Das Wort zum Sonntag: 04.07.2020
Unbeschwert und leicht
Das gehört für mich zum Sommer: Nachts in den sternklaren Himmel gucken, dieses Gewölbe auf mich wirken lassen. Erinnern, wie ich als Kind gemerkt habe, dass ich mir Unendlichkeit gar nicht vorstellen kann. Der Gedanke, wie egal es den Sternen da oben ist, ob‘s da unten dieses kleine Staubkorn namens Annette oder so gibt oder die ganze weltweite Menschheit oder andere Sorten Dinosaurier. Und wie egal es zugleich gar nicht ist. Weil jeder Mensch in ein Geflecht aus Beziehungen und Liebe eingebunden ist. Oder sein sollte. Und weil der Kosmos nicht derselbe ist, ohne dieses eine Körnchen Staub, das es so nur dieses eine Mal gibt.
Das gehört für mich zum Sommer. Und in jedem Sommer und diesem ganz besonders: Sehnsucht, dass alles mal easy und leicht ist für ne Weile. Vorsichtig wieder aufatmen nach diesen letzten Monaten. Mal nix Schweres denken.
Und dann hab ich mich umgehört. Was Sie und Euch diesen Sommer eigentlich so beschäftigt. In den sozialen Medien hab ich gefragt, worüber Sie sich gerade wohl so Gedanken machen? Und - was mir geschrieben wurde, hat nichts mit Sommer und Leichtigkeit zu tun. Im Gegenteil, es geht voll ans Eingemachte. Die großen Themen haben Sie genannt: Endlichkeit. Verwundbarkeit. Unsicherheit. Hoffnung. Von der Angst vorm Sterben haben Sie geschrieben. Dass die letzten Wochen mit ihren "Corona-Bestattungen" und der fehlenden Möglichkeit der Begleitung Spuren hinterlassen haben.
In einer Antwort heißt es: Wir müssen uns geradezu das Stottern über den Tod wieder erringen.
Wir versuchen so viel, setzen Himmel und Hölle in Bewegung, um den Tod zu vergessen. Ihn rauszuzögern. Zu beherrschen. Suchen nach Impfstoffen, nach Medikamenten. Wälzen Statistiken. Leben schützen ist ein hohes Ziel. Gar keine Frage. Und doch werden wir ihn nicht los. Am Ende werden wir ihn nicht los, den Tod. Er ist uns in die DNA geschrieben. Der Tod gehört mitten ins Leben. Und es ist ureigenste christliche Aufgabe, ihm diesen Platz einzuräumen.
Memento mori – so heißt es in der christlichen Tradition – bedenke, dass du sterben musst. Diese Corona-Zeit ist wie ein gigantisches, globales memento mori, dem wir kaum ausweichen können. Bedenke, dass du sterben musst – wie kann das gehen? Manchmal nur mit Heulen und Schreien und nicht wissen, ob man das aushalten wird. Und sonst: Indem eine zuhört. Und einer umarmt oder die Hand hält. Indem wir in Sommernächten in den Sternenhimmel schauen, Indem wir beten, vielleicht, und stottern im Gebet oder schweigen. Indem wir über den Tod sprechen. Für viele, für mich ist das heilsam und tröstlich. Bedenke, dass du sterben musst – leicht ist das nicht. Überhaupt nicht. Aber es kann das Wissen wecken, wie ungeheuer kostbar jeder Augenblick ist. Jeder Atemzug. Jede Berührung.
Das heißt auch: Da sein, wenn Menschen sterben. Das ist zu wenig gelungen in den letzten Monaten. Dafür müssen wir Lösungen entwickeln, wie das verantwortungsvoll gehen kann, dass zugehört werden kann, Hände gehalten, werden. Dass Sterbende von Angehörigen und Seelsorgern begleitet werden.
Der Tod gehört mitten ins Leben. Das heißt: Ich nehme ihn mit in diesen Sommer, den Tod.
Wenn ich in den nächtlichen Sommerhimmel schaue, fühle ich beides: Wie winzig und zufällig und entbehrlich ich bin. Und wie geborgen und aufgehoben ich mich fühle in der großen Schönheit des Kosmos und des Universums. Auch über meine Zeit hinaus.
Norddeutscher Rundfunk
Redaktion: Eberhard Kügler (NDR)