Evangelischer Rundfunkgottesdienst zum Reformationsjubiläum am 31.10.2017 aus der Evangelischen Pauluskirche in Berlin-Zehlendorf
©Charlotte Grief
Hier. Stehe. Ich
Evangelischer Rundfunkgottesdienst zum Reformationsjubiläum am 31.10.2017 aus der Evangelischen Pauluskirche in Berlin-Zehlendorf
31.10.2017 09:05
Predigt zum Nachlesen
 

Liebe Gemeinde hier in der Kirche, zuhause oder unterwegs: wenn Sie heute am Reformationstag eine Predigt erwarten, die zurückblickt, sollten Sie besser abschalten. Ich sag’s lieber gleich: 500 Jahre Reformation feiern- und in den Rückspiegel starren, geht gar nicht. Wer aus Luthers Werk ein Museumsstück macht, dreht den großen Wittenberger im Grab um. Wir feiern hier kein Vereinsjubiläum, nicht mal ein Ereignis. Eine Dynamik ist es, die wir feiern. Reformation heißt „Erneuerung“. Martin Luther hat dem Rad der Kirche Jesu Christi neuen Schwung gegeben. Das feiern wir am besten so, dass wir heute von neuem Schwung holen. Nicht die Asche Hüten, sondern die Glut Weitergeben – so feiern wir Reformation.

 

Im Jahr 2017 habe ich dazu zwei Vorschläge: Neuer Mut, den Glauben zur Sprache zu bringen. Und von neuem standhaft sein.

Zum ersten Vorschlag: Dieser Gottesdienst wird aus der Pauluskirche in Berlin-Zehlendorf übertragen. Nicht aus Rom, auch nicht aus dem Berliner Dom – wer kennt uns schon? Kaum einer von weiter weg, denke ich. Und das ist es gerade, darin liegt schon die evangelische Pointe: Unsere Kirche ist von unten nach oben gebaut. Kirche, das bist du und ich. Klein und groß, Frau und Mann, musikalisch die einen, gesellschaftlich engagiert die anderen, barmherzig hoffentlich alle, irgendwo unterwegs zwischen Zweifel und Gottvertrauen – wir alle sind Kirche. Das haben wir Martin Luther zu verdanken, dass wir mündig geworden sind. Er traute jedem Christenmenschen zu, ein Bischof, Papst und Priester zu sein. Aber Halt: jetzt doch kein Blick in den Rückspiegel, sondern darum geht es, dass wir hier und jetzt unsere Mündigkeit verteidigen. Ich glaube, das fängt mit der Sprache an. Wer mündig ist, macht den Mund auf, sagt Ja oder Nein, fragt, nimmt jedenfalls Teil am Gespräch. Wer mündig ist, ist auch verantwortlich für sein Schweigen. Wir Christen sind zu schweigsam geworden. Ich meine nicht die Pressemitteilungen, klugen Denkschriften und Stellungnahmen, die gibt es in Hülle und Fülle. Ich meine auch keine teuren Hochglanzkampagnen. Ich meine dich und mich, zuhause, unter Freunden, am Arbeitsplatz oder am Bett unserer Kinder. Hier lassen wir zu, dass es immer stiller wird, wenn es um den Glauben geht. Vermutlich liegt das daran, dass in unserem Teil der Welt ein Wind weht, der Glauben zur Intimsphäre erklärt. Viele schweigen, weil sie sich für den Glauben schämen. Aber hier, zuhause, unter Freunden, am Arbeitsplatz oder am Bett unserer Kinder, beginnt unsere Kirche. Sie braucht dich und mich. Hier ist der Ort, an dem wir Luthers neuen Schwung aufnehmen oder abbremsen. Hier lassen wir die Quelle vertrocknen oder geben ihr die Chance zu sprudeln. Der Ort unseres Alltags ist die Stelle, an dem wir unseren Glauben, unser Ahnen und Tasten ins Gespräch bringen. Hier ist der Ort, zu erzählen von den Momenten, an dem uns so war, als sei Gott uns ganz nah. Und auch unser Hadern mit dem unergründlichen Gott hat hier seinen Platz, und, ja doch, auch unsere Zweifel. Denn die gehören auch zu einem mündigen Glauben. Das wusste Luther selbst nur zu gut. Liebe Reformations-Gemeinde: Nur Mut – Raus aus der Schweigespirale! Von Juist bis ins Allgäu, von Frankfurt an der Oder bis nach Aachen: Wir sind Kirche, in Paulus-Zehlendorf genauso wie im Dom, zuhause oder auf der Straße: Raus aus der Schweigespirale, so bleiben-, so werden wir Evangelische Kirche.

 

Und der zweite Vorschlag heißt: von neuem standhaft sein. Luthers Worte vor dem Reichstag in Worms, so wird erzählt, lauteten: „Hier stehe ich“. Der Wind blies ihm da scharf ins Gesicht, doch Luther blieb standhaft, fiel nicht um wie die Bäume im Orkan, tatsächlich. Der Grund dafür war so einfach wie groß: Da war mehr in ihm als nur Selbstvertrauen: Gottvertrauen war es, das ihm Halt gab. Seine Wurzeln erreichten einen Grund, der tiefer war als sein Ego. Deshalb blieb er standhaft. Wie ein Baum, gepflanzt an Wasserbächen.

500 Jahre später, und wieder wird der Wind rauer. Um uns herum: Veränderung liegt in der Luft. In der öffentlichen Auseinandersetzung wird der Ton gereizter, ja aggressiver. Wir sind Zeuge des Versuchs, Worte, ja Denkmuster wiederzubeleben, von denen wir in glaubten, in Deutschland jedenfalls, sie seien ein für alle Mal auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet. Der Wind, der durch das Land, unsere Welt weht, lässt niemanden unberührt. Ich treffe immer mehr Menschen, die nervös, unruhig, ja beunruhigt sind.

In genau dieser denkwürdigen-unruhigen Zeit treffen sich 18 junge Menschen. Sie kommen aus drei Städten: St. Petersburg, Warschau und Berlin. Sie besuchen einander, zeigen sich ihre Kultur, ihre Stadt. Ein Team des Deutschen Theaters begleitet sie. Grenzübergreifend sind sie Frauen und Männern auf der Spur, die ihrem Gewissen gefolgt sind. Menschen, die in ihrem Leben nicht auf den Beifall der Menge-, sondern auf ihre innere Stimme gehört haben. Die Haltung bewiesen haben und nicht umfielen: Irina Sendler, Andrej Sacharow, Martin Luther. Vor 2 Wochen waren wir zusammen in Wittenberg. Aus den Treffen ist ein Theaterstück entstanden. Es handelt davon, wofür es in unserer Zeit, im Jahr 2017, aufzustehen-, einzustehen gilt. Heute Abend, am Reformationstag, ist die Premiere: „Hier.Stehe.Ich.“ heißt das Stück.

 

„Hier stehe ich.“ Das waren Luthers Worte. Unsere Zeit fordert sie wieder einmal, und diesmal von uns: Standhaftigkeit. Uns steht kein Papst, kein Kaiser mehr im Weg: Mit unseren katholischen Glaubensgeschwistern verbindet uns, Gott sei Dank, heute Sympathie und Vertrauen – und mit dem demokratischen Rechtsstaat ein Geist der Kooperation. Was uns Standhaftigkeit abverlangt, das ist der neue Zeitgeist, der völkisches Denken und nationale Egoismen für die Lösung unserer Zeit verkauft.

In meiner Bibel lese ich von einem anderen Geist: Jesus sammelt Menschen, ohne nach ihrer Herkunft zu fragen. Pfingsten, der Geburtstag unserer Kirche, erzählt vom Wunder des Verstehens über alle Sprachgrenzen hinweg. Paulus bereist die Welt, ist kein Apostel der Deutschen, der Europäer oder der Afrikaner, sondern wird „Apostel der Völker“ genannt. Der biblische Geist ist kein Geist des Mauerbaus, sondern des Mauerfalls. Wer heute völkische Abgrenzung fordert und Ausgrenzung als Lösung verkauft, verrät nur das eine: dass er nichts von dem verstanden hat, was christlich ist am Abendland.

Es stimmt schon: Es gibt auch Haltung ohne Glauben. Aber ich kann mir keinen Glauben ohne Haltung vorstellen. Denn Glauben gibt den Halt, der zur Haltung wird. So wurzeln wir nicht im Zeitgeist, sondern in tieferen, festeren Grund: dem Geist, der in der Bibel des Ersten und des Zweiten Testaments weht. Darum ist es heute an uns, 500 Jahre nach dem Thesenanschlag, von neuem standhaft zu sein und die Vielfalt zu verteidigen gegen die Einfalt. Indem wir jungen Menschen dabei helfen, die eigene Haltung über die Herkunft zu stellen, feiern wir wirklich 500 Jahre Reformation.

Vielfalt ist oft mühsam, das stimmt. Fragen Sie mal die Beteiligten an dem Theaterprojekt. Doch Einheit in Vielfalt ist möglich. Denn siehe: heute Abend steht mit 18 Jugendlichen aus, drei Ländern, drei Kulturen tatsächlich als EIN Ensemble auf der Bühne.

 

Was wäre, wenn wir heute den Auftrag bekämen, ein Luther-Denkmal zu bauen? Wenn man mich fragt: Ich würde keine weitere Bronzestaue aufstellen. Die gibt es zu Recht, aber auch genug landauf, landab. Ich finde, zu Luther passt besser ein Springbrunnen. Aus einer Quelle gespeist, wäre in diesem Lutherbrunnen alles in Bewegung. Es würde daraus spritzen, sprudeln, schäumen. In der Sonne würden die Wassertropfen funkeln und strahlen, fröhlich und frei. Der Lutherbrunnen, den ich mir vorstelle, wäre vielfältig bunt gekachelt. Kinder, Frauen und Männer, jung und hochbetagt wären da, ob als Einheimische oder als Gäste – alles würde sich um ihn lagern. Alle suchten seine Nähe, denn sein Wasser wäre frisch und erfrischend.

Ich weiß nicht, ob sich Martin Luther in den vielen Statuen einigermaßen gut getroffen fühlt. Doch ich könnte mir vorstellen: so ein Lutherbrunnen hätte ihm wohl gefallen. Es wäre ein Denkmal in Bewegung, voller Dynamik und Schwung, das uns daran erinnert: Denk doch mal, so lebendig bunt und beweglich, frisch und frei ist die Kirche-, so sind wir Menschen gemeint.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als all‘ unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

 

 

Weitere Informationen:

 

https://www.deutschestheater.de/programm/a-z/hier_stehe_ich/

 

Das Projekt auf Facebook unter https://www.facebook.com/hereistand2017/

Dlf Gottesdienst