Nach dem Zweiten Weltkrieg schien undenkbar, dass Russen und Deutsche sich jemals wieder friedlich begegnen. Aber es hat stattgefunden. Die Erinnerung daran ist zurzeit besonders wichtig.
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Ein kalter Wind bläst mir entgegen. Damals in der russischen Steppe, damals im September 2013. Eine Gras-Steppe. Silbergraue Stauden und Gräser bedecken den ockerfarbenen Boden. Am westlichen Horizont sehe ich ein neu errichtetes Dorf: Rossoschka. Der Blick auf das Dorf erinnert mich daran, wo ich mich gerade befinde. Da, wo jetzt nur Gräser und Stauden stehen, befand sich einst das alte Dorf. Die deutsche Wehrmacht hat es im Zweiten Weltkrieg dem Erdboden gleich gemacht.
Nun liegen hier tote Soldaten. Ich bin auf einem Friedhof, Kriegsgräber. Auf der einen Seite der Straße liegen russische Soldaten. Auf den Gräbern liegen Helme, teilweise mit Einschusslöchern. Auf der anderen Seite liegen deutsche Soldaten. Ungefähr 60.000 Tote wurden identifiziert. Ihre sterblichen Überreste befinden sich gesammelt in einem großen kreisförmigen Bau. Eigentlich sollte er in der Fläche der Steppe verschwinden. Doch angesichts der immensen Zahl an Toten stehen wir vor vier Meter hohen Mauern. "Wir mussten lernen, dass es monumentale Aufgaben gibt", sagt mir der Architekt.
Schlacht um Stalingrad. Hunderttausende von Menschen sind dabei ums Leben gekommen. Und einige Tausend von ihnen liegen nun hier. Was für ein menschliches Desaster.
Mitten zwischen russischen und deutschen Kriegsgräbern sehe ich zwei Kreuze. Eins, so wie ich es von meiner Kirche her kenne. Das andere ist in russisch-orthodoxer Form gestaltet. Davor ein Stein, der Grundstein für eine Friedenskapelle.
Darum war ich an diesem Tag im September 2013 dort. Zusammen mit Menschen aus Denkendorf und Wolgograd, Titting und Moskau, Potsdam, Rossoschka und Düsseldorf. Wir haben den Grundstein gelegt für eine Friedenskapelle.
Zwei Kreuze und die künftige Kapelle schlagen eine Brücke zwischen den ehemaligen Feinden. Ein Ort der Versöhnung entsteht, wo die Nachfahren ehemaliger Kriegsgegner sich begegnen und ihrer Toten gedenken. Versöhnung stiften angesichts des Kreuzes.
An diesem Tag im Jahr 2013 standen Menschen beisammen, haben gemeinsam einen Ort der Versöhnung zwischen Russen und Deutschen gebaut. Die Kapelle steht bis heute. Es haben sich dort in den Jahren danach noch einige Male Menschen aus Russland und Deutschland getroffen. Das wirkt heute so lange her, so weit entfernt. Aber es war möglich, und ich hoffe, es wird wieder möglich.
Wenn Versöhnung geschieht, dann wird mir warm ums Herz, selbst wenn der kalte Wind mir ins Gesicht bläst. Auch heute brauchen wir solche Orte der Versöhnung.
Es gilt das gesprochene Wort.