Gottesdienst aus der reformierten Pfarrgemeinde Wien-Süd
Vom Saulus zum Paulus
Gottesdienst aus der reformierten Pfarrgemeinde Wien-Süd
22.04.2019 10:05
Predigt zum Nachlesen
 

Paulus ist wirklich wütend, als er sich auf den Weg nach Damaskus macht. Und er hat sich seinen Zorn quasi amtlich gutheißen lassen: Er hat Dokumente im Gepäck, die es ihm erlauben, diese Christen festzunehmen und nach Jerusalem vor Gericht zu bringen.

 

Deren Treiben musste einfach ein Ende gesetzt werden! Diese Sektierer setzen immer mehr Menschen Flausen in den Kopf mit ihren Fake-News vom auferstandenen Rabbi Jesus und dessen absurder Lehre, dass die frohe Botschaft von Gott allen Menschen gehört und nicht nur den Juden, dass er der Messias gewesen sei und für alle Menschen, die an ihn glauben, das Heil gebracht habe.

 

Als Paulus ins Licht der biblischen Geschichten tritt, wird wenig mehr über ihn gesagt, als dass er ein Feind der Christen war und sie massiv bekämpfte. Selbst aus seinen eigenen Briefen, die er später an die christlichen Gemeinden verschickt, erfahren wir nur spärlich Biografisches.

 

Er war für die damalige Zeit so etwas wie ein wohlsituierter Weltbürger: Ein sehr gebildeter Jude, strenger Pharisäer, vermutlich aus Tarsos, in der heutigen Türkei, stammend.

 

Aus der Art, wie er seine Briefe verfasst, lässt sich schließen, dass er nicht nur in den jüdischen Schriften sehr bewandert war, sondern auch hellenistische Bildung genossen hat, jedenfalls mit der Kunst der Rhetorik gewandt umzugehen wusste. Er war römischer Bürger, warum weiß man nicht, nur, dass das ein Privileg war, das sehr wenigen Juden im römischen Reich zuteil wurde. Und Paulus hatte beste Verbindungen nach oder in Jerusalem. Sie reichten scheinbar bis in die höchsten Kreise der Tempelpriesterschaft.

 

Pharisäer waren damals hoch geachtet. Denn sie nahmen es mit Gottes Gesetz und all den Regeln und Vorschriften die in der Thora, der Weisung Gottes festgeschrieben sind, sehr genau. Sie mühten sich, jede einzelne davon peinlichst genau einzuhalten, um Gott und das Gesetz zu ehren und sich als Kinder des auserwählten Gottesvolkes würdig zu erweisen. Nur so konnte man ein gutes Leben führen, das war ihre tiefste Überzeugung.

 

Mit Jesus und seiner Anhängerschaft traf Paulus offenbar zu dessen Lebzeiten nicht zusammen. Nur wenige Jahre danach war er ein erbitterter Feind der zaghaft sich ausbreitenden christlichen Gemeinschaft.

 

Er konnte nichts anfangen mit der Lehre von einem, den man wegen doppeltem Verrat hingerichtet hatte: Für den Verrat an seinem angestammten jüdischen Glauben, wie er Paulus heilig war und für die falsche, unvorsichtige und fahrlässige politische Gesinnung gegenüber den Römern.

 

Bald nach dem Tod Jesu hatte sich hinter vorgehaltener Hand das Gerücht verbreitet, er sei von den Toten auferstanden. – Der blanke Unsinn – man wusste doch, dass noch nie einer aus dem Totenreich einer zurückgekehrt war! Aber nach einer Weile begann diese neue Sekte das Herz des Judentums, dessen heilige Gesetze in Frage zu stellen und aufzuweichen.

 

Wie hätte Paulus anders handeln können, als diese Menschen zu bekämpfen?

Er wusste schließlich, was richtig war und gut und gottgefällig. Er hatte die Schriften studiert und kannte die Propheten, deren Worte zitiert wurden, seit vielen Generationen. Nichts darf daran verändert werden, kein Jota vom Gesetz weggenommen.

 

Paulus, auf seinem Weg nach Damaskus, ist ganz in seine Empörung verstrickt, als ihn plötzlich grelles Licht blendet, ihn jemand anspricht, den er nicht sieht und es ihm den Boden unter den Füßen wegzieht. Er versucht sich zu orientieren, aber es geht nicht, er tappt im Dunkeln.

 

Der welt- und wortgewandte Macher Paulus muss von der Straße geklaubt und an der Hand in ein fremdes Haus geführt werden, ist plötzlich in fremder Umgebung auf Fremde angewiesen, kann sich nicht mehr auf das verlassen, was er mit eigenen Augen sieht, sondern muss sich auf die Worte derer, die um ihn sind, stützen. Er muss hinhören, genau hinhören, muss sich neu und anders ausrichten. Er kann die Christen, seine scheinbaren Feinde, nicht mehr sehen, aber er hört jetzt, was sie zu sagen haben und – er hört Christus. Er beginnt im Stimmengewirr von vielen seine Stimme zu erkennen und sein Wort unter den anderen Wörtern herauszuhören.

 

Nach drei Tagen Dunkelheit ist Paulus ein anderer Mensch. Die fremde Botschaft hat ihre Bedrohlichkeit verloren, ist gewissermaßen eingesickert in die vertrauten Worten der Thora, die er wie alle frommen Juden beständig vor sich hinmurmelt, während er betet, und sie hat dem Wort Gottes einen neuen Klang beigemengt.

Paulus versteht. Er beginnt Altbewährtes und Neues zu verknüpfen und begibt sich mit seinem vertrauten Gott auf einen ganz neuen Weg.

 

 

Als Ulrich Zwingli am 1. Jänner 1519 in Zürich seinen Dienst antritt, hat er bereits sein altes Leben hinter sich gelassen. Das neue, das kann er aber erst in Umrissen erkennen. Bisher ist er ein angesehener katholischer Priester gewesen, mit wachem Geist, nicht unkritisch, aber über lange Jahre loyal gegenüber der Institution Kirche und ihrem Haupt, dem Papst in Rom. Seine Loyalität hat ihm sogar eine päpstliche Pension eingebracht, die auch noch am Beginn seiner Tätigkeit in Zürich bezieht. Und trotzdem: Sein Bild von dem, was Kirche ist und sein soll, ist in Bewegung gekommen, durch sein Studium der biblischen Schriften. In diesen erkennt er immer mehr, wer Christus ist, was er ihm zu sagen hast und letztendlich: Was er von ihm glauben darf. Christus, von dem er später einmal sagen wird, er sei für ihn wie verdeckt gewesen, musste erst wieder ans Licht gebracht werden, ans Licht kommen, musste ihm, wie Saulus, erst wirklich begegnen, im Blick auf sein Wort.

 

In einer Schrift von 1522 bezieht sich Ulrich Zwingli auf dieses Erlebnis des Saulus vor Damaskus, und stellt die Frage, wie die Stimme überhaupt als Stimme Jesu Christi erkannt werden konnte. Und gibt die Antwort, so wörtlich: „Dass er diese Stimme als die Stimme Jesu Christi erkannte, ermöglichten ihm weder sein Verstand, noch seine Urteilskraft, sondern allein das Licht Gottes, das ihn sogar mit einem sichtbaren Schein umgab.“ Und, das, so meint Zwingli dann weiter, „ist nichts anderes als die Erleuchtung und Begabung durch Gott mit dem Heiligen Geist. … so haben wir niemanden mehr nötig, der uns belehrt.“

 

Was für ein Bruch mit bisher Geglaubtem und Vertretenen! Ein Bruch mit der kirchlichen Hierarchie und den Lehren, die diese vermittelt. Saulus vor Damaskus hat nur den Auferstandenen hören müssen – und damit war die Voraussetzung für seinen weiteren Glaubensweg geschaffen. Christus hören – und damit alles haben, was zum Glauben nötig ist, als Geschenk des Heiligen Geistes, davon war auch Ulrich Zwingli überzeugt.

 

So wird verständlich, warum für ihn plötzlich das kirchliche Leben frommer Schein und leerer Ritus ist. Warum er das ändern will, ja ändern muss. Sich in die Arbeit stürzt und unermüdlich daran arbeitet, dass die Bibel gelesen und verstanden, ausgelegt und ihre Botschaft verkündigt wird. Nichts weniger als viele weitere Damaskuserlebnisse sollen geschehen, Momente, in denen Menschen die Stimme Christi für sich hören und wissen: Er ist es. Und was er sagt, das ist es, was ich brauche!

 

Ein „Damaskuserlebnis“ verändert Glaube, Einstellungen, aber dann eben auch Verhalten. Saulus, der Verfolger der ersten Christen, wird zu Paulus, dem Missionar Jesu Christi. Reist, predigt, schreibt. Reißt Menschen mit. Ulrich Zwingli begegnet dem Auferstandenen in der Schrift, und versteht, was Auferstehung bedeutet: Sich bewusst Totmachendem entgegenzustellen. Und beginnt zunächst einmal in der Kirche, schafft ab, was nicht biblisch begründet ist, was einem lebendigen Glauben, einer dynamischen Beziehung zu Gott hinderlich ist. Und er beginnt an der Veränderung der Gesellschaft, der Welt zu arbeiten. Auch ist viel Krankmachendes und Leben Zerstörendes: Armut, Ausbeutung, soziale Ausgrenzung, Mangel an Bildung, und nicht zuletzt sprichwörtlich Totmachendes: Das Riesengeschäft der Schweizer Oberschicht mit der Vermittlung von Söldnern, dem Verkauf von Menschenleben. Zwingli, der selbst zuvor Söldner in den Krieg begleitet hat, stellt das Lebensrecht und den Lebensschutz über alle anderen Überlegungen – und muss sich den Vorwurf gefallen lassen, der Wirtschaft geschadet, einen ganzen Wirtschaftszweig vernichtet zu haben.

 

Auferstehung ist eben auch Aufstehen aus totmachenden Verhältnissen und Umständen. Wie Paulus dann nach seinem Christ-Werden aus der Thora schöpft und Christus in ihr finden kann, greift auch Zwingli auf Vertrautes zurück: Die Heilige Schrift, die er studiert hat, aber jetzt ganz neu entdeckt. Als lebendiges, Leben schützendes und Leben schenkendes Wort Gottes.

 

Da muss es nicht immer leuchten und die Stimme Christi ist manchmal auch nur ganz leise zu hören. Aber sie ist zu hören. In mein Leben hinein, und in das Leben Anderer hinein. Manchmal auch durch mich, wenn ich mich von der Stimme Christi leiten lasse. Amen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Dlf Gottesdienst