Versuchungen: Der Hunger nach Mehr

Wort zum Tage
Versuchungen: Der Hunger nach Mehr
26.04.2016 - 06:23
11.01.2016
Pfarrerin Angelika Obert

Der Tag war etwas öde. Irgendwie sollte ich mich jetzt noch belohnen. Es zieht mich im Bauch, was Hübsches zu kaufen. Da ich schon in der Stadt bin, könnte ich doch mal kurz in den großen Bekleidungsladen gucken, wo es manchmal ziemlich billig was Schickes zu entdecken gibt. Jedenfalls ein bisschen stöbern. Aber wenn ich mich schon so mühsam durch die Kleiderständer geblättert habe, warum nicht auch anprobieren? Und wenn ich schon Schlange stehe vor der Anprobe, sollte ich doch nun wirklich was kaufen. Ein Shirt für 19,99 Euro – das ist drin. An der Kasse staune ich, wie viele Leute ein ganzes Rollwägelchen voll Kleidung bezahlen wollen. Was mich angeht, ich denke jetzt mal nicht daran, wie viele Shirts zu Hause schon im Schrank hängen. Denke erst recht nicht daran, unter welchen Umständen sie genäht wurden und wie viele Frachter und Flugzeuge Benzin verbrauchen, um all die Sachen von Fernost hierher zu bringen. Ich bin einen kleinen Augenblick lang befriedigt, ich hab mir was zum Anziehen gekauft.

 

Und bin wenig später auch wieder unzufrieden, dass ich es nicht geschafft habe, es bleiben zu lassen. Shoppen – das ist Lebensgenuss, hat mir mal eine enthusiastische Verkäuferin erklärt. Da geht es überhaupt nicht darum, was man braucht. Doch mein Gewissen will das nicht ganz glauben. So ein großer Genuss war das Gedrängel in dem stickigen Laden ja gar nicht. Warum mache ich es trotzdem? Wo kommt er her, dieser ständige Hunger nach etwas Neuem? Trotz allem, was ich schon habe? Warum kann ich dem Ziehen im Bauch oft nicht standhalten, wenn mir mal gerade etwas öde zumute ist?

 

Es ist nicht verwerflich. Wir sollen diesen Hunger ja haben. So funktioniert die Wirtschaft. Aber ein Wahnsinn ist es doch, wenn ich bedenke, dass der Kleiderschrank längst voll ist. Jedenfalls ist es ein unzweckmäßiges Handeln, also das Reinfallen auf eine Versuchung. So  sagt es jedenfalls Wikipedia: Eine Versuchung ist „unzweckmäßiges Handeln“.

 

Wie haben  die Leute das wohl früher gemacht, als es für die Allermeisten gar nicht in Frage kam, auf dem Nachhauseweg mal eben noch ein Shirt zu kaufen oder im Elektronikmarkt eine DVD zu holen?

 

Vom Einkaufen erzählt die Bibel nicht viel – sie erzählt allerdings davon, wie Jesus selbst in Versuchung geriet, als er in der Wüste fastete. Da hatte er am Ende einen großen Hunger – und ließ sich doch nicht verlocken, aus Steinen Brot zu zaubern. „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“ - so seine Begründung. Der Mensch lebt erst recht nicht vom Shoppen. Ich weiß schon, das ist auch für mich oft nur ein Ersatz, eine Verwechslung.

 

Wovon lebe ich wirklich? Was macht mich lebendig? Die Frage sollte ich wahrscheinlich mal aushalten, wenn es mich wieder im Bauch zieht.

11.01.2016
Pfarrerin Angelika Obert