„Ich krieg die Krise“ – nein, die Krisen haben uns schon längst in Beschlag genommen, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer. Da kommen wir mehr schlecht als recht durch die Corona-Pandemie, erleben, dass mitten Europa wieder ein heftiger Krieg ausbricht und erinnern uns an die Überflutungen im Ahrtal. Und als wäre all das nicht schon genug, weisen alle möglichen Leute darauf hin, dass in den nächsten Monaten eine weltweite Hungerkatastrophe ausbricht und auch bei uns eine Energiekrise entstehen wird. Krise und Krisen, wohin das Auge schaut. Irgendwie zuviel für uns. Too much. Ich merke, das kann überfordern. Denn: Die persönlichen Krisen, die Menschen in ihren Familien und Partnerschaften erleben, kommen ja noch dazu. Das ist wahnsinnig stressig und anstrengend. Und manchmal bin ich froh, wenn ich mir nicht um alles Gedanken machen muss. Können die zuständigen Minister*innen das bitte klären, so dass wir halbwegs glimpflich davonkommen? Die Vielzahl der Krisen und ihre schnelle Abfolge überfordern zunehmend viele Menschen. Die eigene Kraft reicht dann nicht mehr, sich ernsthaft mit einer weiteren Frage zu beschäftigen. Vielleicht ist es ein bisschen wie bei Mose im Alten Testament der Bibel.
Dieser Mose wird nicht nur als derjenige beschrieben, der die Israeliten durch die Wüste führt, nach der Gefangenschaft in Ägypten ins gelobte Land. Er ist auch einer, dem im entscheidenden Moment die Kraft ausgeht und der gestützt werden muss, damit es weitergehen kann. Zur Erfahrung der Befreiung gehört offenbar dazu, dass einem die Puste ausgeht. Der Soziologe Armin Nassehi macht deutlich, dass die Krise im 21. Jahrhundert nicht mehr die seltene Ausnahme ist, sondern mehr und mehr zum Normalfall wird. In der Krise erlebe ich als Mensch, dass meine Erfahrungen und mein bisheriges Wissen nicht ausreichen, um mit neuen Ereignissen umgehen zu können. Ich habe nicht die Kraft und nicht die Instrumente, die Situation schnell zu klären. Das heißt auch, dass ich in Krisen immer wieder nach neuen Wegen, nach neuen Antworten suchen muss. Das macht es ja gerade so unglaublich anstrengend. Deshalb sind Krisenzeiten auch ein Geschenk für Populisten. Die geben vor, dass es auch ganz einfach gehen könnte. Klar, dass das attraktiv klingt. Da wird die Krise „weggeredet“. Aber das klappt ja schon zuhause nicht. Wer einfach keine Rechnungen mehr öffnet oder Probleme verdrängt, kann sich eine Zeitlang einreden, alles sei in Ordnung. Aber das geht nicht lange gut.
Das Problem meldet sich mit umso größerer Wucht zurück. Der Mose aus dem Alten Testament zeigt zumindest eine alternative Möglichkeit auf. In einer der Krisen, die als Kampf beschrieben wird, lässt er sich von anderen Menschen stützen, damit er nicht müde wird. Das klingt banal. Aber es ist die Ansage, dass in den großen Krisen vor allem eines hilft: Kooperationen zu suchen, sich zusammen zu tun und sich gegenseitig zu unterstützen. Für mich als gläubigen Menschen und Christen ist dabei die Zusage zentral und lebenswichtig: Da sind nicht nur andere Menschen, da ist auch Gott, der dich stützt, der Kraft gibt und damit auch die nötige Gelassenheit. Damit sind zwar die großen Krisen nicht einfach zu überwinden. Aber sie sind doch gemeinsam durchzustehen. Diese Erfahrung wünsche ich uns miteinander und die Erfahrung eines stützenden und stärkenden Gottes. Einen guten Sonntag!
Norddeutscher Rundfunk (NDR)
Redaktion: Sabine Pinkenburg
Katholischer Senderbeauftragter für Das Wort zum Sonntag für den NDR
Andreas Herzig, Erzbistum Hamburg
Am Mariendom 4
20099 Hamburg
Tel.: 040 248 77 112
E-Mail: herzig@erzbistum-hamburg.de