Auf der Suche nach der Seele

Wort zum Tage
Auf der Suche nach der Seele
18.08.2016 - 06:23
18.08.2016
Pfarrer Michael Becker

Er sucht die Seele, seit zwanzig Jahren schon. Günther ist Gehirnchirurg. Und denkt dabei an Gott. Das Gehirn, sagt Günther, ist das Erstaunlichste, was es auf der Welt gibt. Milliarden von Zellen und unzählige Schaltungen in wenigen Sekunden. Das kann doch kein Zufall sein, sagt Günther. Entsprechend vorsichtig geht er zu Werke, wenn er Kranke heilen kann durch eine Operation. Er weiß: Die Seele eines Menschen ist im Gehirn. Also da, wo fast alles geschieht, was das Wesen eines Menschen ausmacht. Das Gehirn steuert alles, tausendmal am Tag. Und das Ganze, also alles, was im Gehirn so geschieht, ist auch Teil der Seele.

 

Günther kann die Seele nicht sehen oder anfassen. Er weiß nur: Sie ist da. Wie ein hauchdünnes und unsichtbares Netz umspannt sie alles, was im Menschen geschieht. Ein Teil der Seele sind die Ängste und Sehnsüchte, die ein Mensch mit sich trägt. In einem anderen Teil der Seele ist das, was ein Mensch von Gott weiß und hofft. Vor allem aber weiß Günther, seit er am Gehirn von Menschen forscht: Man hat immer zwei Möglichkeiten zu glauben. Entweder glaubt man an Zufall. Oder man glaubt an das, was wir Gott nennen, eine Art guten Willen für die Welt.

 

Wenn alles zufällig ist, muss man sich über nichts wundern. Und glauben muss man schon gar nichts. Zufall ist mir aber zu wenig, sagt er. Ein Wunder wie das Gehirn eines Menschen soll Zufall sein? Unser Fühlen und Sehnen und Lieben – all das soll bloß zufällig sein? Zu wenig, sagt Günther. Ich ahne, dass da mehr sein muss. Selbst das Wort Schicksal hat ja etwas mit Schicken zu tun, mit geschickt bekommen. Aber woher? Wenn ich mit Menschen spreche, sagt Günther, spüre ich oft, wie ängstlich sie manchmal sind; und auch wieder voll Vertrauen. Dann verstehe ich Gott zwar immer noch nicht und kann die Seele nicht sehen oder nachweisen. Etwas anderes aber, sagt Günther, empfinde ich deutlich: Jeder Mensch ist einzigartig. Jede Menschenseele ist einmalig, unverwechselbar, immer wunderbar. Aber manchmal leider krank. Wenn ich dann operiere, sage ich oft leise: Bitte Gott, hilf mir, dass ich diesem Menschen helfe und seine Seele heil wird.

18.08.2016
Pfarrer Michael Becker