Tolle Tage - Mal anders sein

Karnevalsumzug am Rosenmontag

Gemeinfrei über pixabay / 652234

Tolle Tage - Mal anders sein
mit Pfarrer Reinhold Truß-Trautwein
10.02.2024 - 10:00
06.02.2024
Pfarrer Reinhold Truß-Trautwein

Ein anderes Bild von sich entwickeln nicht nur im Karneval. In einer biblischen Geschichte klettert einer aus seiner Rolle und entdeckt: Ich kann ganz anders sein! Ein Beitrag der evangelischen Kirche.

 

In dieser fünften Jahreszeit kann man sich natürlich fragen, wie das gehen kann, angesichts von Kriegen und Krisen ausgelassen Karneval zu feiern, Fastnacht, Fasching. Ob man die sogenannten tollen Tage wirklich als solche erleben darf?

Der Psychologe Stephan Grünewald, Chef des Kölner Rheingold-Instituts, sagt: „Karneval ist ein Akt der Selbstfürsorge und steigert auch die persönliche Resilienz.“  Das leuchtet mir ein, auch wenn ich selbst kein großer Karnevalist oder Fastnachter bin. Darüber hinaus werden unter denen, die jetzt in Köln, in Mainz und anderswo durch die Straßen ziehen, viele sein, die das vor Kurzem unter einem anderen Motto getan haben: Demokratie verteidigen, Aufstehen gegen Hass und Rechtsextremismus, „Lieber bunt als braun“. Da gehen dann Demonstrieren und Feiern ganz selbstverständlich Hand in Hand.

Heraus aus dem eingefahrenen Spiel

Eine närrische Zeit lang heraustreten aus der Normalzeit, sich verabschieden aus dem Alltagsbetrieb, sich verkleiden und mal anders sein – dem Ganzen kann ich einiges abgewinnen. Viele wünschen sich so etwas ja auch für ihr Leben sonst: mal anders auftreten, ein anderes Bild von sich entwickeln. Die eine zum Beispiel wäre gerne weniger zurückhaltend damit, ihre eigene Sichtweise zu artikulieren. Einem anderen macht es zu schaffen, dass er sich in die Rolle des ewigen Spaßmachers hineinmanövriert hat. Er würde gerne mehr davon zeigen, wie ernst er manche Dinge nimmt. Was man in sich hat, geht meist nicht auf in dem, was man präsentiert und was andere von außen sehen. Weitgehend ist das ja auch normal; und man hat gelernt, ganz gut damit zurecht zu kommen. Aber manchmal leidet man doch darunter und sehnt sich heraus aus dem eingefahrenen Spiel.

Ein Schwein macht sich zum Affen

In diesem Zusammenhang gefällt mir die biblische Erzählung von Zachäus, Oberzöllner in Israel zur Zeit Jesu (Lukas 19, 1-10). Er ist durch Halsabschneiderei und Kollaboration mit den römischen Besatzern zu viel Geld gekommen. Aber er leidet zunehmend darunter, in den Augen der anderen das Schwein zu sein. Und sie haben ja recht damit; das weiß Zachäus in ehrlichen Momenten selbst am besten. Irgendwie muss er raus aus diesem Leben. Jetzt hat er gehört: Jesus ist in der Stadt – der, von dem so fantastische Dinge berichtet werden! Das könnte seine Chance sein. Das Problem: Die Straße ist längst verstopft von einer riesigen Menschenmenge; zudem ist der Zöllner klein von Statur. Keine Chance also, Jesus zu sehen oder sogar von ihm gesehen zu werden - außer er klettert auf einen Baum. Und genau das tut Zachäus; er macht sich sozusagen zum Affen, um vielleicht doch noch ein richtiger Mensch zu werden.

Und Jesus spielt mit. Er sieht den kleinen Mann auf dem Baum. Ich stelle mir vor, er lächelt ihn an und ruft ihn zu sich herunter. Jesus lädt sich bei ihm zum Essen ein, ausgerechnet bei ihm - welche Ehre, welche Akzeptanz! Und Zachäus kann gar nicht flott genug herunterklettern, führt Jesus zu seinem Haus, das Haus wird schnell voll, es wird laut gelacht, bald ist ein richtiges Fest im Gang. Denn da ist einer aus seiner verhassten Rolle herausgeklettert. „Die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen“, ruft Zachäus, „und wenn ich jemanden betrogen habe, gebe ich es vierfach zurück.“ Und Jesus spricht aus, was alle spüren, die dabei sind: „Heute ist diesem Haus Rettung widerfahren, denn auch er ist Abrahams Sohn“. Zachäus gehört dazu, heißt das, auch er wird von Gott wertgeschätzt und gesegnet.

Ich liebe diese Erzählung, weil sie Dramatik hat – und weil zusätzlich eine Prise Humor hineineingestreut ist. Sie berichtet ja von einer großen Lebenswende und zeigt gleichzeitig, wie Veränderungen überhaupt gut laufen können: durch Akzeptanz – und mit einem Lächeln an der richtigen Stelle. Ein Mensch wird anders angesehen und darf jetzt anders sein.

Sieben Wochen mit

Insofern muss am Aschermittwoch nicht „alles vorbei“ sein. Im Gegenteil, für viele beginnt mit ihm sozusagen eine sechste Jahreszeit. Sieben Wochen ohne sind ja in aller Regel zugleich sieben Wochen mit - ohne etwas, das normalerweise dazugehört; mit etwas anderem, das sich dann womöglich zeigt. Deutlicher seine eigene Sichtweise artikulieren zum Beispiel; oder ernsthafter zuhören und überlegen und sich nicht gleich in ironische Bemerkungen flüchten; oder einfach aufmerksamer in die Welt gucken. Gut, wenn man mit sich selbst mal eine Art Vertrag schließt für eine bestimmte Zeit, in der man so eine Sache bewusst trainiert. Mitunter kann das sogar heiter werden.

06.02.2024
Pfarrer Reinhold Truß-Trautwein