bienen und Honig zurück in die Stadt und verkaufen den Honig zugunsten der Schule.

 

Sind wir „Garten-Menschen“, liebe Gemeinde? Brauchen wir das Grün, die Früchte, das Summen der Bienen und vieles mehr? Ich glaube – ja.

 

Wie sagt Gott in der Bibel zu Adam und Eva im Paradies? Dies alles gebe ich euch, dass ihr es bebaut und bewahrt.

 

Als Gartenmenschen spüren wir, wie unser Leben verwoben ist mit allem was lebt. Selbst mit so kleinen Tieren wie den Bienen.

 

Unsichtbare Fäden bilden ein Netz des Lebens. Und wir mittendrin. Mit dem Auftrag, dafür zu sorgen, dass die feinen Lebensfäden nicht reißen. Wo immer wir sind. Auf dem Land. In der Stadt.

 

 

 

Liebe Gemeinde,

 

Menschen holen die Natur in ihre Stadt zurück. Aber sie gestalten die Natur auch. Wir leben ja nicht in einem sogenannten „Ur-Wald“. Unsere Natur ist immer auch eine Kulturlandschaft. Und immer wieder müssen wir darüber nachdenken und uns entscheiden: wie viel Natur soll es denn sein?

 

Gottes Schöpfung, uralt und zugleich jeden Tag neu- sie ist nicht, wie man so schön sagt, „unberührt“. Wir Menschen sind Gottes Mitarbeiter und wir berühren, ja, wir bearbeiten Gottes Werk. Wo wir Wurzeln in den Stein pflanzen und Bäume in die Straßen, da kehren wir zu unseren Anfängen zurück.

 

Die Natur wird auf eine Art zu einer „sozialen Aufgabe“. Der Mensch wird zum Stadtgärtner für sich und seinen Nächsten. Und Gott, davon bin ich überzeugt, findet das gut. Es liegt ja sein Segen auf dem Weg, den die Menschen eingeschlagen haben.

 

Es war ja sein Auftrag schon im Paradiesgarten, ihn zu bebauen und zu bewahren. Ein großer Bogen vom ersten Garten Eden, den die Menschen verloren haben, über den Schweiß bei der Feldarbeit zur grünen Stadt.

 

Die Bibel bietet uns ein klassisches Bild für dieses Miteinander von Kultur und Natur, von Mensch und Gott: Nicht aufhören sollen Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht. So verspricht es Gott dem Noah nach der großen Sintflut und stellt zum Zeichen einen wunderschönen Regenbogen an den Himmel.

 

Und Gott steht zu diesem Bogen durch die Geschichte seiner Schöpfung. Er lässt ihn in seiner Schöpfung stehen. Das Ende des Regenbogens von Gottes Güte reicht in die Ewigkeit. Der Himmel ist kein Ort für Unschuldslämmer und kein Schlaraffenland. Der Himmel, das Paradies ist ein Gemeinwesen mit grüner Lunge.

 

Das Bild der Bibel für den Himmel ist Jerusalem – und auch das Jerusalem des Himmels ist eine Stadt, die von ihrem Garten lebt. So hat es der Seher Johannes der Seher in seiner Offenbarung aufgeschrieben. Hören wir hinein in die letzten Sätze seiner Vision:

 

Und ich sah eine neue Stadt, das himmlische Jerusalem…

 

Und der Engel zeigte mir einen Strom lebendigen Wassers, klar wie Kristall, der ausgeht von dem Thron Gottes und des Lammes;

 

mitten auf dem Platz der Stadt und auf beiden Seiten des Stromes Bäume des Lebens, die tragen zwölfmal Früchte, jeden Monat bringen sie ihre Frucht, und die Blätter der Bäume dienen zur Heilung der Völker.

 

 

Was wir hier beginnen, was uns wichtig ist, das führt Gott weiter. Am Ende steht nicht einfach eine Neuauflage des Paradieses. Den verlorenen Garten der Menschheit und die verlorenen Gärten unserer Kindheit finden wir wieder in einer lebenswerten Stadt. Eine Stadt, in der die Natur ihren Platz hat.

 

Was auf uns wartet in diesem himmlischen Jerusalem, ist aber viel mehr als irgendeine Grünanlage. Und sogar mehr als ein Nutzgarten. Jeden Monat, zwölf Mal im Jahr, tragen die Bäume des Gartens. Fülle pur! Noch dazu sind es Bäume des Lebens. Leben, diese unglaubliche Verheißung, dieses wunderschöne Wort für die Zeitspanne, die wir zwischen Geburt und Tod haben, als Frucht in greifbarer Nähe. Pflück dein Leben! Habe keine Angst, zu kurz zu kommen! Iss, bis du lebens- satt sein wirst.

 

Nicht nur grün und schön anzuschauen sind die Bäume, nicht nur Schattenspender sind sie- was nicht wenig ist im Sommer. Sie sind nützlich, fruchtbringend und sie machen glücklich. Da will ich natürlich nicht abseits stehen. Da will ich mich jetzt schon nützlich machen. Es ist ja zu meinem – Pardon: zu unserem Vorteil.

 

Die Bienen werden ganz schön zu tun haben im himmlischen Jerusalem. Und die Menschen auch. Ein wenig die Erde auflockern rund um diese kostbaren Bäume kann auch nicht schaden. Wasser holen vom Fluss mit dem kristallklaren Wasser. Doch vor allem wird es dort heißen: ernten, austeilen, essen.

 

Alle Völker, die ganze Menschheit ist eingeladen zum Gartenfest Gottes. Dass im Himmel nicht an einzelne, sondern an Völker gedacht wird, finde ich bemerkenswert.

 

Es geht nicht um mich und meine Unsterblichkeit – es geht darum, dass unser Zusammenleben gelingt. Leben, das diesen Namen verdient, hat auch die anderen im Blick. Albert Schweitzer hat es einmal so ausgedrückt: „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das Leben will.“

 

Bei Gott kommt der Wunsch nach Leben für alle zu seinem Recht. Das Lebensrecht macht euch gleich. Was immer euch auf Erden unterscheidet, worin ihr auch immer meint, gegenüber anderen im Vorteil zu sein, euch Privilegien verdient zu haben– bei Gott gilt das nicht.

 

Alle sind eingeladen, alle sollen sich bedienen können. Freiobst für alle! Es ist genug da. Verteilungskämpfe gibt es nicht. Um Ressourcen muss nicht gekämpft werden. Die Zugangswege und Tore des himmlischen Jerusalem stehen sperrangelweit offen. Was immer das Zusammenleben torpediert, es wird weggenommen.

 

Ein Biss ins göttliche Obst, und uns werden die Augen aufgehen: wir werden einen Blick dafür bekommen, dass wir uns bislang selten dämlich und egoistisch verhalten und an Partikularinteressen orientiert haben. Und wir werden erkennen, dass wir zusammengehören. Wie wir jetzt schon erkennen, dass es sich in Gemeinschaft am besten gärtnert. Wenn zum Beispiel Junge und Alte sich generationsübergreifend um die Bienen kümmern und sehen: das Essbare und Nützliche ist nicht nur nützlich, es ist auch wunderschön.

 

Gottes Großzügigkeit verändert Menschen. Sie verstehen Zusammenhänge, sie haben Lust, sich zu engagieren, sie haben Freude daran, etwas Gutes zu tun.

 

Der Seher Johannes nennt das, was da passiert „Heilung der Völker“. Heute würden wir es mit Worten wie: „Gemeinwesenorientierung“, beschreiben, oder „Willkommenskultur“.

 

Im Himmel geht es darum, dass unser Zusammenleben gelingt. Das ist das Ziel, auf das alles hinauslaufen soll, dem alle Interessen dienen sollen. Und dazu braucht es offensichtlich auch einen Garten. Wer im Garten zusammenarbeitet, den wird auch ansonsten nicht mehr so schnell etwas auseinanderdividieren. Für mich wird es im Himmel sein wie beim urban gardening.

 

Wer heute und hier unter uns gärtnert, der oder die bewahrt etwas vom Zauber des Anfangs. Und bringt uns der himmlischen Gartenstadt mit jedem Spatenstich und jeder Gießkanne voll Wasser ein Stückchen näher.

 

Aber jetzt habe ich in der Einzahl gesprochen, dabei geht es doch um ein gemeinsames Projekt: Alle Gärtnerinnen und Gärtner bewahren Hand in Hand den Zauber des Paradieses. Alle Gärtnerinnen und Gärtner arbeiten Hand in Hand auf Gottes Gartenstadt zu.

 

Und alle, nicht nur die Pflanzen, bringen Frucht. So wird schon jetzt mancher Schaden geheilt, hier in Mainz am Rhein und an vielen anderen Orten. Amen.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.