Roboter Emma in der Demenz-WG der Diakonie Kiel
Quelle: FH Kiel
Digitale Gefährten
Dürfen Roboter Menschen pflegen?
Autor
02.09.2018 08:35
Sendung nachlesen:

Ich bin Emma, ein Roboter, aber das siehst du ja.

 

Für die Bewohnerinnen der Demenz-WG der Diakonie Kiel ist es seit gut einem Jahr ein Höhepunkt der Woche: Emma kommt zu Besuch, ein humanoider Roboter, der aussieht wie eine 1,20 Meter große Playmobil-Figur. Er gehört der Fachhochschule Kiel, die in einem Modellversuch testen will, ob Roboter die Pflege erleichtern und verbessern können. Mit ihren großen Kulleraugen wirkt Emma sehr kindlich und agiert manchmal auch recht unbeholfen. Sie kann aber auch richtig galant sein. Dann fordert sie die Seniorinnen zum Tanzen auf.

 

 

Emma:

Tanzen, das ist super. Macht alle einen großen Kreis um mich herum. Berühre meinen Kopf, wenn es losgehen soll. Jetzt geht es los. Rechts herum im Kreis!

 

Emma wirkt in solchen Momenten wie eine bewegliche Musikbox. Sie dreht sich in der Mitte der großen Wohnküche um sich selbst. Pflegerin Ingrid Fritsch tanzt mit zehn Pflegebedürftigen Hand in Hand um sie herum. Emmas Anweisungen verstehen offenbar nicht alle: Heißt rechts herum jetzt von ihr aus gesehen nach rechts oder aus Sicht der Tänzerinnen?

 

 

Emma:

Links herum im Kreis!

 

Ein Pfeil auf dem Display, vorn auf der Brust von Emma, soll die Richtung vorgeben. Aber den nehmen nicht alle wahr. Die Software zum Tanzen ist offensichtlich noch nicht ausgereift, obwohl Hannes Eilers schon seit einigen Wochen an dem Problem arbeitet. Der Robotik-Ingenieur von der Fachhochschule Kiel entwickelt alle Programme für Emma und begleitet sie jeden Mittwochvormittag bei ihrem Besuch auf der Diakonie-Station im Gustav-Schatz-Hof in Kiel.

 

Hannes Eilers:

Sie kann hören, sie kann sehen, d.h. sie erkennt auch wirklich, wenn ein Gesicht vor ihr ist. Technisch gesehen befindet sich die Kamera, mit der sie schaut, oben in der Stirn. In den Augen hat sie eine Tiefenkamera, mit der sie die Tiefe des Raums erkennt und erkennt und dann Objekte und Hindernisse detektieren kann. Sie kann über den Touchscreen, den sie auf der Brust hat, Buttons anzeigen, über die man dann Befehle steuern kann, Anwendungen starten oder eine Auswahl treffen.

 

Das Touchscreen ist bisher Emmas wichtigstes Kommunikationsmittel, denn ein normales Gespräch führen kann sie nicht.

 

Hannes Eilers:

Sie antwortet nur auf Befehle, die wir eingegeben haben. Wir können dem Roboter Kommandos vorgeben, die er verstehen soll, und dann programmieren wir Antworten, die er darauf gibt.

Wenn ich Emma jetzt etwas fragen will, muss ich also eine vorher verabredete Frage stellen?

Ja, genau. Und dann muss sie die auch noch verstehen, da müssen Sie klar und deutlich sprechen. Wir können es mal versuchen:

Emma! Hallo!

Hallo Mensch.

– Können ja mal fragen: Emma, wie ist das Wetter? (Schweigen) Das Wetter, bitte! (Schweigen) Manchmal klappt’s, manchmal nicht.“ (lacht)

 

Um sich zu verständigen braucht Emma daher vorerst noch die Hilfe von Pflegerin Ingrid Fritsch. Selbst wenn es nur darum geht, dass die Seniorinnen mit dem Roboter ein Lied singen wollen. Auf dem Touchscreen bietet ihnen Emma eine kleine Auswahl an.

 

 

 

 

Senorinnen:

Macht Ihnen das Spaß mit Emma?

Mir macht das Spaß. – Wenn man so zusammensitzt, mehrere zusammen singen, einer singt ein bisschen verkehrt, der andere singt richtig. Das macht Spaß. Alles alte Lieder, nicht.

 

Auch die Pflegekräfte lachen mit, obwohl sie Emma zunächst keineswegs mit offenen Armen empfangen haben.

 

Thorben Maack:

Anfangs war es eben eine große Skepsis bezüglich Roboter in der Pflege. Ganz oben stehen natürlich die Ängste der Mitarbeiter, uns wird hier der Job weggenommen.

 

Thorben Maack, Pflegedienstleiter bei der Diakonie in Kiel, hatte selbst keine Sorge um seinen Arbeitsplatz. Aber grundsätzliche ethische Bedenken.

 

Thorben Maack:

Berufserfahrung von Pflegekräften kann eine Technik letztendlich nicht ersetzen. Zu dieser Berufserfahrung gehört eben auch die Fähigkeit, Wünsche, Bedürfnisse zu erkennen, ohne dass diese geäußert werden. Gerade in Phasen wie zum Beispiel einer Sterbephase, dann kriege ich Nackenhaare bei dieser Vorstellung, dass ein Roboter oder ein technisches Gerät einem Menschen, der im Sterben liegt, die Hand halten soll. Das wird nicht funktionieren und wird auch hoffentlich nie vorkommen.

 

Thorben Maack kann garantieren, dass so etwas bei der Diakonie niemals vorkommt. Denn er hat der Kooperation mit der Fachhochschule nur zugestimmt, weil er die Zusicherung erhalten hat, den Roboter jederzeit stoppen zu dürfen. So kann er beruhigt mit ansehen, wie Emma langsam dazulernt. Inzwischen kann sie schon einzelne Programme kombiniert anwenden, zum Beispiel das für Gesichtserkennung und das fürs Memoryspiel. Allerdings schafft sie auch das nur mit Hilfe von Pflegerin Ingrid Fritsch.

 

 

Memoryspiel mit Emma

Fritsch: Emma muss erstmal nachdenken. Muss erst mal prüfen, welches Gesicht habe ich jetzt.

Emma: Aha. Hallo Rosemarie. Los geht es! Auf welchem Bild ist eine Katze?

Wo ist ein Leuchtturm? ... Ja das ist richtig. Du bist schlau.

 

Wenn das Spiel einmal läuft, kann Emma ihre Partnerin bis auf weiteres allein betreuen. Die Pflegekräfte können sich jetzt Zeit für andere Bewohner nehmen oder schnell ein dringendes Telefonat führen. Sie müssen aber wieder zur Stelle sein, wenn Emma das Spiel beendet. 

 

 

Memoryspiel mit Emma

Emma: Danke für Deine Hilfe. Jetzt sind meine Bilder schon nicht mehr so durcheinander.

Frau: Das ist fein. Danke, Emma!

 

Seit Emma regelmäßig mit allen Gedächtnisspiele treibt, kann sie automatisch die Leistungen messen und aufzeichnen. Sie kann damit die Entwicklung einer Demenz exakt dokumentieren. Langfristig soll Emma ans Internet angeschlossen werden. In Clouds soll sie die Daten aufbewahren, die sie bei der Arbeit erhebt. Doch was macht sie mit denen? Wird Emma irgendwann nicht nur Krankheitsverläufe nachzeichnen, sondern auch Diagnosen stellen? Professor Jens Lüssem, der das Projekt an der Fachhochschule Kiel leitet, würde diese Frage am liebsten verneinen.

 

Jens Lüssem:

Diagnose ist hui. Also natürlich, man könnte sagen, ja, da lässt sich ein Expertensystem anschließen. In der Medizin gibt es seit den 80er Jahren Expertensysteme, die entsprechenden Daten sind vorhanden, da sind wir auch am Forschen hier am Fachbereich, aber man merkt natürlich, dann haben wir andere Aspekte dabei wie Datenschutz, wir haben ethische Geschichten dabei, und, und, und. Wir haben derzeit gesagt, wir möchten das nicht machen, aber vom Prinzip her ist das richtig, ist möglich.

 

Jens Lüssem will nicht alles umsetzen, was technisch machbar erscheint, sondern er will den Roboter unter pflegerischen Aspekten optimieren. Deshalb hat er das Projekt gemeinsam mit seiner Kollegin Gaby Lenz vom Fachbereich Sozialwesen gestartet. 

 

Gaby Lenz:

Das besondere daran ist, dass wir bedarfsgerecht entwickeln. Was genau die Pflegekräfte und die Bewohnerinnen und Bewohner wollen, wissen wir z.T. noch nicht. Der Wunsch, dass Emma Medikamente ausgibt oder darin erinnert, dass getrunken wird, das sind Punkte, wo wir noch ausprobieren müssen, ob das funktioniert und die Idee dahinter ist tatsächlich, dass Pflegekräfte mit Emma entlastet werden.

 

Noch hält sich die Entlastung bei der pflegerischen Arbeit allerdings in Grenzen, erzählt die Betreuerin Susanne Zimmermann. 

 

Susanne Zimmermann:

So für uns, dass es eine Bereicherung ist, kann man eigentlich nicht sagen. Denn sie kann ja jetzt nicht Getränke reichen und solche Sachen, was wir jetzt machen müssen.

 

Vielleicht könnte Emma mit ihren genoppten Händen einen glatten Becher fest umklammern und eventuell auch an die Lippen eines Menschen bugsieren. Viele Pflegebedürftige wollen aber nicht aus einem normierten Gefäß trinken, sondern aus ihrer Lieblingstasse. Doch Emma wäre überfordert, sollte sie deren Henkel sicher fassen. Und weil jede Tasse ein bisschen anders geformt ist, wäre es äußerst komplex und vor allem extrem teuer, sie für eine solche Aufgabe zu programmieren. Weil Emma schon an solch einfachen Dingen scheitert, rechnet Pflegerin Ingrid Fritsch nicht damit, dass Roboter in absehbarer Zeit in größerer Zahl in Heimen einziehen werden. 

 

Ingrid Fritsch:

Flächendeckend kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Das würde mir auch nicht gefallen, weil der menschliche Bezug, dieses situative Eingehen auf die Bewohner, auch der Körperkontakt ist für unsere Bewohner total wichtig, ich glaube für alle. Ich kann mir aber vorstellen, ihn als Hilfsmittel zu benutzen.

 

Gerade bei einfachen Tätigkeiten wie Waschen erleben Pflegebedürftige Zuwendung. Wenn dabei ein maschinelles Wesen hinzu kommt, fragen sich Fachkräfte wie Christian Springstub und Ingrid Fritsch regelmäßig, wie die alten Menschen das wohl finden.

 

Gespräch mit Pflegekräften

Springstub: Wir wissen es nicht genau. ... Was sie tatsächlich dabei denken, was sie empfinden, ob sie es als ein Stück Technik wahrnehmen oder eher etwas Lebendiges.

 

Können Sie mit den Bewohnern darüber sprechen, wie denen das gefällt, oder haben Sie da gar keinen Zugang mehr?

 

Fritsch: Da ist einfach die größte Möglichkeit in dem Tun, wie wir sie erleben mit Emma zusammen, wir kennen sie ja sehr gut, die Mimik zu sehen, machen sie mit, sind sie lustig, haben Sie Lust, bewegen sie sich, akzeptieren sie die Spiele oder auch mal, dass einer sagt, lass den Scheiß, ich habe jetzt keine Lust mehr dazu, auch das ist ja eine Reaktion. Das danach zu bereden, sind sie nicht mehr in der Lage.

 

Gespräch mit Seniorinnen:

Und, ist Emma schön?

Ja klar, ich wollte ihr mal ein Röckchen nähen. Aber ich habe keine Maschine mehr. Dass sie mal ein Röckchen anhat, das wär doch gut, oder?

Und was gefällt Ihnen an Emma?

Dass sie immer so lacht. Und die Augen! – Dass sie immer so lieb ist. Immer uns glücklich macht.

Emma macht Sie glücklich?

Ja, wenn Emma kommt, dann kann man damit Spaß haben. (Emma kichert) Siehst du, sie lacht auch! (Kichern) Ja, Emma. (Kichern)

 

Folgt man dem Augenschein, drängt sich der Vergleich mit Kindern auf, die sich mit einer Puppe oder einem Spielzeugtier beschäftigen. Als möglicher Ersatz für menschlichen Kontakt erscheint Emma nicht. Im Gegenteil.

 

Ingrid Fritsch:

Was auch wirklich toll war, die Angehörigen haben Spaß dran, die sind ja mit eingebunden, und mittlerweile gibt es immer wieder mal einen Enkel, der sagt, oh, da kommt der Roboter, dann möchte ich auch mitkommen. Und dann kommen sie hierher zu Besuch und gucken sich das an. Und wir lernen unsere Bewohner in einer ganz anderen Art kennen, als wir sie sonst kennen.

 

Dass Emma Besucher anzieht, gehört zu den überraschenden Ergebnissen ihrer bisherigen Erprobung. Für Professor Jens Lüssem ist das ein Zeichen, dass Roboter für mehr Menschlichkeit in der Pflege sorgen können. Vor allem dann, wenn es gelingt, die Pflegekräfte zu entlasten und ihnen Zeit zu verschaffen, sich den Menschen intensiver zu widmen. Jens Lüssem und Hannes Eilers möchten daher eine gesellschaftliche Debatte anzetteln. Und sie sind überzeugt, dass Emma dabei helfen kann.

 

 

 

Jens Lüssem:

Wir diskutieren das hier mit entsprechenden kirchlichen Vertretern beispielsweise, wir haben hier an der Hochschule auch Kollegen, die sich mit ethischen Fragen beschäftigen, in der Sozialarbeit, wir werden auch peu à peu mehr und mehr in Podiumsdiskussionen eingeladen.

Das besondere an der Art, wie wir die Anwendungen für den Roboter entwickeln, ist ja gerade, dass wir den Weg nicht vorgeben, so können wir auch nicht sagen, was dieser Roboter am Ende mal machen soll oder machen kann, sondern das entscheiden dann tatsächlich die Leute, die ihn hinterher benützen, die Bewohner, die Pflegekräfte, die damit arbeiten müssen. Die haben ein viel feineres Gespür dafür, wo sie lang wollen, auch in ethischen Fragen.

 

 

Die beiden wissen, dass die Einführung von Robotik in der Pflege von kommerziellen Interessen angetrieben wird. Von Gesundheitskonzernen, die ganze Ketten von Pflegeheimen betreiben und die Kosten senken wollen. Von Industriegiganten, die Roboter verkaufen wollen. Die Digitalisierung der Pflege wird also kommen, sie hat ja längst begonnen. Emma stellt einen Versuch dar, sie menschlich zu gestalten. Und das geht nur im Dialog, im Miteinander von Wissenschaft, Pflege und, vor allem, den Betroffenen.

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.