Ansgarkirche in Hamburg Langenhorn
So seid nun geduldig
Gottesdienst aus der Ansgarkirche Hamburg-Langenhorn
06.12.2015 09:05

Gottes Liebe sei mit uns. Amen.

 

Dornröschen hat unwahrscheinliches Glück. Der Prinz kommt und küsst sie wach. Hundert Jahre hat sie auf ihren Märchenprinzen gewartet. Und er kommt. Ja, denn Märchen gehen bekanntlich immer gut aus. Aber im wirklichen Leben hätte ich ihr nicht geraten, so lange so geduldig zu warten. Im wirklichen Leben nämlich ist das Interesse junger, schöner Prinzen an über 100-Jährigen eher gering.

 

„So seid nun geduldig.“

 

Liebe Gemeinde, geduldig warten: das kann sinnvoll sein, das kann auch unausweichlich sein, aber manchmal ist es auch gänzlich sinnlos.

 

Samuel Beckett. „Warten auf Godot“: Zwei Landstreicher, Wladimir und Estragon, warten an einer Landstraße unter einem kahlen Baum, einer blätterlosen Trauerweide, auf Godot. So öde und leer und sinnlos wie die Landschaft und der kahle Baum ist das Leben dieser beiden. Außer Rübenschnipseln hat es nichts zu bieten, keinen Sinn, kein Ziel. Es ist bestimmt von den kleinen Alltagsproblemen wie einem Paar zu kleiner Stiefel.

Eine Hoffnung aber haben sie: Godot wollen sie an dem Baum treffen, und von ihm erhoffen sie eine grundlegende Änderung ihrer Lebensverhältnisse. Und so verbringen die beiden ihr Leben mit Warten auf eine bessere Zeit, auf ein sinnerfülltes, gutes Leben. Auf Erlösung. Und warten und warten. Und wo bleibt Godot?

Ein Junge erscheint in der Szenerie, und teilt mit: „Herr Godot kommt heute nicht, er kommt gewiss aber morgen. „Seid geduldig; denn das Kommen des Herrn ist nahe.“ So warten Wladimir und Estragon auch am nächsten Tag.

 

Warten heißt: Etwas fehlt. Etwas soll anders sein oder werden als es jetzt ist. Warten ist Hinweis auf ein Defizit. Und wenn – wie in unserem Predigttext – zu geduldigem Warten ermahnt werden muss, dann ist wohl der Geduldsfaden einiger zum Zerreißen gespannt, dann zweifeln manche wohl daran, dass Warten sinnvoll ist.

Zu Recht! Geduldiges Warten auf ein neues, besseres, anderes Leben ist oft gar keine Tugend, sondern zeigt nur, dass ich hilflos bin: Etwas in meinem Leben muss anders werden! Aber ich weiß gar nicht, was ich wie verändern könnte. Und dann warte ich und hoffe auf den Urlaub oder auf die Rente oder den Lottogewinn. Vergeblich.

Und oft ist habe ich nur Angst vor Veränderungen: Ich traue mir nicht zu, etwas zu verändern. Mir fehlt der Mut. Ich habe Angst vor Streit. Ich weiß nicht, was dann kommt. Und dann warte ich ab, und hoffe, dass es von allein irgendwie besser wird.

 

Aber: Nur Weniges wird von alleine besser.

 

Und deshalb: Ich höre damit auf, geduldig darauf zu warten, dass etwas besser wird. Ich verrate nicht meine Gegenwart an einen ungedeckten Scheck auf die Zukunft. Ich schaue stattdessen auf das, was schon längst da und mir möglich ist. Ich warte nicht auf das Kommen des Herrn, ich schaue auf den Herrn, der längst gekommen ist. Ich lasse mich inspirieren von seinem Gottvertrauen und seiner Tatkraft und seinem Mut. Und ich nehme wie er mein Leben selber vertrauensvoll, tatkräftig und mutig in die Hand. Ich schaue nicht auf mich allein, sondern schaue auf den, der längst für mich da ist und schaue auf die, die längst für mich da sind oder sein können, Freunde, Verwandte oder wer auch sonst: Ich hole mir Hilfe für das, was ich ändern möchte, aber alleine nicht schaffe. Ich hole mir Hilfe und warte nicht länger – ich fange an zu leben. Jetzt schon.

 

 

Liebe Gemeinde!

„Verwarte nicht dein Leben“, sagt mein Amtskollege – und Recht hat er! Dennoch möchte ich in meinem Teil der Predigt unsere Aufmerksamkeit dahin lenken, wo „Warten“ und „Geduld haben“ eben doch Sinn machen.

„Verwarte nicht dein Leben“. Das ist die eine Herausforderung. Aber es gibt auch einen anderen Fallstrick. Nämlich die um sich greifende „Macher-Mentalität“, die uns immer und überall einflüstern will, wir könnten alles und zu jeder Zeit haben, müssten nie und nirgends etwas herbeisehnen, erbitten, erwarten.

Es gibt eine gnadenlose „Heutigkeit“, in der man verkümmern kann. Ich lebe dann nur im Jetzt und alles, was ich mir wünsche, muss noch in der Gegenwart eintreffen. Geduld aber meint: Auf etwas warten können, das ich nicht machen kann.

„Ich will alles und zwar sofort“ ist eine ebenso weit verbreitete wie zugleich ziemlich unadventliche Lebenshaltung. Denn Advent heißt Ankunft und meint einen Prozess. Und wie bei allen inneren Prozessen geht es da um Wachstum: Das ist bei Freundschaft so oder beim Vertrauen. Und eben auch in Glaubenssachen. Immer geht es um wachsen und reifen. Das braucht seine Zeit. Das Gras wächst nicht schneller, wenn ich daran ziehe. Vertrauen lässt sich nicht von jetzt auf gleich herbeireden. Es fängt an mit einer Ahnung, einem Verdacht. Und wächst dann langsam zu vertrauensvollem Leben heran.

Für mich ist in solchen Prozessen anstelle der Geduld die „Langmut“ attraktiv und sprechend geworden. Die ist wie eine andere Übersetzung von Geduld. „Langmut“ – das Wort finde ich nicht so vorbelastet. Es ist ein alter Ausdruck, aber er klingt überraschend frei von allen zu hohen Erwartungen an das, wofür ich selber einstehen könnte.

Wenn wir die Patina von der Geduld herunter pusten und die Langmut entdecken, dann klingt es in unserem Predigttext so: „Seid, liebe Schwestern und Brüder, l a n g m ü t i g bis zum Kommen des Herrn.“

Es braucht einen langen, ausdauernden Mut, immer noch und immer wieder mit Gott zu rechnen, wo Andere nur dem zu trauen vermögen, was sie selber machen und herstellen können. Diese Dinge mache und stelle ich zwar auch her, aber ich warte trotzdem mit langem Atem, auf die Zeichen des kommenden Gottes.

Es braucht eine innere Stärke, auf das warten zu können, was wir nicht herbeizwingen können. Starke Herzen braucht es dafür. Herzen die gewiss sind, das noch etwas aussteht, – von Gott her.

Und der kommt so ganz anders zur Welt, als wir uns das denken. Wir haben uns durch die Krippenspiele in der altvertrauten Bethlehemgeschichte gemütlich eingerichtet.

Aber eigentlich sagt sie: Gott kommt in einem kleinen Kind, am Ende der Welt, im Hinterhof eines Asylantenheims zur Welt. Unbehaust, verarmt – und leicht zu übersehen.

Ganz schön mutig von ihm, so unter dem Gegenteil dessen, was Menschen von ihm erwarten, zur Welt und zu sich selbst zu kommen.

Darauf lohnt es sich, zu warten in diesen Wochen des Advent. Mutig und entschlossen, mit jener Langmut, die ein bekanntes Ziel hat: Gott bei Dir und mir!

 

Amen.