Versuchungen: Der Heilige mit dem Schwein

Wort zum Tage
Versuchungen: Der Heilige mit dem Schwein
30.04.2016 - 06:23
11.01.2016
Pfarrerin Angelika Obert

Kein Heiliger hat die Maler so fasziniert wie Antonius, der Eremit. Ein Christ der Spätantike, der die Verwirrungen dieser Welt hinter sich lassen wollte und darum in die ägyptische Wüste zog. Aber seine Ruhe fand er da noch lange nicht und auch keine spirituelle Erleuchtung. In der Einsamkeit begegneten ihm vielmehr alle möglichen Teufel, Dämonen, Monster und auch monströs verführerische Frauen. Lauter bedrohliche Wesen, die ihn quälten – sie verkörperten all das, was Antonius doch meiden wollte: Gier und Größenwahn, Wut und Gewalt, Schmutz und Bosheit. Die Versuchungen des Heiligen Antonius haben die Künstler des Mittelalters oft und offenbar mit Genuss dargestellt – konnten sie doch da auch ihren eigenen Horrorvisionen Gestalt geben. Besonders gut konnte das der Maler Hieronymus Bosch. Auf seinem Tryptichon hat sich die Welt um Antonius in eine wahre Hölle verwandelt. Da kommen Folterer anmarschiert, eine schwarze Messe wird gelesen, ein künstliches Kind gezeugt. Die Menschen haben Schweineschnauzen und lange, gierige Vogelschnäbel – sie erscheinen samt und sonders als widerwärtige Fratzen. Ein Alptraum des Bösen umzingelt den armen Antonius. Und das wirkt gar nicht mal so mittelalterlich, wenn man bedenkt, wie die heutigen Fantasy-Welten mit ähnlichen Ungeheuern bevölkert sind.

 

Ich mag das Bild gar nicht besonders. Es sind vielmehr zwei andere Bilder von Hieronymus Bosch, die mich faszinieren. Der hat nämlich am Ende seines Lebens den Heiligen Antonius noch zwei Mal gemalt. Das eine Bild wurde erst jetzt entdeckt. Da steht der Heilige als fröhlicher alter Mann auf einer tiefgrünen Wiese und streichelt ein kleines, rundes Schwein. Auf der Wiese verstreut liegen noch ein paar kleine Monster, aber bloß wie kaputtes Spielzeug. Die Welt ist keine Hölle mehr und Antonius nicht mehr ganz allein. Er hat das Schwein an seiner Seite. Auf dem Bild steht es sicherlich für das Triebhafte und Dunkle, das sogenannte Unreine. Offenbar hat Antonius jetzt begriffen: Das gehört zu mir. Das Dunkle kommt nicht von außen, es ist ein Teil von mir. Und da er das verstanden hat, ist es nicht mehr bedrohlich und die Welt keine Hölle mehr. So sitzt er denn auf dem andern Bild endlich auch ganz in Frieden an einem Bach und schaut ins Ewige, während das Schwein an seiner Seite wohlig schläft. Ich finde ihn ziemlich genial, den Heiligen mit dem Schwein. Der hat seinen Frieden gefunden nicht, weil er alles Niedere gemieden und abgewehrt hat, sondern weil er hindurchgegangen ist und es für sich angenommen hat.

11.01.2016
Pfarrerin Angelika Obert