Morgenandacht
Quelle: epd-bild/Jannik Eifert (Foto vom 20.02.2020: Tatort Arena Bar & Cafe am Kurt-Schumacher-Platz in Hanau)
Hanau
Morgenandacht am 21.02.2020
21.02.2020 05:35
Sendung zum Nachlesen

Ich weiß nicht, was der mutmaßliche Terrorattentäter von Hanau gedacht, an was oder wen er geglaubt hat. Tief drin, in seinem Inneren. Ich weiß nicht, was seine 72-jähre Mutter gedacht, an was oder wen sie geglaubt hat. Jetzt, da ich diese Andacht spreche, ist das alles noch nicht klar, gibt es nur Mutmaßungen, ist es eine Spurensuche. Und vermutlich wird es das auch bleiben – Vermutungen zum Motiv des Täters, Spurensuche in seinen Kontakten und in seinem Leben.

 

Nach der Tat, zu spät, um diese noch zu verhindern – aber wichtig und richtig. Für das Miteinander in der Gesellschaft, für Prävention vor solchen Terrortaten und nicht zuletzt – um Menschen wie dem Attentäter begegnen zu können. Ihre Verirrungen und Verletzungen erkennen zu können. Ihnen früh genug die Aufmerksamkeit geben zu können, die sie wie jeder Mensch verdienen.

 

Jetzt über seine Tat zu sprechen – wie es die Medien tun und tun müssen, wie ich es gerade tue - das gibt ihm eine Aufmerksamkeit, die er nicht verdient. Wie immer bei solchen Terrortaten, die genau das zum Ziel haben: Aufmerksamkeit. Im Radio, Fernsehen, in Zeitungen, den sozialen Medien. Die will ich ihm nicht geben und komme doch nicht daran vorbei. Der Angst, die er gesät hat, will ich etwas entgegensetzen. Dagegen reden, glauben, hoffen, beten: dass das Miteinander, der Zusammenhalt in unserer Gesellschaft größer ist als der vereinzelte fanatische Wahn, stärker als krude Verschwörungstheorien. Dass die Hoffnung auf Zukunft nicht von giftigem Hass bestimmt wird, sondern von Nächstenliebe und Träumen, wie es besser werden kann als es ist.

 

Was ich auch nicht weiß: Wie Gott dem Attentäter begegnet. Als Theologe kann ich begründet vermuten, als Christ daran glauben: Er wird sich vor Gott verantworten müssen, für sein Leben, auch für seine Mordtat. Das unterscheidet ihn nicht von allen anderen Menschen – wir alle tragen Verantwortung, müssen Antwort geben, vor Gott und der Welt, für das was wir tun oder nicht tun, für uns selbst und unsere Mitmenschen. Wie Gott dem Attentäter begegnet, wie sein Gericht über dem und den Menschen aussieht – das muss ich Gott überlassen. Und kann es getrost tun: Getrost, weil ich daran glaube, dass Gottes Gerechtigkeit und seine Verheißung größer sind als unsere persönliche und gesellschaftliche Vernunft es ist.

 

Wessen ich mir sicher bin, was ich wissen kann als Theologe, als Christ und als Mitmensch: Gott ist bei den Angehörigen, den Helfern und Tröstern, bei den Opfern. So, wie er es immer schon war. Aber nicht als Allmächtiger. Diesen allmächtigen Gott frage ich – warum, immer noch und immer wieder, kann eine solche Tat geschehen? Aber diese Frage fällt auf mich zurück, als Mensch und Teil der Gesellschaft. Warum, immer noch und immer wieder, kann eine solche Tat geschehen?

 

Gott ist bei den Angehörigen, den Helfern und Tröstern, bei den Opfern. Als mitleidender Gott. Der sich an die Seite der Leidenden und der Trauernden stellt. Der sie nicht allein lässt, ihnen Kraft gibt und sie trösten will.

Der die Menschen stärkt, die sich dem Terror, dem Fanatismus und dem Hass mutig entgegenstellen in der Gesellschaft.

Der die Menschen ermutigt, die aufmerksam sind, wenn Freunde und Kollegen Verletzungen haben, verblendet sind und zu vereinsamen drohen.

 

Gott spürt die Angst, die sich breit machen will in der Gesellschaft. Er teilt Angst und Trauer, weil sie geringer werden, wenn Menschen sie teilen, mit ihm und untereinander. Jesus Christus sagt: „In der Welt habt ihr Angst. Aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ Und ‚getrost sein‘ bedeutet mehr: fest bleiben, im Handeln und im Hoffen.

 

Amen. Ich bin mir sicher – solcher Trost ist stärker als der Terror. Er lässt uns in der Angst nicht ohne den Mut, die Welt und mich selbst da zu ändern, wo es nötig ist.

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.