Gottesdienst Lazarus-Diakonie Berlin
150 Jahre Lazarusstiftung
Gottesdienst aus der Kapelle der Lazarus Stiftung Berlin
12.07.2015 10:05

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes

und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

 

I.

Zurück zu den Anfängen. Das mögen die Jünger gedacht haben, als sie damals auf dem Weg nach Galiläa waren. Hinauf auf den Berg, wohin Jesus sie gerufen hatte. Denn in Galiläa hatte Jesus schließlich begonnen, öffentlich zu wirken und auf die Menschen zuzugehen. Dort hatte er vom anbrechenden Reich Gottes erzählt, ja sogar davon, dass es schon da ist. In Galiläa hatte er die ersten Jünger berufen, die ihm gefolgt sind. Er hatte Menschen gesund gemacht an Leib und Seele. Er hatte diejenigen, die gesellschaftlich und sozial am Rande standen, zurückgeholt in die Gemeinschaft und ihnen eine Stimme gegeben. In Galiläa hatte alles angefangen. Und dahin sind die Jünger nun unterwegs.

 

„Aber die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, wohin Jesus sie be­schieden hatte.“ Mit den letzten Versen seines Evangeliums, dem soge­nannten Missionsbefehl, wie er seit dem 19. Jahrhundert genannt wird, lenkt Matthäus unseren Blick zurück auf die Anfänge.

 

Zu elft waren die Jünger jetzt nur noch unterwegs. Es waren einmal zwölf. Die Zahl zwölf galt als Heilige Zahl: Jakob hatte 12 Söhne.

 

Israel, das gelobte Land, hatte zwölf Stämme.

 

Die Zahl zwölf symbolisiert die Fülle. Aber jetzt sind die Jünger nur noch zu elft unterwegs. Einer fehlt. Sie haben das Kreuz Jesu im Nacken, den schrecklichen Tod ihres Lehrers und Freundes. Sie erinnern sich an den Verrat und an die eigenen enttäuschten Hoffnungen: Wie sehr hatten sie sich nach einer neuen, anderen Welt gesehnt, mit einem König, der das Land mit der Liebe Gottes regieren würde. Ein Land, wo Armut und soziale Kälte überwunden wären, wo Ge­rech­tigkeit herrschen und sich mit Solidarität verbinden würde.

 

Sehnsüchte, die bis heute für viele Menschen unerfüllt sind – unerfüllt für alle, die um ihre Existenz bangen, wie aktuell in den Kriegs- und Krisengebieten, im Nordirak und in Syrien, in Griechenland und Ägypten und an unzähligen andere Orten, Sehnsucht nach einem Land, in dem Flüchtlinge keine Angst haben müssen, in dem Alte und Kranke nicht als Armutsrisiko gelten, sondern aktiv am gesell­schaftlichen Leben teilhaben können.

Bis heute ist die Welt weit von der Fülle des Lebens entfernt. Wir kennen die Leerstelle, die die Jünger damals spürten. Wir kennen den Schmerz, den es bedeutet, unvollkommen unterwegs zu sein. Angeschlagen, weil so vieles passiert, was uns von der Fülle des Lebens trennt.

 

Angeschlagen waren die Jünger. Und dann hörten sie den Ruf des auferstan­denen Christus:

„Ihr findet mich in Galiläa!“

 

Aus dem Hebräischen übersetzt bedeutet das: „Ihr findet mich dort wo die Heiden sind!“ – dort, wo Menschen ohne gesellschaftliche Anerkennung, ohne religiösen und sozialen Stand leben.

„Ihr findet mich in Galiläa!“ Dort, wo es unvollkommen ist. Dort, wo die Sehnsucht ist.

Jesus ruft seine Jünger dorthin, wo er selbst immer gewesen ist und auch zukünftig sein wird: bei den Menschen, die Zuwendung brauchen. Dort, wo Mangel herrscht. Da, wo die Sehnsucht am größten ist.

 

 

II.

Wir feiern mit diesem Gottesdienst das 150-jährige Bestehen der Lazarus-Diakonie in Berlin, hier in der Lazaruskapelle in der Bernauer Straße. Dort, wo 28 Jahre lang die Mauer stand, ist die Stadt zu neuem Leben erwacht, sie wächst unaufhaltsam. Die große Metro­po­le lässt sich schwerlich vergleichen mit dem Erlebnis­horizont der Jünger Jesu, mit der Idylle der kleinen Orte und Dörfer am See Genezareth in Galiläa, von denen die Bibel erzählt. Aber damals wie heute – hier in den Großstädten wie auf dem Land – sind Menschen auf der Suche nach einem erfüllten Leben.

 

Einer von ihnen war Pfarrer Wilhelm Moritz Boege­­hold, der Begründer der Lazarusdiakonie. Er wollte sich nicht abfinden mit dem Mangel, mit der sozialen Not, die damals in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts so viele Menschen betraf. Er wandte sich den Menschen zu. Berlin und besonders dieser Kiez rund um die Bernauer Straße wurde sein Wirkungskreis – sein Galiläa. So entstand der erste Krankensaal und ein darüber lie­gen­der Betsaal; wenig später das Krankenhaus und die Kapel­le. Die Geschichte dieses Ortes ist aber nicht die eines Einzelkämpfers. Es gab von Anfang an För­derer und Spender. Und vor allem Menschen, die sich durch ihren Glauben in den Dienst für die Armen haben rufen lassen wie die Jünger damals. Ohne das Enga­gement der Diakonissen, die ihr ganzes Leben in den Dienst am Nächsten stellten, wäre die 150-jährige Geschichte dieses Ortes nicht möglich gewesen. Noch heute prägen Diakonissen diesen Ort. Noch heute leben und arbeiten sie hier. Die Kraft ihres Glaubens ist sicht- und spürbar. Eine von Ihnen ist Schwester Karola Grabow.

 

 

III. Votum Schwester Karola Grabow

Als Kind lebte ich in einer Kinderfamilie in Heiligengrabe, geleitet von einer Diakonisse. Durch diese besondere Erfahrung und ihr Vorbild kam ich zum Glauben und entschied mich nach der Ausbildung zur Krankenschwester, selbst Diakonisse im damaligen Mutterhaus in Elbingerode zu werden. Wichtig ist mir dabei Jesu Auftrag: den ganzen Menschen zu sehen.

In meinem Mutterhaus gilt der Sendungsauftrag: So, wie Jesus seine Jünger sandte, sendet man uns dorthin, wo wir gebraucht werden. Ich wurde in die Altenpflege entsandt. Vor sechs Jahren kam ich ins Lazarushaus.

„Niemanden und Nichts aufgeben“ – dieses Motto von Pfarrer Boegehold gilt auch für mich. In meiner Arbeit möchte ich von meinem Glauben weitergeben und Nächstenliebe spüren lassen. Wichtig ist mir dabei in der Pflege, dass mir die Menschen vertrauen. Ich möchte ihnen Wege der Zuversicht anbieten – gerade auch an dunklen Tagen – gerade dann, wenn es auf das Lebensende zugeht. Dass Jesus niemanden aufgibt, diese Zusage gibt mir die nötige Kraft dazu.

 

 

IV.

Eine Diakonisse folgt dem Ruf ihres Mutterhauses – wie die Jünger dem Ruf Jesu damals – so heißt es im Mathäusevangelium:

„Aber die elf Jünger gingen nach Galiläa

auf den Berg, wohin Jesus sie be­schieden hatte.“

 

Es ist kein Zufall, dass Jesus seine Jünger in Galiläa auf einen Berg ruft. In der Bibel symbolisieren Berge die Nähe Gottes. Dort erhielt Mose die 10 Gebote.

 

Auf einem Berg wird Jesus verklärt.

 

Auf einen Berg nach Galiläa ruft Jesus seine Jünger.

 

Mit Vollmacht spricht Jesus den Jüngern zu:  „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.“

Was für eine Botschaft. Die Gewalt liegt nicht mehr bei den Herrschern, die die Macht für sich instrumentalisieren und beugen. Sie liegt bei Christus. Und der sendet seine Jünger in die Welt, dahin, wo sie gebraucht werden. Dorthin, wo die Sehnsucht nach Leben am größten ist:

„Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe.“

Das sind die Sendungsworte Jesu. Worte, die bei jeder Taufe gesprochen werden. In der Taufe beginnt Gott seinen Weg mit uns:

„Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein!“

Das trägt durch die Höhen und Tiefen des Lebens hindurch. Dieser Anfang, den Gott macht, ist das Fundament, auf dem ein erfülltes Leben möglich ist. Gott gibt nichts und niemanden auf – auch mich nicht auf. Aus dieser Zusage erwächst die Kraft, anderen nahe zu sein und beizustehen.

 

 

V.

Liebe Festgemeinde hier im Hause, liebe Hörerinnen und Hörer,

gerade im Bereich der Diakonie und in den sozialen Berufen begegnen uns immer wieder Menschen, die mit großem Idealismus ihren Dienst tun – oft an den Grenzen der eigenen Belastbarkeit. Sie wollen, wie Pfarrer Wilhelm Moritz Boege­­hold es formuliert hat: „nichts und niemanden auf­ge­ben“. Und müssen nicht selten selber am Ende aufgeben.

Menschen, die in der Pflege tätig sind, erleben auch Begrenzungen und Enttäuschungen. Sie stoßen auf Rahmenbedingun­gen, die es schwer machen, für Menschen so da zu sein, wie es nötig wäre. Eine erschöpfte Pflege ist die Folge. Auch die Realität der Pflegeberufe ist noch von der Fülle des Lebens entfernt ist. Krankenschwestern und Altenpfleger sehnen sich nach mehr Zeit für ihre Patienten, nach mehr Anerkennung in unserer Gesellschaft, nach besseren Arbeitsbedingungen. Sie kennen den Schmerz der Jünger Jesu und erleben, was es be­deu­tet – im über­tragenen Sinne – nur zu elft unterwegs zu sein – zu wenige zu sein. Auch Diakonissen kennen dieses Gefühl.

 

Das 150-jährige Jubiläum einer diakonischen Einrichtung feiern zu können ist keineswegs selbstverständlich. Aus dem kleinen Anfang ist eine große diakonische Einrichtung geworden. Menschen folgen dem Ruf Jesu bis heute und machen Ernst mit dem Motto Pastor Boegenholds: Nichts und niemanden aufgeben! Sie finden Mittel und Wege, Bedürftigen zu helfen, trotz sich ständig verändernder Rahmenbe­ding­ungen, trotz der Wirren der Geschichte – das ist Anlass von Herzen dankbar zu sein.

Es ist aber auch Anlass, wieder neu zu fragen: Wohin sendet uns Jesus heute? Wo ist Galiläa? Wie wollen wir seinem Ruf folgen? Was wird diakonisches Handeln in den nächsten zehn, zwan­zig Jahren sein? In einer alternden Gesellschaft, in einer zuneh­mend reli­giös und kulturell pluralen Welt? Fragen, die auch den Vorstand der Lazarusstiftung umtreiben. Wir hören dazu Martin Wulff:

 

 

VI. Votum Martin Wulff

„Niemanden und Nichts aufgeben“ ist für unsere moderne Diakonie Verpflichtung und Herausforderung zugleich. Dieser Leitspruch Pastor Boegeholds gilt für uns heute für alte, kranke und sterbende Menschen gleichermaßen wir für junge Menschen mit und ohne Behinderung. Er gilt auch für Menschen auf der Flucht und auf der Suche nach einer neuen Heimat. Er wirkt aber auch nach innen hinein in Kirche und Diakonie: wir wollen und dürfen kein Arbeitsfeld aufgeben, selbst wenn die Finanzierung eine Herausforderung darstellt. Mit diesem Leitspruch stehen wir in der Tradition Friedrich von Bodelschwinghs und seiner Aufforderung, „ dass Ihr mir Niemanden abweist“. Er gilt für unsere ganze Arbeit in der Lazarus – Diakonie, in der Hoffnungstaler Stiftung Lobetal und in den von Bodelschwingschen Stiftungen Bethel. Wir wollen mit engagierten Mitarbeitenden, die wir tarifgerecht bezahlen, die uns anvertrauten Menschen bilden, pflegen und begleiten .

 

 

VII.

Wir brauchen heute in Kirche und Diakonie, aber auch in der gesamten Gesell­schaft, eine Debatte darüber, wie wir uns die gerechte und soziale Gesellschaft von morgen vorstellen, in der die Würde des Menschen im Mittelpunkt steht.

Diakonische Einrichtungen und Kirchen­ge­mein­den vor Ort müssen ihre Kräfte stärker bündeln. Wo Ressourcen knapper werden, müssen wir fragen: Was tut Not in unserem Stadtteil, unserem Kiez, in unserer Region? Und es wird immer deutlicher, dass auch über den eigenen Tellerrand hinaus der Wille zur Zusammenarbeit gefragt ist: Alle, die sich sozial engagieren, Vereine, Institutionen und die öffentliche Hand müssen die sozialen Heraus­forderungen der kommenden Zeit gemeinsam bewältigen. Es muss klar sein: „Wir sind Nachbarn. Alle.- Für mehr Verantwortung miteinander“ So lautet das aktuelle Jahresthema der Diakonie Deutschland. „Wir wollen gemeinsam Miteinander möglich machen. Dafür sorgen, dass sich Menschen vernetzen … Vor Ort und unmittelbar erfahrbar“ – So das Motto.

 

 

VIII.

Heute aber wird erst einmal gefeiert, hier im Hause der Lazarus-Diakonie an der Bernauer Straße in Berlin. Ich danke allen, die die Lazarus-Dia­konie geprägt haben und bis heute tragen. Wir danken in diesem Festgottesdienst auch allen, gleich wel­cher Kon­fession, Religion oder Weltanschauung, die dem Ruf nach einem erfüllten Leben für alle heute folgen und auf ihr soziales Gewissen hören. Ohne die vielen gemeinnützigen Vereine und Instituti­o­nen, ohne die Vielen, die beruflich oder in freiwilligen Diensten für den Nächsten da sind, ohne alle, die Zuhause ihre Angehörigen pflegen, wäre unsere Gesellschaft um vieles ärmer.

150 Jahre Lazarus-Diakonie ist ein guter Anlass, allen Menschen zu danken, die sich das Motto von Wilhelm Moritz Boegehold zu Eigen machen: „nichts und niemanden aufgeben“. Weil Jesus uns nicht aufgibt und bei uns ist – alle Tage – bis an der Welt Ende.

 

Amen.