Dankbarkeit

Morgenandacht
Dankbarkeit
24.01.2017 - 06:35
23.01.2017
Pfarrer Jost Mazuch

An meinem Haus musste die morsche Giebelverkleidung erneuert werden. Als ich einen Freund um Rat fragte – er ist Schreiner – sagte er kurzerhand: Schicke mir mal die Maße, ich besorge alles und komme vorbei. Wir verabredeten uns, nahmen beide drei Tage frei, und er rückte mit einem Lieferwagen voll Holz und Werkzeugen an. Die ganze Konstruktion war überholungsbedürftig; es gab viel zu tun. Messen, sägen, bohren, anpassen, schrauben; schließlich noch anstreichen. Wir hatten Glück: das Wetter spielte mit. Nach drei langen Arbeitstagen war es geschafft. Der neue Giebel sah gut aus. Beim abschließenden Abendessen fragte ich nach den Kosten. „Ich schicke dir eine Rechnung für das Material.“ Und die Arbeit? „Das war ein Freundschaftsdienst.“ Er hob sein Glas; meinen Protest überhörte er. Und ich spürte in mir eine tiefe Dankbarkeit aufsteigen. Nicht nur wegen dieses großzügigen Geschenks. Die ungewohnte handwerkliche Arbeit hatte mir Spaß gemacht; ich konnte viel dabei lernen. Wir hatten drei produktive Tage miteinander verbracht und waren zufrieden mit dem Ergebnis. Und vor Allem ist es schön, einen Freund zu haben, der da ist, wenn man ihn braucht. „Danke“ – mehr brauchte ich ihm nicht zu sagen.

 

Dankbarkeit tut mir gut, und auch dem anderen, dem ich sie zeige. Sie ist eines der schönsten Gefühle, die ich kenne. Dankbarkeit kann aber auch eine zwiespältige Sache sein. Manchmal steckt ein Stachel in dieser eigentlich doch angenehmen Erfahrung. So ein kleiner nagender Zweifel: Was bin ich dir schuldig? Früher habe ich das noch schlechter ausgehalten, etwas ohne Gegenleistung zu bekommen. Jemandem verpflichtet zu bleiben, ohne mich gleich revanchieren zu können. Da hätte ich dem Freund lieber seine Arbeitszeit bezahlt, als dafür meinen Dank zu sagen und zu zeigen. Ich wollte am liebsten unabhängig sein.

 

Später lernte ich, dass Unabhängigkeit nicht das Wichtigste in meinem Leben ist. Im Gegenteil. Mein Wunsch nach Unabhängigkeit steht mir oft im Weg, macht das Leben unnötig kompliziert und mich selbst unnötig unzufrieden. Denn das musste ich auch lernen: die wichtigsten Dinge im Leben habe ich geschenkt bekommen. Die Liebe eines anderen Menschen kann ich mir nicht erarbeiten oder erwerben. Sie ist einfach da; ich kann sie nur dankbar und glücklich annehmen. Und ebenso dankbar kann ich das viele Andere annehmen, das ich in meinem Leben ganz ohne mein Zutun bekomme. Ich empfinde das alles als Geschenk Gottes.

 

Von meiner theologischen Lehrerin habe ich eine schlichte Art des Betens übernommen: Finde jeden Tag drei Gründe, Gott zu loben! Und so sitze ich oft abends da, lasse den Tag nochmal an mir vorbeiziehen, und danke Gott für das, was mir früher kaum bewusst war. Zum Beispiel, dass ich in einer Zeit des Friedens aufgewachsen bin, ohne Krieg zu erleben, und meine Kinder ebenfalls. Wie wenig selbstverständlich das ist, kann ich dauernd in den Nachrichten sehen. Oder dass ich jeden Tag genug zu essen und zu trinken habe, ja: mehr als genug. Eine warme, trockene Wohnung. Ich habe einen Beruf, den ich gerne mache, und der mir mein Auskommen gibt. Eine Familie. Freunde. Zeit zum Nachdenken. Bücher. Alles nicht selbstverständlich; dazu gibt es viel zu viele Menschen, die das alles nicht haben. Ich bin dafür wirklich dankbar. Bewusst wird mir das oft erst, wenn ich es im Gebet ausspreche.

 

Und wenn ich meinen Dank ausspreche, dann bekommt das vermeintlich Alltägliche einen anderen Wert für mich. So, wie ein Geschenk einen anderen Wert hat als etwas, was ich mir gekauft habe. Der Hausgiebel, den ich mit meinem Freund renoviert habe, ist jetzt ein Teil unserer Freundschaft und deshalb wertvoller, als wenn ich ihn von irgendeinem Handwerker gegen Geld hätte machen lassen. Und so wird alles, für das ich Gott danke, zu einem Teil meiner Freundschaft mit Gott.

23.01.2017
Pfarrer Jost Mazuch