Die Hände in Unschuld waschen ist keine Option

Morgenandacht
Die Hände in Unschuld waschen ist keine Option
Pilatus in mir
22.02.2016 - 06:35
27.12.2015
Pfarrerin Heidrun Dörken

„Damit will ich nichts zu tun haben. Sollen die anderen sich die Finger schmutzig machen. Ich wasche meine Hände in Unschuld.“ So sprechen die drei berühmten Affen, die nichts hören, nichts sehen und auch nichts sagen wollen. Die leben manchmal auch in mir. Außer diesen Affen gibt‘s noch andere Tiere in meinem inneren Zoo. Manchmal den inneren Schweinehund oder die lahme Ente. Menschen gibt es dort allerdings auch: den alten Adam, oder genauer, die alte Eva. Vielleicht auch den deutschen Michel, ein schlafmütziges Wesen. Und es gibt eine Person, von der die meisten gar nicht wissen, dass sie auch in ihnen stecken könnte. Das ist der Pilatus in mir. [i]

 

Pilatus? In mir? Schon merkwürdig genug, wie er ins christliche Glaubensbekenntnis geraten ist. Aber was habe ich mit ihm zu tun? Ganz einfach: Immer wenn ich meine Hände in Unschuld wasche. Die Redensart ist sprichwörtlich, beim näheren Hinsehen aber seltsam. Wasser zum Waschen, das ist klar. Aber: Wo kriege ich die Unschuld her?

 

Pilatus war römischer Statthalter in Jerusalem zurzeit Jesu. Er hat auch die Aufgabe, das Volk bei Laune zu halten. Aufstände und Terroranschläge sollen vermieden werden. Deshalb wird vor hohen Feiertagen ein populärer Gefangener freigelassen. Der Staat muss sich schließlich auch von seiner großzügigen Seite zeigen. Doch dieses Mal hat Pilatus ein Problem: Er kann sich zwischen zwei Gefangenen nicht entscheiden. Da ist Barrabas, ein Widerstandskämpfer, der nach Art der Terroristen vorging. Der müsste eigentlich hingerichtet werden. Und da ist Jesus; aus dem wird Pilatus nicht recht schlau. Kenne sich einer mit diesem Volk aus und seinen religiösen Extremisten und Idealisten. Soll doch das Volk entscheiden. Wen wollt ihr haben? Die aufgehetzte Menge will Barrabas. Und Jesus? Ans Kreuz! Wörtlich heißt es dann im Matthäusevangelium: „Als aber Pilatus sah, dass er nichts erreichte, sondern das Getümmel immer größer wurde, nahm er Wasser und wusch sich die Hände vor dem Volk und sagte: Ich bin unschuldig an seinem Blut, seht ihr zu!“[ii]

 

Da ist einer überfordert und will seine Ruhe haben. Auf eine Hinrichtung mehr oder weniger kommt es schließlich nicht an. Es ist das alte Spiel: Mir ist das alles zu kompliziert; außerdem habe ich noch was anderes zu tun. Und: Wie man‘s macht, ist’s verkehrt. Also, seht ihr zu, ich wasche meine Hände in Unschuld.

 

Das ist der Pilatus in mir. Aber – meine Hände in Unschuld waschen? Pilatus ist schließlich nicht unschuldig! Auch wenn er die Entscheidung abwälzt, so bleibt er doch für das Abwälzen verantwortlich. Und für die Folgen, in diesem Fall für den Tod eines Menschen. Nichtstun ist auch ein Tun.

 

Das gilt zum Beispiel für die Leute, die nicht zur Wahl gehen. Denn, sagen sie, wen kann man schließlich noch wählen? Die Welt ist so kompliziert, und die Politiker können sie offenbar auch nicht retten. Trotzdem: Nichtwählen ist keine Lösung.

 

Kinder haben es noch gut. Sie können sich die Decke über den Kopf ziehen, und die Welt verschwindet. Als Erwachsene aber müssen wir uns wohl oder übel die Hände schmutzig machen. Wir müssen Entscheidungen treffen und Dinge tun, die falsch sein können. Denn keine Entscheidung ist auch eine, oft aber die faulste. Also muss ich wohl immer mal wieder über meinen Schatten springen, auch wenn der sehr dunkel ist und ich nicht weiß, wo ich landen werde.

 

Mir hilft dabei Gottvertrauen. Ein schönes altes Wort. Das heißt: Tue das Nötige, auch wenn deine Kräfte schwach sind und du unvollkommen bist. Andere machen schließlich auch Fehler; da bist du in bester Gesellschaft. Gott vertrauen? Nur zu!

 

[i] Bei dieser Andacht denke ich an meinen verstorbenen Kollegen Pfarrer Wolfgang Herrmann (1940-2013). Wir haben in Rundfunk-Fortbildungen zusammen Texte zu biblischen Personen entwickelt, u.a. Entwürfe zu Pilatus.

[ii] Matth. 27, 24

27.12.2015
Pfarrerin Heidrun Dörken