Wort zum Tage
Eigentore
05.07.2018 06:20
Sendung zum Nachlesen

Mit vielen anderen in einer Kneipe zu sitzen und sich gemeinsam ein Fußballspiel anzusehen, das hat etwas. Ein Spiel ist mir in besonderer Erinnerung, weil der bis dahin beste Spieler der deutschen Mannschaft kein Tor, sondern ein Eigentor schoss. Unmittelbar danach war es, als ob alles in dieser Kneipe erstarren wollte. Für Sekunden wurde es still, dass man eine Nadel hätte zu Boden fallen hören. Selbst der Bierhahn hörte für Augenblicke auf zu fließen. Der Bann des Erschreckens über das Eigentor war erst gebrochen, als jemand rief: "Das darf doch nicht wahr sein!"

 

Fußball lebt von Toren, klar! Aber Eigentore?! Nein, Eigentore dürfen nicht sein, sollen nicht sein. Passieren aber doch. Bei der Fußballweltmeisterschaft 1994 hat der kolumbianische Fußballspieler Escobar ein Eigentor geschossen. Es sollte ihn das Leben kosten. Er wurde dafür nach seiner Rückkehr in Medellin erschossen. Das mag extrem sein. Aber es scheint mir bezeichnend für die Haltung des Menschen insgesamt. Wir leben in einer Welt, die den Erfolg um jeden Preis so absolut auf ihre Fahnen geschrieben hat, dass Fehler und Versagen, eben Eigentore nicht mehr erlaubt sind.

 

In einer humanen Gesellschaft aber kommt es darauf an, sich auch Eigentore, also menschliches Versagen leisten zu können. Das bedeutet: Alles, von der Hochtechnologie bis zu unserem Umgang miteinander, wäre so auszulegen, dass es den Eigenheiten und Unzulänglichkeiten des menschlichen Denkvermögens und Lebens Rechnung trägt. Man muss das Leben, wie Fachleute sagen, "fehlerverzeihend" gestalten. Der Mensch muss sich von dem Wahn frei machen und frei halten, es zur Vollkommenheit bringen zu können.

 

In biblischer Sicht ist unser menschliches Problem nicht, dass wir Fehler machen. Sondern dies, dass wir mit Gott und der Welt zanken, Versagen nicht eingestehen wollen und uns darum um die kreative, alles verwandelnde Kraft der Vergebung und Versöhnung bringen. Ich glaube, menschliche Fehlleistungen können uns zu einer wichtigen Erkenntnis verhelfen – dazu nämlich, dass ein Leben ohne Fehler im Grunde nicht nur unmöglich, sondern unmenschlich ist. Es sind – menschlich gesprochen – gerade die Fehler, Irrtümer, Misserfolge, eben die Eigentore, die uns Einsichten erschließen und weiterführen.

 

Ich halte es für einen Glücksfall, dass die Fußballregel Eigentore zulässt. Menschlich gesehen sind sie bemerkenswerter als Tore. Sie können jedem von uns passieren, jedem, auch den besten Spielern. Wenn wir darum wissen, könnten wir mit Eigentoren gelassener umgehen – auf dem Fußballfeld und erst recht im Leben.

 

Es gilt das gesprochene Wort.