Wort zum Tage
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16.12.2019 06:20
Sendung zum Nachlesen

Zu dritt sind wir von Berlin zur United Church of Christ nach Greensborough, North Carolina, USA, gefahren.

Queer, Migration, Klimakrise. Unsere Gastgeberinnen und Gastgeber haben jedem Tag eine Überschrift gegeben. Heute steht Rassismus drüber.

 

Den Vormittag waren wir in einer Schwarzen Gemeinde. Wir wurden herzlich begrüßt und hatten dann erst mal nichts mehr zu sagen. Der Bischof forderte seine Gemeinde dazu auf, uns ihre Erfahrungen mit Rassismus zu erzählen: "Ihr sollt nicht predigen, sondern eure Geschichten erzählen." Und sie erzählten. Einer nach der anderen. Die meisten waren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geboren. Waren unter der Segregation aufgewachsen und hatten ihr Ende erkämpft. Der Rassismus wirkt fort. Auch innerhalb der United Church, in der es Schwarze und weiße Gemeinden gibt. Oft gleichbedeutend mit arm und reich. Die verinnerlichten Verhaltensweisen – so hören wir – wirken ebenfalls fort: Wenn mir eine Weiße auf dem Gehweg entgegen kommt, mache ich Platz; oder aber: Nie wieder! Jetzt ist die Zeit, wo sie Platz zu machen hat!

 

Pause. Gemeinsam essen. Dann bin ich dran. Was machen diese Geschichten mit dir als Weißem. Wann hast du Rassismus erlebt? Vor dieser Schwarzen Gemeinde stehen und über meine Erfahrungen mit Rassismus sprechen. Ich wünschte ich könnte das souveräner. Es ist mehr Stottern als Reden. Ich bin überwältigt und dankbar, dass diese Menschen mir ihre schmerzhaften Geschichten erzählt haben.

Aber wenn ich eins nicht möchte, dann ist es hier zu weinen.

Selbstverständlich gibt es für mich genug zu erzählen: In Deutschland aufzuwachsen heißt, rassistisch geprägt zu werden. Es war und ist ein schmerzhafter Prozess, mir dieser Prägung bewusst zu werden.

 

Am Nachmittag sitzen wir in einem Café und essen Cheesecake. Geane kommt durch die Tür und steuert auf uns zu. Eine alte Dame aus der Schwarzen Gemeinde vom Vormittag. Sie hatte da nichts erzählt, nur die Geschichten von ihren schwarzen und weißen Mitchristinnen und Mitchristen angehört. Jetzt ruft sie: "Lukas, You have to give me one cigarette of yours!" "Sie haben gesagt, dass du diese gedrehten Zigaretten rauchst. Ich möchte eine davon!"

 

Vor der Tür drehe ich ihr eine Zigarette und ich erfahre, dass Selbstgedrehte in den USA quasi unbekannt sind. Im Gegenzug zu meiner bietet sie mir eine ihrer dünnen, langen Mentholzigaretten an. Wir stehen an der Straßenecke, rauchen, lachen und feiern den Moment.

Ein Polizeiauto fährt vorbei. Sie zuckt zusammen, versteckt die Selbstgedrehte und fragt mich: "Können die mich dafür festnehmen?"

 

Es gilt das gesprochene Wort.