Passion auf der Onkologischen

Wort zum Tage

Gemeinfrei via unsplash/ Mateus Campos Felipe

Passion auf der Onkologischen
von Ulrike Greim
21.03.2024 - 06:20
21.02.2024
Ulrike Greim
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„Nichts hält Gottes Macht auf.

Du denkst, du kannst mit ihm ringen? Stell dich in den Sturm. Schrei ihn an.

Kämpfe mit ihm – mit all deiner Macht.

Was willst du ausrichten?

Schrei ihm dein Elend entgegen. Trommele mit Fäusten an die Himmelswand.

Wein dich aus. Seufze. Brülle. Schweige.

Aber du hältst Gott nicht auf, so wie du keinen Fluss aufhalten kannst.“

Worte für eine Frau auf der Onkologischen Station.

Sie sitzt zusammengesunken auf ihrem Bett. Die Enkel haben ihr Bilder gemalt von Schmetterlingen und Blumenwiesen und Oma auf der Schaukel. Aber sie hat keine Kraft mehr. Die dritte Chemo ist durch sie hindurchgelaufen und hat alle Energie geraubt. So fühlt sie sich. Wie beraubt. Alle Lebensfreude: ausgeschwemmt.

Die Tochter ist zu Besuch. Hat Obst mitgebracht, Frühblüher aus dem Garten. Sortiert sie in eine kleine Vase. Ihre kranke Mutter ist blass und kann sich diesmal nicht freuen. Sie ist einfach nur müde. Die Füße schmerzen. Die Nacht war wieder arg durchlöchert.

Sie hat sonst immer eine Bibel auf dem Nachttisch liegen. Aber die kann sie gerade nicht ertragen. Gott schweigt. Manchmal fühlt sie sich, als würde er sie auslachen.

Die Tochter streichelt ihr behutsam den Arm. Ja, weine alles raus. Lass fließen. Die Tränen, den Zorn, die Ohnmacht.

Lass es zu. Du hältst den Fluss nicht auf.

Die Mutter will ablenken. Fragt, wie es in der Familie geht. Und ob die Nachbarn etwas mitgekriegt haben. Sie mag es nicht, dass alle Gedanken so unsortiert aus ihr herauspurzeln. Es ist alles schwer.

Als die Tochter weg ist, wird es wieder still.

Am nächsten Tag soll sie eine Runde durchs Haus gehen. Sie geht und steht vor der Kapelle. Na gut, sie schaut einmal kurz rein. Zu klein, findet sie, zu grau. Aber immerhin ein ruhiger Ort. Sie setzt sich auf einen Stuhl und atmet durch. Da vorne hängt Jesus am Kreuz. Die Arme ausgebreitet, den Kopf geneigt. Ist er tot oder leidet er noch? Sie kann es so fühlen. Er ist plötzlich sehr nah. „Du verstehst mich, oder?“ Fragt sie halblaut in den Raum. Es ist still.

Nein, sie will und kann nicht brüllen und schreien. Sie seufzt.

Und ist einen Moment mit diesem Jesus. Und er mit ihr.

Es gilt das gesprochene Wort.

21.02.2024
Ulrike Greim