Angemessen

Angemessen
Das Wort zum Sonntag von Gereon Alter
05.12.2015 - 23:45

Guten Abend meine Damen und Herren.

 

Gestern hat der Deutsche Bundestag über den Syrien-Einsatz der Bundeswehr entschieden. Bis zu 1200 deutsche Soldaten sollen in das Kriegsgebiet gehen, eine Fregatte, sechs Aufklärungsflugzeuge und ein großes Tankflugzeug.

 

Vor einigen Jahren hätte mich eine solche Nachricht noch auf die Straße getrieben. Immerhin gehöre ich einer Generation an, die das militärische Wettrüsten in der Zeit des Kalten Krieges miterlebt hat. Damals, als Sechzehn-/Siebzehnjähriger, war ich der festen Überzeugung, dass keine Form des Krieges und keine Form des militärischen Aufrüstens mit meinem christlichen Glauben vereinbar wäre. Ein Christ hat ein Pazifist zu sein, davon war ich fest überzeugt.

 

Heute bin ich nach einigem Ringen geneigt, der Entscheidung des Deutschen Bundestages zuzustimmen. – Habe ich damit meine christlichen Überzeugungen verraten? Das habe ich mich in den vergangenen Tagen sehr ernsthaft gefragt. Wo liegt der Unterschied zwischen früher und heute? Und: Hat sich meine Haltung zu Militäreinsätzen tatsächlich so verändert?

 

Verändert hat sich zunächst einmal die politische Wirklichkeit. Die scheinbar einfache Aufteilung der Welt in Ost und West, Gut und Böse will einfach nicht mehr passen. Die Interessens- und Konfliktlagen sind viel komplizierter und fast unüberschaubar geworden: Solidarität mit Bündnispartnern, Verteidigung von Grundwerten, wirtschaftliche Interessen, einander völlig widerstrebende politische Strategien … Und über allem die Frage: Wie soll Syrien morgen aussehen? Wer soll das Land dann regieren und vor allem wie?

 

Ich habe die Bundestagsdebatten dieser Woche sehr aufmerksam verfolgt und mir die Reden aller Parteien angehört. Keiner der Redner hat es sich leicht gemacht. Keiner hat seine Ansicht aus dem Ärmel geschüttelt. Und vor allem: keiner hat sich von Hass- oder Rachegedanken treiben lassen. Auch wenn am Ende unterschiedliche, ja einander widersprechende Einschätzungen standen: es ist sehr ernsthaft und sehr differenziert um eine gute Lösung gerungen worden, um eine angemessene Reaktion auf den menschenverachtenden Terror des „Islamischen Staates“.

 

Eine so errungene Entscheidung trage ich mit. Nicht nur als Bundesbürger, sondern auch als Christ. Denn eines ist mir in dieser Woche noch einmal neu bewusst geworden: meine christlichen Werte und Ideale (das Gebot der Nächsten- und der Feindesliebe, des Vergebens und Verzeihens …) sind als Maßstab unverzichtbar, aber ich muss mich auch mit den hier und jetzt gegebenen realpolitischen Möglichkeiten auseinandersetzen. Und einfach nur zuzuschauen, wie Menschen getötet werden, ist die schlechteste aller Lösungen.

 

Und noch etwas ist mir in dieser Woche sehr bewusst geworden: die nun beschlossene Militäroffensive darf in keinster Weise ein Ersatz sein für die immer noch ausstehende politische Lösung des Syrien-Konfliktes. Ganz im Gegenteil: je massiver der Militäreinsatz, umso wichtiger wird der Blick aufs Ganze und umso drängender wird es, dass in der gesamten Region endlich wieder Frieden herrscht.

 

Denn darum muss es letztlich gehen: dass die Menschen in Syrien wieder in Frieden leben können. Davon bin ich als Christ nach wie vor überzeugt – und dafür bete ich.