Füreinander beten

Morgenandacht
Füreinander beten
23.01.2017 - 06:35
23.01.2017
Pfarrer Jost Mazuch

„Bete für mich!“ Manchmal sagt das jemand zu mir. Das ist dann für mich ein großer Vertrauensbeweis – und eine Aufgabe. Wir können füreinander beten: das war von Anbeginn ein Kennzeichen der christlichen Gemeinschaft. Die ersten Gemeinden, die weit verstreut im römischen Reich lebten, standen im Kontakt über Briefe, und sie beteten füreinander. Zum Beispiel der Apostel Paulus. Der saß wegen seines Glaubens im Gefängnis, von dort schickte er einen Brief an seine Gemeinde in Philippi. Und als erstes schrieb er: „Ich bete für euch. Ich danke Gott für die Gemeinschaft, die wir haben von Anfang an. Ich denke an euch, wenn ich für euch bete, ich tue das oft und ich tue das mit Freude. Ich habe euch in meinem Herzen.“ Man könnte meinen, dass er im Gefängnis sitzend den Wunsch hätte: Denkt ihr an mich, lasst mich hier nicht so alleine, betet für mich! Stattdessen schreibt er erst einmal darüber, wie er für die anderen, in Freiheit befindlichen betet.

 

„Ich bete für euch, jeden Tag.“ Als das vor vielen Jahren jemand mir sagte, hat mich das sehr berührt. Ich war ein junger Mann, und die mir das sagte, war meine alte Tante, die für mich und meine Geschwister immer dagewesen war, wenn unsere Eltern Hilfe brauchten. Sie war ein guter Geist meiner Kindheit gewesen, und jetzt war ich erwachsen und fühlte mich stark, und sie war alt und krank, und ich dachte, sie braucht bestimmt Hilfe. Mit meinen Geschwistern besuchte ich sie. Wir redeten viel von alten Zeiten und wie es ihr ging. Sie klagte nicht, sondern freute sich über uns, die wir alle so groß geworden waren. Und dann sagte sie plötzlich unvermittelt: „Ich bete für euch, jeden Tag.“

 

Das hatte ich bis dahin nicht geahnt. Und es war wie ein heller Lichtstrahl: Ach so ist das! Da ist seit Jahren jeden Tag ein Gebet über dir, soll dich schützen und stärken, und verbindet dich mit dieser Frau und mit Gott. Hatte ich das gespürt? Ich glaube nicht. Aber es war eine beglückende, stärkende Wirklichkeit. Dieser kleine Satz meiner Tante hat mich viel über das Gebet gelehrt. Über seine stille, geheimnisvolle Kraft.

 

Ich hatte früher oft Skrupel: Wer bin ich denn, dass ich Gott sage, was jemand anderes braucht? Oder was in der Welt geschehen soll? Brauchen die anderen mein Gebet überhaupt? Und braucht Gott mein Gebet? Weiß er nicht viel besser, was gut ist für seine Menschen? – Für meine alte Tante spielten solche Gedanken keine Rolle. Sie betete für uns, basta. Und wie Paulus seine Gemeinde in Philippi, so ließ sie uns daran teilhaben. Und ihre leuchtenden Augen zeigten mir, dass dieses Beten für sie keine saure Pflicht war, sondern eine fröhliche Sache, die ihr selbst viel gab.

 

Skeptiker fragen mich: Meinst du denn wirklich, dass dein Beten etwas bewirkt? Und ich sage: ich kann das nicht beweisen. Aber ja, ich glaube, dass es etwas bewirkt. Vielleicht wirkt es anders, als ich denke. Vielleicht sogar anders, als ich es mir wünsche. Beten heißt für mich nicht, meine Wünsche erfüllt zu bekommen. Beten heißt: ich lege meine Wünsche in Gottes Hände. Und dort können sie sich verändern. Wenn ich z.B. für meine Kinder bete, dann verbindet mich das mit den vielen anderen Eltern in der Welt, die ebenfalls ihre Kinder Gott anvertrauen. Das macht mich wach dafür, dass ich nicht alleine bin mit dem, was mir wichtig ist. Und dass wir aufeinander achten sollen.

 

Ich finde es wunderbar, dass auch in den Zeiten von Internet und Smartphone Menschen füreinander beten. Und auf die geheimnisvolle Verbindung vertrauen, die entsteht, wenn wir sagen: Bete für mich. Oder: Ich bete für dich.

23.01.2017
Pfarrer Jost Mazuch