#wirsindmehr
Pastorin Elisabeth Rabe-Winnen
08.09.2018 23:35

Vergangenen Montag haben sich Menschen auf den Weg gemacht.

Mehr als erwartet.

Aus der ganzen Republik. Nach Chemnitz.

Da standen dann Studenten neben Rentnerinnen. Einheimische neben Zugereisten. Vollbärte neben rosa Mützen neben Anzugträgen neben dem Kind auf den Schultern seines Vaters. 65.000. „Wir sind mehr.“ Mehr als erwartet. Und noch mehr als dort zu sehen waren. Und sie schwiegen zusammen. Und waren dann friedlich bei Musik.

In Chemnitz wurde wieder Mit-Menschlichkeit sichtbar.

Davor war dort Schreckliches sichtbar. Ein getöteter Mann. Fremdenfeindliche Demos. Hassparolen. Ich bin erschrocken darüber. Und mein Erschrecken hört nicht auf. Über das, was Menschen einander antun. Über das, was in uns wohnt, in anderen, die Mensch sind wie ich! Ich werde es nie fassen können, dass ein Mensch dem anderen zum Wolf wird. Und zugleich bin ich froh, dass sich nun Menschen auf den Weg machen. Ihre Mit-Menschlichkeit zeigen. Auf die Straßen gehen. Farbe bekennen und Gesicht zeigen zum Hashtag „wirsindmehr“.

Es kommt auf jeden und jede an. In dieser entscheidenden und heiklen Zeit.

Es geht um unsere Haltung, um unser Mensch-Sein selbst, in dem wir spielen, lieben, arbeiten, altern. Und darum kann auch ich hier nicht schweigen. Weil es uns ganz betrifft.

Das Mensch-Sein eint uns. Und doch ist Mit-Menschlichkeit nicht selbstverständlich. Muss gegen Menschenverachtung demonstriert werden.

Nicht nur auf den Straßen und mit Konzerten. Sondern genau da, wo ich stehe.

Ich war nicht in Chemnitz. Aber da, wo ich stehe, zeige ich Haltung und schweige nicht.

Nicht nur jetzt aus diesem konkreten Anlass, sondern grundsätzlich:

Ich stehe ein für etwas.

Ich glaube an: Eine Kraft, die größer ist als ich. Und alles schaffen kann.

Ich bin überzeugt, dass das Göttliche in uns siegt. Daran glaube ich fest und nicht blauäugig.

Ich will Menschenfreund sein. Denn Gott hat die Menschen geschaffen. Und als Christin glaube ich: Gott zeigt sich als Mensch. Als Mensch wie Du und ich. Und dieser Gott mit dem Gesicht der Menschen - stirbt. Und dann steht er auf - ersteht er auf.

Als Christin glaube ich an diese Kraft, die größer ist als ich. Und die Gott in jeden gelegt hat.

Mit dieser Kraft stehe ich auf und gehe. Das hält mich. Mit dieser Haltung kann ich auch im Alltag fest stehen und demonstrieren: Für Mit-Menschlichkeit. Gegen Menschenverachtung.

Es hängt nicht alles an mir allein, aber: es kommt auf jeden an.

Selbst wenn wir nur die Wenigen wären.

Und ich hoffe sehr: Wir sind mehr. Und eigentlich: Wir - das Volk.

Es kommt auf jede an. Und zugleich ist da: Mehr als ich. Aus dieser Kraft lebe ich.

Sendeort und Mitwirkende

Norddeutscher Rundfunk

Redaktion: Eberhard Kügler (NDR)