Etwas, das allen in der Kindheit scheint

Wort zum Tage
Etwas, das allen in der Kindheit scheint
24.12.2016 - 06:23
19.12.2016
Pfarrerin Angelika Obert

„Ich werde Weihnachten zu Hause sein. Du kannst mit mir rechnen.“ So beginnt ein berühmter Weihnachtssong aus Amerika. „I’ll be home for Christmas. You can plan on me.” Nach Hause kommen. Das gehört zu Weihnachten. Darum sind die Züge in diesen Tagen überfüllt. Die Studierenden fahren heim, die Soldaten und all die Frauen und Männer, die nur im Westen Arbeit gefunden haben. Junge Familien brechen auf zu den Großeltern und Großeltern machen sich auf den Weg zu den Kindern.

Zu Hause, das ist da, wo mir die Straßen und Häuser von kleinauf vertraut sind. Wo mich der Weihnachtsbaum verzaubert hat damals, als in der kindlichen Erfahrung Zeit und Ewigkeit noch nicht voneinander geschieden waren. Aber wenn ich schon lange erwachsen bin, dann ist zu Hause etwas Ferngewordenes, selbst, wenn ich wieder da bin. Ich bin das Kind nicht mehr, mit dem hier gerechnet wird. Ich bin bloß zu Besuch.

Zu Hause, das ist da, wo mein Herz hinfliegt alle Tage. Wo der Sohn wohnt oder die Tochter. Wo die Enkel heranwachsen. Aber wenn ich dann da bin, ja, was habe ich denn erwartet? Ich bin bloß zu Besuch in einer ach, so andern Welt.

Wie gut zu wissen, dass man heute Abend mit uns rechnet, dass wir erwartet werden. Und wie eigenartig: Gerade in den Erwartungen der Andern sind wir so ganz zu Hause nicht.

Manchmal ist der beste Augenblick zu Weihnachten sogar draußen, wenn ich ganz allein mit mir bin – oder gerade bloß mit einem wildfremden Taxifahrer spreche. Wenn sich die Erfahrung einstellt, dass es eine Nähe gibt zwischen allen Schicksalen unterm Sternenhimmel. Eine innere Verwandtschaft auch mit den Fernsten.

Heimat, hat der Philosoph Ernst Bloch gesagt: Heimat, das ist etwas, das allen in der Kindheit scheint und worin noch niemand war. Besser lässt sich kaum ausdrücken, was wir zu Weihnachten feiern: die gewisse Zuversicht, dass uns Heimat nicht verloren geht, sondern überhaupt erst auf uns wartet. Dass wir versöhnt sein werden mit uns, mit allen, mit Gott.

Davon haben wir heute Abend eine Erinnerung und eine Sehnsucht. Ein Gefühl des Fehlens, es gehört dazu. Und weil es in allen ist, sind wir einander gut. Auch wenn es mit dem Planen und Miteinanderrechnen nicht so ganz klappt. Wie heißt es in dem amerikanischen Weihnachtslied: „Ich werde Weihnachten zu Hause sein – if only in my dreams.“ Und wenn auch nur im Traum.

19.12.2016
Pfarrerin Angelika Obert