Sendung zum Nachlesen
"Gehen wohl zwei miteinander, ohne einander begegnet zu sein?" heißt es im Buch des Propheten Amos (3,3). Gelesen hatte ich es schon öfter. Aber richtig aufgegangen ist es mir erst im Gespräch mit einem Rabbiner. Als er es zitierte, hob er die Bedeutung des Wortes "miteinander" hervor und sagte, es bezeichne eine "Schicksalsgemeinschaft". Ich horchte auf.
Denn dies ist ein Inhalt, den unser Wort "miteinander" nicht sogleich vermittelt. "Miteinander" ist für uns ein Allerweltswort. Wir gehen miteinander; tun dies und das miteinander; reden oder feiern miteinander. Was ist Besonderes daran?
Aber in der hebräischen Sprache, sagt der Rabbiner, habe das Wort eine tiefere Bedeutung: "Da geht es um ein gemeinsames Geschick", sagte er, "um eine Weggemeinschaft, bei der einer den anderen nicht loslässt. Also um eine Beziehung, in der man wechselseitig füreinander einsteht und Verantwortung füreinander trägt."
In diesem Sinne hat es auch Rabbiner Leo Baeck nach dem 9. November 1938 aufgenommen, als in Deutschland Synagogen in Flammen aufgingen, jüdische Gotteshäuser und Friedhöfe geschändet und "die natürlichen Brüder und Schwestern Jesu" verfolgt, getötet und in Lager verschleppt wurden. Er sagte:
"In jener Nacht ist auch, ob wir das wissen oder nicht, an die Kirche Hand angelegt worden. Denn die Synagoge ist geschichtlich und geistlich die Mutter der Kirche. Jüdische und christliche Gotteshäuser haben letzten Endes ein unteilbares Geschick. Was dem einen angetan wird, wird auch dem anderen angetan."
Warum haben wir Christen das in zweitausend Jahren Christentum nicht verstanden oder immer wieder vergessen, verdrängt oder verleugnet? Warum haben wir das "Miteinander" in seiner ursprünglichen Wortbedeutung nicht erkennen oder begreifen wollen? Wir hätten es besser wissen können, wissen müssen. Denn die Evangelien lassen keinen Zweifel daran, dass Jesus von Nazareth Jude war und als Jude lebte.
Als im Jahr 1941 in Deutschland die sog. "Endlösung" der Judenfrage vorbereitet wurde, legte der Schweizer Theologe Karl Barth in der Volkshochschule in Basel den Römerbrief aus und sagte in großer Klarheit: "Wer Jesus im Glauben haben will, der muss die Juden mithaben. Sonst kann er auch den Juden Jesus nicht haben."
Barth zieht daraus den Schluss:
"Die Kirche muss mit der Synagoge leben – nicht wie die Toren in ihren Herzen sagen, als mit einer anderen Religion oder Konfession, sondern als mit der Wurzel, aus der sie selbst hervorgegangen ist."
Die Kirche muss um ihre jüdische Wurzel wissen, weil sie sonst nicht mehr weiß, was es um sie selbst ist.
Es gilt das gesprochene Wort.