Erntedank

Morgenandacht
Erntedank
25.01.2017 - 06:35
23.01.2017
Pfarrer Jost Mazuch

Genauer hinsehen im Supermarkt und nachfragen beim Einkaufen, das versuche ich seit Erntedank. Am Vormittag feierten wir in der Kirche das Erntedankfest. Wir dankten Gott für alles, was wir zu essen und zu trinken haben. Die Kindergartenkinder brachten Früchte und Obst und legten sie vor den Altar, auch Schokolade, Kaffee und ein paar Konservendosen. Das allermeiste, was wir essen, ernten wir Stadtbewohner ja nicht selbst. Auch dafür können wir dankbar sein. Wir haben ja alles, was wir brauchen, in Hülle und Fülle! Darum sangen und beteten wir an diesem Morgen und brachten unseren Erntedank vor Gott.

 

Am Abend nahm ich eine Dose mit Tomaten aus dem Schrank, für die Pizza, die gleich in den Ofen sollte. „Prodotto d‘ Italia“ stand auf dem Etikett. Ich musste an den weiten Weg denken, den dieses Allerweltslebensmittel zurückgelegt hatte, bis es in meine Küche kam. In der Tomatenernte im italienischen Apulien arbeiten viele afrikanische Einwanderer. Meist völlig unterbezahlt: für 2,50 Euro Stundenlohn packen sie in glühender Sonnenhitze die Tomaten in die Erntekisten. 300 Kilo gehen da pro Stunde durch die Hände eines Arbeiters. Dann sind da die Frauen in der Konservenfabrik, die die reifen Früchte verarbeiten. Und die LKW-Fahrer, die sie hierher nach Köln schaffen. Die Lagerarbeiter und die Kassiererinnen im Supermarkt. Sie alle arbeiten schwer dafür – und verdienen wenig daran, dass ich am Ende eine Dose mit Tomaten für weniger als einen Euro kaufen kann. Eigentlich sollte ich nicht nur Gott, sondern auch ihnen allen dankbar sein. Doch diese Dankbarkeit hat einen bitteren Beigeschmack. Denn ich kann ja nicht übersehen, wie ungerecht die Lebensbedingungen verteilt sind zwischen mir als Verbraucher und den Menschen, die mir das Produkt verschaffen. Damit ich gut und billig zu essen bekomme, müssen andere für wenig Geld schwer schuften.

 

Für deutsche Verhältnisse genieße ich wohl einen durchschnittlichen Lebensstandard. Doch weltweit betrachtet gehöre ich damit zu dem reichsten einen Prozent aller Menschen. Das erschreckt mich. Denn das Gefälle zwischen Reichen und Armen ist ja immer auch ein Machtgefälle. Ich will aber nicht auf Kosten derer leben, denen es nicht so gut geht. Und ich tue es dennoch, allein dadurch, dass ich Bürger eines wirtschaftlich so starken Landes bin. Ich will nicht von der Ausbeutung der afrikanischen Wanderarbeiter auf den italienischen Feldern profitieren – und tue es doch, indem ich die billigen Produkte ihrer Arbeit kaufe. Dieser Widerspruch betrifft auch die Kaffeebohnen für meinen Espresso und den Kakao für die Schokolade, auch die Baumwolle für meine Kleidung – so viele Dinge des alltäglichen Lebens werden unter ungerechten Bedingungen hergestellt. Und das mischt in mein Gefühl der Dankbarkeit diese bittere Note.

 

Ich will mir die Freude über einen reich gedeckten Tisch, den Geschmack an gutem Essen nicht schlecht reden. Doch der Dank dafür verbindet sich mit dem dringenden Wunsch nach mehr Gerechtigkeit. Ich weiß, dass gerechte Handelsbeziehungen nicht einfach herzustellen sind. Was ich dazu beitragen kann ist, möglichst oft fair gehandelte Waren zu kaufen. Das sind Waren, deren Hersteller in einem transparenten Verfahren nachweisen, dass die Erzeuger für ihre Arbeit einen fairen Lohn erhalten. Sie sind entsprechend etwas teurer und werden mit einem besonderen Siegel gekennzeichnet.

 

Manchmal gibt es im Vorraum unserer Kirche einen Stand mit solchen Produkten. Da kaufe ich gerne Kaffee und Schokolade. Und auch im Lebensmittelladen entdecke ich jetzt öfter Waren mit einem „Fair-Trade“-Siegel. Fair gehandelte Dosentomaten habe ich aber noch nicht gefunden. Ich habe mir vorgenommen, immer mal wieder danach zu fragen. Wenn viele Menschen das machen, gibt es hoffentlich bald einen gerechteren Lohn für die Erntearbeiter in Apulien.

23.01.2017
Pfarrer Jost Mazuch