Gemeinfrei via unsplash / Miroslav Matthess
Immer wieder geht die Sonne auf
Live-Übertragung aus der Evangelischen Karlskirche, Kassel
29.05.2023 10:05
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Predigt zum Nachlesen:

I

[Musik: Udo Jürgens: „Immer wieder geht die Sonne auf“]

Dieser Schlager macht gute Laune, finde ich. Die Melodie bringt in Schwung und geht ins Ohr, der Sänger schmettert und verführt zum Mitsingen. Mir fallen Urlaubsfahrten ein, die ganze Familie steigt nachts ins Auto und fährt in den Morgen: Und immer wieder geht die Sonne auf. Das Radio wird laut gestellt und alle singen mit beim Kehrvers.  Wir haben das Lied auch gehört, als wir gemütlich beim Frühstück zusammengesessen haben. Oder beim Geschirr abwaschen mit meinem Vater, erinnere ich mich, wie er zu Udo Jürgens Schlager mitgepfiffen hat: Dieses Lied passt zu Feiertag und Alltag und hebt die Stimmung.

1967 hat es Udo Jürgens übrigens ein erstes Mal gesungen. Damals war es gleich 12 Wochen in den Charts vertreten. Inzwischen ist es längst ein Klassiker, und der Titel ein geflügeltes Wort. Fast so alt wie ich ist das Lied, und immer noch beliebt.  Ich bin überzeugt, dass es so viel gehört wird, weil es gerade nicht nur für Zeiten von guter Laune passt.
Die Verse erzählen von dunklen Stimmungen. Wenn selbst die Hoffnung nicht mehr besteht, heißt es gleich in der ersten Strophe. Dann fühlt es sich auf einmal so an, als bleibe die Zeit stehen.

Weil etwas aufhört. Da hat ein Paar viele Jahre zusammengelebt, sich in guten und schlechten Zeiten beigestanden und Gemeinsames aufgebaut. Dann verliebt sich einer neu, schon das ist schwer zu sagen und schwer zu tragen – mit vielen Gesprächen, Tränen und schlaflosen Nächten. Aber eines Tages packt er seine Koffer. Das Bett ist leer, die Zahnbürste fort. Er hat sich entschlossen zu gehen. Und für sie, die zurückbleibt, bricht alles zusammen. Mitten am Tag wird es dunkel.

So kann es auch sein, wenn die Kündigung auf dem Tisch liegt. Sie ist gern zur Arbeit gegangen und hat sich nach jedem Urlaub auf die Kolleginnen gefreut. Natürlich gab es Gerüchte, dass es der Firma nicht gut geht. Und nun hat sie s schwarz auf weiß: betriebsbedingte Kündigung. Geben Sie bitte ihren Betriebsausweis ab.   Wie soll es jetzt weitergehen?  Warum soll sie morgen früh wieder aufstehen?
Aus der Zeit gerissen werden Angehörige von einer Todesnachricht. Wir haben davon eben in der Klage von Björn Henkel gehört. 
Wenn ein geliebter Mensch nicht mehr da ist- Dann fühlt es sich falsch an, unwirklich, dass rund um einen herum alles einfach weitergeht. Dann mag die Sonne draußen scheinen, wärmen wird sie nicht, weil es im Innern dunkel bleibt. Es ist etwas unwiederbringlich vorbei. Nie wieder.
Solche Erfahrungen werden im Lied besungen: Wenn ein Blatt irgendein Blatt vom Baume fällt, weil der Herbstwind es so bestimmt. Wenn das Schicksal uns etwas nimmt. Die Zeilen reden von Träumen, die sich nicht erfüllen, eine Liebe, die zu Ende geht, von Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit.

Das Lied redet das alles nicht klein. Es sagt auch nicht einfach: reiß dich zusammen. Wird schon wieder. Es tröstet behutsam. Es wirbt um Vertrauen, um Vertrauen in die Zeit.
Vertraue darauf, dass es ein Morgen gibt, in dem nicht nur die Planeten weiter kreisen. Es hält eine Zukunft für dich bereit. Dunkelheit für immer gibt es nicht. Das kannst du dir an manchen Tagen nicht vorstellen, du kannst es auch nicht… am Kalender ablesen. Manchmal musst du dich sogar gegen alle Fakten von heute bewusst dafür entscheiden: ich vertraue auf ein Morgen!!!
Es ist eine Frage des Glaubens. Auf Gott vertrauen heißt, dass ich mich auf eine Kraft verlasse, die mich umgibt und hält, auch wenn ich sie nicht spüre. Dass ich auf eine Hoffnung setze, die neu in mir aufbricht, weil Gott mich tröstet. Die Mitte der Nacht ist der Anfang des Tages, ist ein Glaubenssatz, der diese Erfahrung beschreibt.
Das Lied besingt die Momente, in denen es wieder heller wird. Es fasst alle Gründe zur Zuversicht zusammen in diesem einen Bild: Immer wieder geht die Sonne auf. Deshalb lohnt es sich aufzustehen und weiterzugehen. Auch wenn ich mich wie gelähmt fühle und denke, die Welt dreht sich ohne mich weiter: Es wird leichter mit der Zeit!

Dabei habe ich Hilfe, das helle Morgenlicht, das mich jeden Tag vertraut und ganz neu umgibt. Gottes Morgengruß zur Auferstehung.
Dunkelheit für immer gibt es nicht. Darauf vertrauen, heißt auf ein Wunder  setzen.  Jeden Morgen neu.

 

II

Wenn ein Traum sich nicht erfüllt….dieses Gefühl hat auch die Männer und Frauen verbunden, die in am Pfingsttag vor über 2000 Jahren in Jerusalem zusammensaßen: Die zwölf Apostel, die Mutter und die Brüder von Jesus. Sie haben für Jesus gebrannt. Sie haben noch vor Augen, wie er Menschen aufrichtet und heilt, wie er sie anspricht, mit ihnen streitet und feiert. Einfachen Leuten wie Ihnen hat er gesagt: Ihr seid das Licht der Welt, nun lasst euer Licht leuchten!
Mit Jesus unterwegs waren sie selig, aber anstrengend war es auch, knurrende Mägen und wunde Füße und die Sorge um einen Schlafplatz gehörten dazu.

Jesus weckte in ihnen die alten Träume von einer Erde, auf der es nach Gottes Willen zugeht: Friedlich und gerecht. Menschen können frei atmen und in Würde alt werden, weil alle haben, was sie zum Leben brauchen.
Am Karfreitag, als Jesus qualvoll am Kreuz starb, bleibt die Zeit für sie stehen. Die Erde bebt, der Himmel verdunkelt sich, so wird es erzählt.
Doch dann erleben sie Ostern-Das Grab ist leer-Jesus ist auferstanden. Ob es wahr ist oder ein Traum? Das haben sie sich in den Wochen nach Ostern gefragt, wenn sie dem lebendigen Jesus begegnet sind.
Doch dann am Himmelfahrtstag ist er endgültig von der Erde-aus ihrer Mitte verschwunden.
Sie blieben traurig zurück. Aber gut, dass sie zusammengeblieben sind. Sie haben zusammen den Verlust ihres Freundes und Meisters ausgehalten. Haben gemeinsam erlebt, dass es einfach dauert, bis die Sonne wieder aufgeht. Jesus selbst hatte es ihnen ja zugesagt: ihr werdet meine Zeugen sein. Ihr sollt diese Botschaft weitertragen: Gottes Liebe verändert die Welt … Doch sie sind dazu erstmal nicht in der Lage. Nicht gleich. Noch nicht.

Heute haben sie sich versammelt in einem Haus in Jerusalem - immer noch hinter verschlossenen Türen. Und dann, plötzlich, geht der Himmel auf, mit Sturmesbrausen und Feuerflammen. Gottes Geist ist da, so wie Jesus es verheißen hat. Dieselben Leute, die eben noch bedrückt und wie gelähmt waren, springen auf, rennen nach draußen und fangen in aller Öffentlichkeit an, laut von Gottes Liebe zu zählen. Und das sogar in Sprachen, die sie vorher gar nicht kannten. Sie verstehen plötzlich, was es mit Jesu Tod und Auferstehung auf sich hat. Sie erleben an diesem Pfingsttag:
Gott schenkt uns seinen Geist- den heiligen Geist. Gott lässt uns nicht allein.
Mutig gehen sie nach draußen und erzählen sie von Gottes Liebe, geben weiter, wofür ihr Herz brennt, und teilen ihre Erinnerung an Jesus.
Es ist dieses Brennen, das am Anfang von Glauben und Kirche steht. Gottes Geistkraft weht, wo sie will, immer neu und überraschend. Sie bringt Menschen in Bewegung, in eine Bewegung von Glauben, Hoffnung und Liebe, die bis heute andauert. So wie Udo Jürgens es singt: Immer wieder geht die Sonne auf, und wieder bringt ein Tag für uns ein Licht.

 

III

Dunkelheit für immer gibt es nicht. Es gibt Tage, da fällt es schwer, das zu glauben.
Es kann lange dauern, bis die Herzenssonne wieder aufgeht. In der tiefsten Trauer ist schon das ein großer Schritt: morgens aufstehen. Und es hilft, sagen Betroffene, einen Rhythmus zu haben, zu kochen, zu essen, zu räumen.
Die Tür aufmachen und rausgehen, Laufen hilft, einfach losgehen oder rennen. Björn Henkel hat es vorhin erzählt. Langsam wächst dann das Vertrauen, dass der Boden mich trägt und meine Füße Wege finden zurück ins Leben.
Schweren Kummer kennen Eltern, die ihre Kinder verloren haben.  Ihre Trauer bleibt oft für immer, aber sie kann sich mit der Zeit wandeln. Dabei können andere helfen,  indem sie mit aushalten. Anhören, was immer wieder erzählt werden muss, und nicht gleich guten Rat geben. Eine Umarmung kann trösten- das Gefühl, da ist jemand, die mich hält, auch wenn ich mich haltlos fühle.
Manchmal ist es gut, zusammen zu schweigen. Und geduldig am Glauben festhalten, dass es in ganz kleinen Schritten geht, zwei vor, einen zurück, dass ein Aufseufzen, ein Schimpfen, ein Lachen möglich wird. Dass immer öfter der Blick auch wieder offen ist für die Freude und den Sinn dieses Tages. Füreinander und miteinander glauben, dass Gott hilft.
Für andere da sein, das hilft. Die Tür aufmachen und schauen, welche Aufgaben auf mich warten, wo meine Hände und mein Verstand Gutes tun können.  Menschen, die Schweres erlebt haben, sind oft besonders gut darin, andere verständnisvoll zu begleiten.
Bei Kindern ist das wunderbar zu sehen. Wenn sie verletzt werden, können sie lebenslang darunter leiden. Viel hängt davon ab, ob ihnen Erwachsene begegnen, die sie ernst nehmen, ihnen zuhören und ihnen dann etwas zutrauen. Dann löst sich die Angst oft wunderbar schnell, ihre kindliche Lebensfreude hat eine ansteckende, strahlende Kraft.
Sich engagieren tut gut. Etwas Sinnvolles tun, im Altenheim oder der Kita, bei der Tafel oder nebenan, das hilft aus der Trauer und gibt mir gute Gründe, morgens aufzustehen.  Gebraucht werden.

Ihr werdet meine Zeugen sein, hat Jesus seinen Jüngern gesagt. Das geschieht da, wo wir Türen öffnen und einfach anfangen. Der Geist von Glauben, Liebe und Hoffnung wird gestärkt im Geben und Nehmen.
Wer betet, öffnet sich für diesen Geist. Im Gebet kann ich die ganze Dunkelheit Gott hinhalten, mit und ohne Worte, die langen Nächte und die zähen Tage, auch Wut und Schuldgefühle. Es ist ein erster Schritt, nicht sofort ein spürbarer Trost. Aber es geschieht, unberechenbar und wunderbar, dass die Nacht Risse bekommt, dass ich tief Luft holen und wieder aufatmen kann, dass Gottes Gegenwart spürbar ist. Auf eine Weise, die nicht zu fassen ist, und von der ich doch zu gern erzählen will. Davon singen. Das mit anderen Menschen teilen: Gott lässt mich nicht allein. Jeden Morgen geht die Sonne auf.

Es hat mich sehr berührt, Udo Jürgens bei seinem letzten Konzert zu hören. Mit 80 Jahren hat er unser Lied noch einmal gesungen, mit einer etwas brüchigen und doch kraftvollen Stimme. Niemand hätte geahnt, dass er wenige Wochen später sterben würde, so plötzlich, wie er sich das gewünscht hatte.
Ich möchte es für ihn glauben, dass Gottes Liebe ihn erwartet hat, dass er ins Licht der Auferstehung gegangen ist und nun, ganz bildhaft, mit den Engeln im höheren Chor singt.
So wie Petrus in seiner langen, langen Predigt am ersten Pfingstfest ausdrückt:
Darum ist mein Herz fröhlich und meine Zunge frohlockt, auch mein Leib wird ruhen in Hoffnung. Denn du, Gott, wirst mich nicht dem Tode überlassen. Du tust mir kund die Wege des Lebens und erfüllst mich mit Freude.

Amen

 

Es gilt das gesprochene Wort.

Dlf Gottesdienst