Melanchthonkirche Köln
"bewusst und unverzagt"
Live-Übertragung aus der Melanchthonkirche, Köln
26.02.2023 09:05
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Predigt zum Nachlesen:

I

Diese Woche hat die Fastenzeit begonnen. Sieben Wochen sind es bis Ostern.       
Fasten Sie? Oder haben Sie sich etwas für die Fastenzeit vorgenommen? Vielleicht ist es eine Gelegenheit, die längst über den Haufen geworfenen Neujahrsvorsätze in Erinnerung zu rufen und als Fastenvorsätze aufzuwärmen. Weniger Süßigkeiten, weniger Alkohol, nicht mehr rauchen oder hin und wieder auf Fleisch verzichten. Viele der Vorsätze vom Jahreswechsel eigenen sich doch hervorragend auch für die Fastenzeit. Ein wenig abnehmen, gesünder leben oder etwas für die Umwelt tun. Meine Vorsätze zum neuen Jahr suche ich mir meist aus, um etwas für mich zu tun.
Aber ich ahne, dass es in der Fastenzeit auch um etwas anderes geht. Es geht um mehr. Ein Blick auf die Fastenaktion der Evangelischen Kirche in Deutschland macht mir das noch einmal bewusst. Seit den 1980er-Jahren gibt es die Aktion „7 Wochen Ohne“. Da geht es nie um Schokolade, Handy oder Alkohol. Es geht um die großen Lebensthemen. „7 Wochen ohne Ausreden“ drehte sich um Schuld und wie wir mit Fehlern umgehen. „7 Wochen ohne Enge“ rief auf zu einem Leben mit weitem Herzen. Bei „7 Wochen ohne Lügen“ ging’s um Ehrlichkeit. Alles gar nicht so einfach, oder?

Dieses Jahr steht die Aktion unter dem Motto: „7 Woche ohne Verzagtheit“. Auf Verzagtheit verzichten bedeutet, die Scheu ablegen, mutig sein, Hoffnung haben und anderen Hoffnung geben. Dabei schaue ich nicht nur auf mich, sondern auch auf andere; auf die Menschen um mich herum. Die Aktion „7 Woche ohne“ ist ganz anders als meine persönlichen Neujahrsvorsätze. 7 Woche ohne Verzagtheit oder, wie in den vergangenen Jahren: ohne Stillstand, ohne Pessimismus, ohne Kneifen, ohne Runtermachen, ohne Zaudern, ohne Geiz, ohne Scheu. Immer regt das Motto mich an, auf mich und auf andere zu schauen und mir ganz gewusst die Zeit dafür zu nehmen. Wie lebe ich? Ist das gut so? Was könnte anders sein? Wie kann ich das Andere erproben, wenigstens mal für sieben Wochen? Ein schöner Gedanke, wie ich finde.
Ich nutze die 7 Wochen vor Ostern nicht für meine aufgewärmten Neujahrsvorsätze. Das hätte vermutlich ehr keinen Erfolg. Warum sollte es auch jetzt im Frühjahr besser klappen, wenn es schon im Januar grandios gescheitert ist? Aber die Fastenzeit ganz bewusst als Zeit für mich und für andere zu nutzen und mir eine Zeit ohne Verzagtheit vorzunehmen, das gefällt mir.

 

II

7 Wochen ohne Verzagtheit. Sieben Wochen auf mich und andere schauen. Die Scheu ablegen, mutig sein, Hoffnung haben. Ein guter Plan. So mache ich das! Wie das funktionieren soll, ist mir allerdings noch nicht so richtig klar. Naja. Wird schon irgendwie. Schneller als ich denke, holt mich dann die Realität ein.
Als ich Anfang Februar am Schreibtisch sitze und diesen Gottesdienst vorbereite, klingelt das Telefon. Eine Freundin ist dran. Ihr Stimme klingt belegt und irgendwie so ganz anders als sonst. Ihr Bruder ist gestern gestorben. Ich hole tief Luft. Was soll ich sagen? Wie soll ich reagieren? Keine Verzagtheit! Als Pfarrer bin ich es gewohnt, über den Tod zu sprechen und andere zu begleiten, die gerade einen lieben Menschen verloren haben. Vor jeder Beerdigung treffe ich mich mit Angehörigen, und wir sprechen über den Verstorbenen. Jedes dieser Gespräche ist eine Herausforderung. Und doch ist die Verzagtheit bei solchen Treffen mit der Zeit geringer geworden. Meist gehe ich ziemlich unbefangen ins Gespräch. Aber jetzt ist es anders. Es ist so nah, so greifbar. Ich spreche nur wenige Minuten mit der Freundin. Danach brauche ich erst einmal eine Pause, eine Unterbrechung und gehe ein paar Schritte spazieren. Dabei denke ich darüber nach, wie ich mich gefühlt habe, als ein guter Freund während meines Studiums gestorben ist. Oft war ich damals mit den anderen Kommilitonen zusammen. Wir haben uns viel unterhalten. Oft aber auch nur zusammengesessen. Das Zusammensein hat gutgetan. Das Wissen, dass ich nicht alleine bin. Vielleicht war auch gerade das gemeinsame Schweigen gut.
Nicht verzagt zu sein, muss nicht heißen, in stürmische Aktion zu verfallen. Mutig und hoffnungsvoll sein, kann auch ganz leise geschehen. So wie bei Hiob, dieser starken Figur aus der Bibel. Hiob ist ein frommer Mann, dem es gut geht. Er hat eine große Familie und besitzt einen großen Gutshof. In kürzester Zeit verliert er alles. Seine Kinder sterben. Er verliert seinen Hof und wird krank. Es könnte ihm kaum schlechter gehen. Dann wird er von drei Freunden besucht.

 

III

Sieben Tage sind die Freunde von Hiob einfach nur da, unverzagt, schweigen und sind bei ihrem Freund. Ich finde das beeindruckend. Könnte ich das auch? Eine ganze Woche einfach da sein und schweigen? Vermutlich würde ich das nicht schaffen. Aber ich muss das auch gar nicht. Es reicht, wenn ich mir an den Freunden von Hiob ein Beispiel nehme. Ich muss nicht in Aktionismus verfallen. Es reicht da zu sein, schweigend oder mit einem zugewandten Wort. Elifas, Bildad und Zofar handeln ohne Verzagtheit. Sie hören vom Unglück ihres Freundes Hiob und machen sich auf den Weg. Sie wollen Mitgefühl zeigen und ihn trösten.
Mitfühlen braucht große Empathie. Ich muss mich den Gefühlen des anderen öffnen. Ich muss es zulassen, den Schmerz zu spüren, die Wut wahrzunehmen und die Angst mitzuerleben. Die Freunde Hiobs tuen das. Das echte Mitfühlen trifft sie, als seien sie selbst und ganz direkt betroffen. Sie schreien und brechen in Wehklagen aus. Sie zerreißen ihre Kleider und streuen sich Staub auf den Kopf. Das sind starke Gesten der Trauer. Viel stärker als meine Beileidswünsche an die Angehörigen eines Verstorbenen.
Wie beim Mitgefühl steckt auch im Wort Beileid, dass ich mitleide. Oft tue ich das gar nicht. Bin nicht direkt betroffen. Das ist gut so. Es hilft mir, einen gewissen Abstand zu wahren. Mich nicht mit auf die Erde zu setzen wie Hiobs Freunde, sondern ein Gegenüber zu bleiben und professionell zu begleiten. Ganz anders ist es bei der Nachricht meiner Freundin vom Tod ihres Bruders. Als ich mein Beileid ausdrücke, spüre ich ganz direkt, dass es mich trifft. Meine Stimme ist belegt, eine Anspannung macht sich im Brustkorb breit und Muskeln spannen sich an. Das ist ok. Es ist Mitgefühl unter Freunden. Und gleichzeitig frage ich mich, wie ich ihr beim nächsten Mal unverzagt begegne.

Hiobs Freunde zeigen echtes Mitgefühl. Aber in der Erzählung steckt noch mehr. Es gibt eine weitere Ebene. Jemand, der da ist, auch wenn ich ihn nicht sehe: Gott. Hiob war ein frommer Mann. Und er ist dieser fromme Mann geblieben. Alle Schicksalsschläge haben ihn nicht dazu gebracht, sich von Gott abzuwenden. Hiob hat mit Gott gestritten, hat geklagt und geschrien. Aber er hat seinen Glauben nie verloren. Auch hier kann ich nicht sagen, ob ich das auch könnte. Ist mein Glaube so fest? Würde ich tatsächlich das Vertrauen behalten und standhalten? Aber es ist nicht nur Hiob, der an Gott festhält. Auch Gott verlässt Hiob nie.
Das ist tröstlich. Gott hält zu Hiob, so wie er auch zu mir und zu jedem von uns hält. Gottes Liebe ist eine Zusage, die ewig Bestand hat. Das hat er immer wieder gezeigt. Durch alle Schicksalsschläge, Anfechtungen und Versuchungen hindurch. In der Bibel werden diese Versuchungen oft durch den Teufel symbolisiert. Der Teufel stellt Hiob auf die Probe. Der Teufel versucht Jesus in der Wüste. Wir haben es eben im Evangelium gehört. Durch alle diese Versuchungen hindurch, trotz aller Versuche des Teufels, Gottes Zusage, sein Bund mit uns Menschen, steht fest. Ich darf schwach sein, darf mit Gott hadern und mit ihm streiten, so wie Hiob. Ich darf verzagt sein, nicht wissen, wie es weiter gehen soll und nicht die richtigen Worte für meine Freundin finden. Es wird niemals etwas dran ändern, dass Gott in jeder Lage an meiner Seite ist.

 

IV

Diese Woche hat die Fastenzeit begonnen. Sieben Wochen sind es bis Ostern. Eine Zeit, die sich nicht für aufgewärmte Neujahrsvorsätze eignet. Aber eine Zeit, die ich ganz bewusst begehen möchte. Vielleicht nicht ganz ohne Verzagtheit, aber ganz sicher mit Blick für mich und für die um mich herum.

Um Mitgefühl zeigen zu können, muss ich Gefühle auch bei mir zulassen. Das erfordert Mut. Da will ich wirklich unverzagt sein. Vielleicht ist das der Grund, warum mir der Umgang mit Sterben, Tod und Trauer im nahen Umfeld, bei Freunden und in der Familie, soviel schwerer fällt, als die Abschiede, die ich als Pfarrer begleite. So ist es auch bei meiner Freundin gewesen. Ich brauchte den Mut und die Unverzagtheit. Dann habe ich sie getroffen, mit ihr gesprochen, und auch geschwiegen. Ich habe ihr Zeit gegeben, um zu schauen, was gerade dran ist und gut tut. Ich habe die Gefühle zugelassen. Das war nicht einfach. Ich glaube, nur weil ich keine Scheu hatte, sondern unverzagt und mit Vertrauen in das Gespräch gegangen bin, sind wir uns auch wirklich begegnet. Offen für das, was geschieht. Und ich habe erlebt: Ich bin dabei nicht allein. Gott ist bei mir und auch bei meiner Freundin.
Im Alltag vergesse ich das allzu schnell. Die Fastenzeit gibt mit Gelegenheit, mich daran zu erinnern. Mir Zeit zu nehmen für meine Beziehung zu Gott. Vielleicht im Gebet oder einfach bei einem Spaziergang. Dafür ist sie da, die Fastenzeit. Und dann werden wir Ostern feiern. Das Fest, an dem Gott in seinem Sohn Jesus Christus den Tod besiegt. Gott ist in Jesus Mensch geworden; ein Mensch wie ich und wie wir alle. Er hat gelebt wie wir, ist verraten worden, hat gelitten und wurde am Kreuz umgebracht. Doch damit ist die Geschichte nicht vorbei. Jesus ist auferstanden. Die Geschichte Gottes mit uns Menschen geht weiter. Die Fastenzeit ist die Vorbereitung auf das große Fest des Lebens an Ostern. Vorher geht es durch das Tal, durch Leiden und Tod. Kein einfacher Weg, aber ich gehe ihn nicht alleine und vor allem unverzagt.

Amen

 

Es gilt das gesprochene Wort.

Dlf Gottesdienst