Am Sonntagmorgen
Insel der Götter und Dämonen
Spiritualität auf Bali
07.08.2016 08:35

Die täglichen Sprechstunden von Ida Bagus Alit im Haus der Brahmanen sind immer gut besucht. Menschen aus ganz Indonesien kommen in das kleine Dorf Mas, bei Ubud. Es gilt als kulturelles Zentrum Balis, und die Menschen kommen um den Priester um Rat oder seinen Segen zu bitten. Ich darf zusehen, wie Ida Bagus Alit ein Reinigungsrital durchführt. Das findet in einem hölzernen Reetdach-Pavillon statt, dessen himmelblaue Decke mit Sternen und Szenen aus der balinesischen Mythologie bemalt ist. Der schmale, schwarzhaarige Mann mit Brille und Schnauzbart trägt eine turbanähnliche Kopfbedeckung, einen Udang, ein Leinenjackett und hat einen Sarong um die Hüften gewickelt – alles in weiß, der Farbe der Priester. Er sitzt in einem Wust aus Opfergaben – Reiskuchen, Früchten, Blumengebinden und Räucherstäbchen, deren Duft mich an Weihrauch erinnert – und murmelt Mantras in Sanskrit, der klassischen Sprache der Brahmanen. Dann besprengt er die Gläubigen mit heiligem Wasser aus einer silbernen Schale.

 

Ida Bagus Alit: Ein Mann kam heute, weil er dringend Arbeit sucht. Das erste Ehepaar wollte eine Reinigungszeremonie, weil beide an Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit leiden und ihr Baby immer schreit. Ich habe ihnen ein Mantra mitgegeben, das sie zu Hause beten können. Das zweite Ehepaar lebt in Jakarta, möchte aber hier auf Bali in einem Familienbetrieb mitarbeiten. Sie sind Moslems und wollten von mir wissen, ob und wann sie hierher ziehen sollen. Ich habe ihnen den richtigen Zeitpunkt aus dem Balinesischen Kalender und eine passende Meditation herausgesucht.

 

Bali ist eine hinduistische Enklave im überwiegend muslimischen Indonesien. Ida Bagus Alit stammt aus einer der ältesten Dynastien der Insel und ist ein Nachkomme jenes heiligen Priesters aus Jawa, der im 9. Jahrhundert den Hinduismus nach Bali brachte, eine Frau aus Mas heiratete und dort die Brahmanenkaste gründete. Seitdem lebt die Familie an diesem Ort, erzählt mir Gus De, sein Neffe.

 

Gus De: The Big Priest from Java came to Bali and he has his family in Mas. And all the generations now stay here.

 

Gus De hat in der Schweiz Hotelmanagement studiert und das Haus der Brahmanen für Touristen geöffnet. Seine Gäste sollen sich ruhig umschauen im mit Palmen, Orchideen und Christusdorn bewachsenen Familientempel; lustwandeln zwischen den steinernen Altären, mir unbekannten Fruchtbarkeits-Gottheiten, geflügelten Schlangen und Affen mit gefletschten Zähnen, die alle von Gus Des Vorfahren gehauen wurden. Das Haus wurde schon oft renoviert, aber nie im Grundriss verändert, der einst penibel nach den Körpermaßen des Bauherren berechnet wurde und dessen Geist auch heute noch dort wohne. Im Schatten einer Papageien-Voliere, überrascht mich Gus De bei einem starken indonesischen Kaffee mit seiner Theorie der balinesischen Dreifaltigkeit.

 

Gus De: The relation with God … we don’t know before we came what was here.

Die Beziehung zu Gott, die zu den Menschen und die Beziehung zur Natur. Dieses wichtige Dreieck muss man immer berücksichtigen. Viele Leute sagen, ihr seid verrückt! Warum legt Ihr Opfergaben unter einen Baum? Ist da ein Gott? Nein. Die Leute missverstehen das, es ist nicht immer ein Gott, es ist ein anderes Leben, das früher einmal hier war. Wir wissen nicht, wer hier war, bevor wir kamen.

 

Jeden Tag zelebrieren Gus De, seine Frau und seine beiden Söhne dieselben Rituale, die über Generationen überliefert wurden.

 

Gus De: My grandfather … famous of its wood carvings

Mein Großvater lud alle seine Enkelkinder in sein großes Haus der Brahmanen ein, um uns die Familiengeschichte zu erzählten. Er sagte, Ihr seid anders als die anderen brahmanischen Familien, denn unsere Vorfahren kamen hierher und haben uns die heilige Schrift, das Sanskrit, gebracht und das Wissen über Tempelbau, Weissagungen und Medizin. Sie gaben uns kein Land aber sie gaben uns ein Messer. Heute ist dieses Dorf berühmt wegen seiner Schnitzereien.

 

Seit Generationen wird das Schnitzerhandwerk weitervererbt. Gus Des Vater Ida Bagus Wehda beschäftigt in seinem Betrieb etwa 50 Tischler.

 

Ida Bagus Wedha: Usually my father is woodcarver … I do it for them

Ich habe nicht entschieden, dass ich Schnitzer werde, sondern mein Vater. Der war auch Holz-Schnitzer und Tänzer. Er hat mich schon früh die Motive der Tempelschnitzerei gelehrt. Dorfbewohner kommen zu mir, die Haustüren wollen mit klassischen Motiven, manchmal kommen Touristen, die lassen sich von mir beraten und ich entwerfe ein Stück nach ihren Vorstellungen und fertige es dann an.

 

Sein Haus gleicht einem Museum, randvoll mit Teakholz-Möbeln, und Statuen von Tempeltänzerinnen, des Elefantengottes Ganesha oder des mystischen Vogels Garurda. Im Hof stehen bunt lasierte, teilweise vergoldete Relief-Tore. An einer mit Blumenornamenten, Fabelwesen und Gottheiten verzierten Haustür arbeiten zwei Schnitzer gut zwei Monate. Ich muss an Oberammergau denken oder die Straße der Krippenhändler in Neapel, nur dass es hier keine Christusfiguren gibt.

 

Ida Bagus Wedha: This is Brahma Rahuana, Garuda and Shiva. …

Hier sieht man die Gottheiten Rahuana, Garuda und Shiva. Jede Region hat andere religiöse Motive. Eine Tür im Norden sieht anders aus als eine im Süden. Aber immer schnitzen wir Blumen und religiöse Geschichten.

 

Im Familienbesitz befindet sich auch ein kleiner Teakholz-Wald, den Wedha nach dem Abholzen regelmäßig wieder aufforstet. Land an ausländische Investoren zu verkaufen, kommt für ihn nicht in Frage. Der Süden Balis sei bereits vom Massentourismus verschandelt.

 

Ida Bagus Wedha: For me business for the land is contract for 20 Years, 25 years that’s a good time.

Wer Immobiliengeschäfte machen will, sagt Wedha, der solle sein Land ruhig für 20, 25 Jahre verpachten, aber einen Ausverkauf der eigenen Kultur müsse man verhindern. Noch immer lernen die Kinder in Mas mit zehn Jahren die religiösen Tänze oder schließen sich einem Gamelan-Orchester an. Auch Wedha kann Bronzegongs, Metallophonen und Trommeln aus Bambus alte balinesische Melodien zu entlocken. Gamelanmusik gehört zu Geburten, Verbrennungszeremonien, Hochzeiten und Familienfesten.

 

In Mas findet die jährliche Danksagungszeremonie einer Dorfgemeinschaft statt, die sich einen Familientempel teilt. Obwohl ich niemanden kenne, wurde ich eingeladen. In Bali sind Fremde bei Dorffesten willkommen, erklärt mir Wayan aus dem Haus der Brahmanen, aber sie müssen sich an die Regeln halten. Nicht nur im Petersdom gibt es Kleidervorschriften und so habe ich mich in einen bunt gemusterten Sarong gewickelt und mir eine Schärpe um die Taille geschlungen.

 

Wayan: Nine big families live in here.

Neun große Familien leben hier, das ist die Mindestanzahl für einen eigenen Familien-Tempel, dessen Grundstruktur immer gleich ist. Das Tor wird von zwei großen Wächter-Statuen flankiert. Die sollen die bösen Geister abschrecken, so wie die kleine Mauer hinter dem Eingang, die nicht nur als Sichtschutz dient, sondern das Böse ein zweites Mal aufhalten soll, falls es trotzdem eindringen konnte.

 

Wayan: This building is for the offering … not disturb the family

Hier das große Gebäude ist für die Opferzeremonien und der Priester führt alle rituellen Zeremonien hier durch. Diese Seite ist für die guten Geister und die andere für die bösen, denen bringen wir auch Opfergaben, um sie zu beschwichtigen, dass sie die Familien nicht stören.

 

Eine alte Frau rezitiert religiöse Verse aus der Legende von Prinz Ramayana, die aus dem ersten Jahrtausend stammt.

 

Plötzlich erheben sich alle Dorfbewohner, laufen wie eine lebende Schlange durch das Tempelgelände und segnen mit Reisigruten die Anwesenden. Die Musiker blicken verklärt in den Himmel, als seien sie in Trance.

 

Wayan: Welcome to Pura Tirtha Empul. Pura means Temple, Tirtha means Holy Water. Empul is coming from the earth.

 

Der Tempel der heiligen Quelle, Tirta Empul, ist aus dem 12. Jahrhundert. In ein großes Badebecken sprudelt vulkanisches Wasser aus 14 steinernen Leitungen, vor denen sich unterschiedlich viele Menschen angestellt haben.

 

Wayan:

The Water has a different function … holiday

Die Wasserleitungen haben verschiedene Funktionen, hier badet man, wenn jemand gestorben ist, dort, wenn man Albträume hat. Die beiden sind zur Reinigung und Zerstörung schlechter Gedanken und Reden. Wenn man sich z.B. gestritten hat, wird nach einem Bad hier alles wieder gut. Vorher füllen alle kleine Flaschen des heiligen Wassers ab, für zu Hause. Die meisten jungen Leute verbinden Spaß und Spiritualität. Erst erledigen sie die religiösen Rituale und dann machen sie sich einen schönen Tag.

 

Wayan und seine Frau waren vor zwei Jahren oft hier, denn sie haben drei Töchter und wünschten sich noch dringend einen Sohn.

 

Wayan: This is Lingga-Yoni Symbol … religion in Bali

Hier das Lingga-Yoni-Symbol steht Fruchtbarkeit. Wenn man sich ein Mädchen wünscht, betet man vor diesem weiblichen und bei einem Jungen hier vor dem männlichen Teil der Skulptur. Man muss ihnen ein Opfer darbringen und sich sehr konzentrieren. Ob es wirklich hilft, weiß man nie. Ich habe versprochen, bis an mein Lebensende täglich zu beten, wenn es ein Junge würde. Und es hat geklappt, ich habe einen Sohn! So ist das mit der Religion in Bali.

 

Wayan hält sein Versprechen. Täglich dankt er der Fruchtbarkeitsgöttin Dewi Sri, die übrigens auch für gute Ernten zuständig ist. Jedes Reisfeld und jede Markthalle auf Bali hat einen eigenen Tempel; schließlich ist es wichtig, dass die Geldgeschäfte von guten Geistern gesegnet werden. An allen Hauseingängen posieren bemooste steinerne Wächter und ich kann mich gar nicht satt sehen an zahllosen Tempeldächern, die über alte Mauern ragen, auf dem Weg nach Ubud, wo heute die Verbrennung eines hohen Brahmanenpriesters gefeiert wird.

 

In den schmalen Straßen der ehemaligen Königsstadt drängeln sich weißgekleidete Menschen, dazwischen fotografieren Touristen das Spektakel, über der Prozession fliegt eine Drohne mit einer Filmkamera.

 

Die Verstorbenen werden auf Bali entweder sofort verbrannt oder auf dem Friedhof provisorisch begraben, bis eine Sammel-Kremierung stattfindet, die billiger ist. Doch erst nach der Verbrennung, wenn die Asche ins Meer geschüttet wurde, hat Gus De erzählt, hören die Seelen der Toten auf zu spuken. Auf einem Bambusgestell tragen gut 50 junge Männer einen fast fünf Meter hohen weißen, mit silbernen Fabelwesen verzierten Verbrennungsturm, in dem sich der Körper des Toten befindet. An jeder Kreuzung schwenken sie ihre Last ruckartig in alle Himmelsrichtungen, um den Toten auf den rechten Weg zu bringen. Ganz oben steht ein alter Priester, festgebunden mit weißen Bändern, und überwacht den korrekten Ablauf der Zeremonie. Auf dem Verbrennungsplatz wird der Leichnam in einen großen hölzernen weißen Stier auf einer Tribüne umgebettet, der nach stundenlangen Ritualen angezündet wird. Fasziniert schaue ich zu, wie hohe Flammen aus der kunstvollen Figur schlagen, bis sie verkohlt zusammenfällt.

 

Später sehe ich den alten Priester, der die Verbrennungszeremonie geleitet hat, wieder. Er heißt Ida Padana und ist Gus Des Schwiegervater.

 

Ida Padana, ein pensionierter Marine-General, widmet sich jetzt alten Schriften. Mit einem Messer ritzt er Sanskrit-Texte auf Palmblätter, die er dann mit dem Samen einer Nuss, der wie Kohle aussieht, schwärzt.

 

Gusde: My father in Law is a priest. …to serve the people.

Mein Schwiegervater ist ein hoher Priester in der 17. Generation. Für dieses Amt wurde er schon zu Lebzeiten wiedergeboren. Er bekam einen neuen Namen, neue Kleider und musste mit dem weltlichen Leben abschließen. Er darf nie wieder Auto fahren oder ins Einkaufszentrum gehen, keinen Alkohol trinken, sein Leben dreht sich jetzt nur noch darum, anderen Menschen zu dienen.

 

Ida Padana, ein schlanker Mann mit wachen Augen und grauem Dutt versucht, mir die Augen für die Welt des Hindu-Dharma-Glaubens zu öffnen. Doch seiner Geschichte von altmalaischem Ahnenkult, der sich mit indischem Buddhismus und Geisterglauben zur Religion des heiligen Wassers vermischt hat, kann ich nur schwer folgen. Dauernd bringe ich die vielen Götter, Dämonen und Fabelwesen durcheinander. Die Grenzen zwischen Gebet und schwarzer Magie scheinen mir fließend zu sein. Wie soll das gehen, dass man mitten im Leben wiedergeboren wird und gleichzeitig mit den Ahnen kommuniziert? Wie merkt man sich Hunderte von Mantras und dazu noch, wann und wie man sie anwendet? Doch der Priester lächelt über meine Verwirrung, wichtig sei vor allem, dass sich die Menschen bemühten, Gutes zu tun und einander zu helfen.

 

Ida Padana: Es ist nicht leicht, Vollkommenheit zu erlangen. Wir sind alle Menschen, und egal ob Christen, Muslime oder Hinduisten, wir können nie wirklich perfekt sein. Deshalb brauchen wir Symbole für Perfektion, für Gott, um uns auf ihn zu konzentrieren. Alle Religionen sind so.

 

Plötzlich fühle ich mich geborgen im Haustempel des alten Brahmanen-Priesters. Vergnügt versuche ich, etwas Lesbares in ein Palmblatt zu ritzen, höre Ida Padanas Gebeten zu und denke, wie schön es ist Menschen und ihrer Religion so offen begegnen zu können.