Gottesdienst aus der Christuskirche Mainz
Dankbarkeit
Gottesdienst aus der Marienkirche in Bielefeld-Jöllenbeck
06.09.2015 10:05

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt.

 

1. Liebe Gemeinde,

 

das kleine Kind hat soeben vom Besuch ein Spielzeug geschenkt bekommen und will sofort anfangen, damit zu spielen. Da bekommt es zu hören: „Nun sag erst mal Danke“. Vermutlich haben die meisten diese Situation schon erlebt. Als Kinder wurden wir oft ermahnt; als Väter und Mütter haben viele ihre Kinder zum Danke-Sagen erzogen. Es gehört zur Höflichkeit: wer etwas bekommt, antwortet mit einem „Danke“ - selbst wenn ihm das Geschenk nicht gefällt. Das sind wir schließlich dem Geber schuldig.

 

An diesen pflichtschuldigen Dank fühle ich mich erinnert, wenn ich in der Geschichte von den „Zehn Aussätzigen“ diesen Satz Jesu höre: „Sind nicht die zehn rein geworden? Wo sind aber die neun? Hat sich sonst keiner gefunden, der wieder umkehrte, um Gott die Ehre zu geben, als nur dieser Fremde?“ Ich bin in meiner Kirche groß geworden und kenne die Geschichte schon etwas länger… vorwurfsvoll klangen mir früher diese Worte. So wurden sie mir aber auch erklärt. Wenn wir als Kinder und Jugendliche diese Geschichte erzählt bekamen, dann stand am Ende immer die „Moral von der Geschicht“: Wir müssen Gott danken. Ich habe schon als Kind gelernt, zu beten. In unseren Gebeten mussten wir Gott erst danken, bevor wir ihn um etwas bitten durften, egal, wie dringend die Bitte war.

 

Nun haben die Menschen, von denen wir eben beim Evangelisten Lukas hörten, allen Grund, dankbar zu sein. Als Aussätzige sind sie nicht nur krank und mit schmerzhaften Ausschlägen geschlagen. Viele von ihnen sind einem langsamen und qualvollen Tod geweiht. Lepra. Zur Zeit Jesu ist diese Krankheit nicht behandelbar, erst recht nicht heilbar. Da gibt es keine Hoffnung.

 

Genauso schwer wiegt die Isolation. Wer diese Krankheit hat, ist ansteckend. Niemand will doch das Risiko eingehen, sich zu infizieren. So müssen die Kranken sich von den Gesunden fernhalten, dürfen sich ihnen nicht mehr als etwa fünfzig Meter nähern. Am Leben in der Familie und im Dorf können sie nicht mehr teilnehmen. Auch nicht am religiösen Leben, denn sie sind nicht nur ansteckend, sondern auch kultisch unrein.

 

Krank und isoliert. Vom Leben ausgeschlossen. So fühlen sich heute manchmal Menschen, deren Leben von einer tödlichen Krankheit bedroht ist. „Auf einmal hast du viel weniger Freunde“ erzählt mir ein Krebskranker im Krankenhaus. „Die trauen sich nicht hierher, wissen nicht, was sie sagen sollen. Ich kann es sogar verstehen.“

 

Es ist ein Elend - damals wie heute. Die Aussätzigen rufen Jesus auch nur aus der Ferne an. „Jesus, lieber Meister, erbarme dich unser!“ Was bleibt ihnen sonst noch, als ihr Elend herauszuschreien?

 

Jesus hört hin, schaut hin. Seine Ohren sind offen für die Schreie der Elenden. Er nimmt wahr, in welcher Not die Menschen sich befinden. Schließt nicht die Augen, rennt nicht weg - sondern wendet sich den Notleidenden zu. Wenigstens einer, der uns ernst nimmt und unser Leiden wahrnimmt.

 

Seine Reaktion ist kurz. „Geht hin und zeigt euch den Priestern!“ Die Priester entscheiden, ob die Menschen wegen ihrer Krankheit weiter ausgeschlossen bleiben vom sozialen und religiösen Leben, oder ob sie gesund genug sind und wieder dazu gehören. Dafür gibt es genau vorgeschriebene Opfer und Rituale in der hebräischen Bibel (Lev. 14). Die Priester sind die entscheidende Instanz. Auf dem Weg zu ihnen werden die zehn Männer rein vom Aussatz. Es ist ein Wunder! Sie sind geheilt! Alles ist wie früher! Willkommen zurück im Leben!

 

Doch es folgt noch eine Pointe. Einer kehrt zurück „fällt nieder auf sein Angesicht zu Jesu Füßen und dankt ihm.“ Jesus stellt nun die Frage: „Sind nicht die zehn rein geworden? Wo sind aber die neun?“

 

Das klingt wie: „Jesus vollbringt ein Wunder und nur einer von zehn bedankt sich“. Doch ich vermute: da steckt mehr dahinter.

 

 

Schauen wir noch einmal auf die Begegnung Jesu mit den Aussätzigen. Da passiert überhaupt nichts Spektakuläres. Die zehn Männer rufen ihn aus der Ferne, Jesus schaut sie an und gibt ihnen einen Rat. „Geht zu den Priestern.“ Heute würden wir sagen: „Geh zum Arzt.“ Mehr macht er nicht. Es ist fast spannender, was hier nicht berichtet wird. Er geht nämlich durch Samaria, einen Teil des Landes, den ein Israelit lieber meidet. Samaria das ist das heutige Westjordanland. Palästina. Samariter und Juden sind in gegenseitiger Abneigung innig verbunden. Beten Gott an verschiedenen Stätten an und wähnen sich beide im Recht.

 

Jesus fragt keinen nach Volkszugehörigkeit oder dem persönlichen Glauben. Er teilt nicht ein, ob jemand ein Jude ist oder ein Samariter. Er sieht einfach nur Menschen in Not und verweist sie an die zuständigen Stellen. Und wenn es denn hier ein Wunder gibt, dann dieses: die Aussätzigen machen, was Jesus ihnen sagt. Sie argumentieren nicht, wie schlimm und hoffnungslos doch alles sei. Sie fragen nicht nach seiner Kompetenz in Gesundheitsfragen. Sie schauen nicht auf ein Ranking der erfolgreichsten Wunderheiler. Sie gehen einfach zu den Priestern und werden auf dem Weg gesund. Alle Opferrituale werden befolgt. Wir dürfen vermuten, dass sie glücklich und zufrieden, sogar dankbar sind. Denn nur weil einer allein zu Jesus zurückkehrt, müssen die anderen ja nicht undankbar sein.

 

Das Leben steht ihnen offen. Sie kehren in ihren Alltag zurück, zu ihren Familien, nehmen ihre Arbeit wieder auf. Mag sein, dass sie bald wieder im alten Trott laufen. Menschen vergessen schnell, wie schlecht es ihnen in bestimmten Momenten ging. Haben möglicherweise gute Vorsätze, doch die verdunsten im Lauf der Zeit. Ich habe mich schon gewundert, als ich draußen vor einem Herzzentrum Patienten sah, die nach Herzklappen- oder Bypassoperationen weiter rauchten. Sie sind wiederhergestellt, alles ist wie früher. Undankbar ist das nicht. Vielleicht war es ähnlich bei den Neun in der Geschichte: Sie vertrauten Jesus und machten sich auf den Weg zu den Priestern. Sie wurden geheilt und alles war wieder gut.

 

Doch warum lange über die Neun reden? Spannender scheint mir der, der zu Jesus zurückkehrt. Er lobt Gott, weil er mehr als wiederhergestellt ist. Er ist nicht einfach wieder der Alte geworden -nur halt ohne Geschwüre.

 

Bei dem dankbaren Samariter hat sich scheinbar noch etwas anderes geändert. Bei ihm geht die Heilung anscheinend tiefer. Er ist nicht nur gesund geworden. Er bezieht Gott jetzt anders in sein Leben ein. Nicht nur die Krankheit hat in seinem Leben Spuren hinterlassen, sondern auch die Heilung. Hier ist ein Mensch mit sich, mit der Welt, mit Gott im Reinen. Das Rein-Sein des Samariters geht über die makellose Haut hinaus. Eine Veränderung, die wirkt, die bleibt.

 

Manchmal höre ich, das Wichtigste im Leben sei Gesundheit. Ich selbst habe da meine Zweifel. Ich kenne gesunde Menschen, die unglücklich sind. Ich kenne kranke Menschen, von deren Lebensfreude ich mich anstecken lasse. Oder von deren Lebenserfahrung ich etwas lerne. Eine Ärztin sagte mir einmal: „Wenn ich Patienten frage, wie es ihnen geht, dann bekomme ich manchmal die Antwort: Heute geht es gut, aber gestern…! Und dann erzählen sie in allen Details wie schrecklich es gestern war. Andere, zum Teil Schwerstkranke, kommen mit einem Lied auf den Lippen hier rein. Wenn ich sie frage, wie es ihnen geht, dann sagen sie: Ganz prima.“

 

Ich bewundere die Menschen, die sich manchmal trotz einer Erkrankung oder dem Verlust eines lieben Menschen den Blick für das Gute in ihrem Leben bewahrt haben. Bei ihnen spüre ich viel Dankbarkeit. Häufig sagen sie „Gott sei Dank“ und meinen es genau so. Sie blicken weg von ihrer Last, schauen auf das Gute. Da wird für mich eine Haltung spürbar, die ich auch bei den dankbaren Samariter wahrnehme. Er wird mir zum Beispiel, wie groß der Unterschied ist zwischen dem eingeforderten, manchmal gequälten „Danke“ und wirklicher Dankbarkeit. Denn Dankbarkeit ist eine Haltung, ein neuer Blick auf das eigene Leben - allen Widrigkeiten zum Trotz.

 

In dem kleinen Ort Burkin im Westjordanland, in der Nähe der Stadt Jenin, erinnern heute noch eine der ältesten christlichen Kirchen im Heiligen Land und zwanzig christliche Familien an ihn, den geheilten, den dankbaren Samariter.

 

 

Wenn ich dankbar bin, kann ich anders und jeden Tag neu auf das eigene Leben schauen. Dann suche ich die Spuren von Gottes Güte in meinem Leben. Da wird mir das Wunderbare im Alltag wichtig.

 

Im 103. Psalm betet einer: „Lobe den Herren meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.“ Die Blickrichtung macht’s.

 

Bei einem Motorrad-Sicherheitstraining brachte es der Trainer einmal auf den Punkt. „Guckst du schlecht, fährst du schlecht.“ Er drückte es allerdings drastischer aus, das wäre hier nicht sendefähig. Aber damals habe ich nicht nur was über’s Motorradfahren gelernt, sondern ein gutes Bild für meinen Glauben gefunden. Natürlich kann ich immer auf mein Vorderrad schauen. Dann stürze ich irgendwann, weil mein Blick zu kurz greift. Wenn ich aber den Punkt im Blick habe, wo ich hin will, dann folgt die Maschine mir wie von selbst. Und wenn Gefahr droht, vor mir ein Unfall oder ein plötzliches Stauende in der Kurve: Gucke ich auf die Gefahrenstelle, fahre ich selbst mitten hinein. Gucke ich aber dahin, wohin ich ausweichen kann, ziehe ich vorbei.

 

Das Bild vom Motorrad und Glauben ließe sich noch weiter malen. Wenn ich immer nur sehe, wie viele Schlaglöcher der Winter hat aufplatzen lassen, und mich über sie ärgere, dann sehe ich kaum noch was von der Schönheit des ostwestfälischen Hügellandes oder des Weserberglandes. Wenn ich aber den Kopf hebe und mich umschaue, meinetwegen auch etwas langsamer fahre, dann überströmt mich ein Glücksgefühl. Klar: die Schlaglöcher sind noch da, aber sie bestimmen nicht mehr, was ich sehe und erlebe.

 

Dankbarkeit ist ein weiter Blick auf das Leben, ein Blick, der von mir wegführt zu Gott hin. Es mag sein, dass Sie die Gefühle eines Motorradfahrers nicht nachfühlen können. Aber schauen Sie ruhig einmal ihr Leben an. Da wird es viele kleine Dinge und Ereignisse geben, die Sie dankbar machen gegenüber Gott. Manchmal sind es die scheinbar selbstverständlichen Dinge des Lebens, die wir kaum noch beachten, die aber viel Freude bereiten, wenn wir sie bewusst wahrnehmen. Bei mir sind das zum Beispiel: ein Sonnenstrahl, eine Mohnblume, der Sommerwind auf meiner Haut. Die Menschen, mit denen ich lebe und denen ich vertraue. Ein Mut machender Gottesdienst in meiner Kirche. Ich könnte jetzt so viel aufzählen…

 

Und wenn mir gar nichts einfällt, wofür ich Gott dankbar sein könnte? Dann erinnere ich mich an eine Geschichte, die mich sehr beeindruckt und sich sogar ins eigene Leben umsetzen lässt.

 

Es ist die Geschichte von der Frau, die sehr alt wurde, weil sie die Momente des Glücks nicht vergessen hatte.

 

Sie verließ niemals das Haus ohne sich vorher eine Handvoll Bohnen einzustecken. Sie wollte die Bohnen nicht kauen, sondern die schönen Momente des Tages bewusst wahrnehmen um diese besser zählen zu können.

 

Für jede positive Kleinigkeit, die sie während des Tages erlebte (zum Beispiel ein Schwätzchen, ein freundlicher Gruß, strahlende Kinderaugen, gutes Essen, eine Umarmung) und alles was sie sonst noch erfreute, ließ sie eine Bohne von der rechten Jackentasche in die linke wandern, manchmal waren es gleich zwei oder drei Bohnen.

 

Abends zu Hause zählte sie dann die Bohnen in der linken Tasche und feierte diese Minuten. Sie erinnerte sich dann daran, wie viel Schönes und Gutes ihr an diesem Tag begegnet war. Sie freute sich darüber und dankte ihrem Schöpfer dafür.

 

Meist war ihre linke Jackentasche am Abend voll, Doch sogar dann, wenn sie nur wenige Bohnen zählen konnte, war es ein Tag, an dem sie dankbar war.

 

 

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.